Beim Wiener Heeresspital lebt eine der letzten großen Ziesel-Kolonien Österreichs. Obwohl ihre Existenz schon Jahre dokumentiert war, wurden Teile des Habitats – ohne Berücksichtigung der streng geschützten Ziesel – in Bauland umgewidmet.
Da man seitens der Politik unverändert an der Errichtung von fast 1.000 Wohnungen festhält, drohen nun Eingriffe in den Lebensraum der zwischen Marchfeldkanal und Brünner Straße eingekesselten Tiere, deren absehbare Risiken und Folgen in der Fachwelt längst außer Zweifel stehen.
Dichtes Ziesel-Vorkommen spätestens seit 2007 bekannt
Aus dem Ziesel-Gutachten von 2011 geht hervor, dass im August 2007 am Gelände des Wiener Heeresspitals durch die Wiener Umweltschutzabteilung MA22 und die Universität Wien eine dichte Ziesel-Population festgestellt wurde. „Auf einen Blick waren mehrere Tiere sichtbar“, heißt es darin. Wortwörtlich sprach man seitens des Bundesheeres sogar von einer „Zieselplage“.
Soweit bekannt, wurden in der Folge keine Präventivmaßnahmen eingeleitet um das entdeckte Großvorkommen näher zu erforschen und dem drohenden Konflikt in einem Zielgebiet der Wiener Stadtentwicklung frühzeitig – noch vor ersten Investitionen – entgegen zu wirken.
Bereits seit 2006 weist das Wiener Arten- und Lebensraumschutzprogramm „Netzwerk Natur“ im Gebiet des Heeresspitals das Vorkommen der naturschutzrechtlich „prioritär bedeutenden“ Ziesel als bestätigt aus, was wohl auf Grundlage einschlägiger Beobachtungen erfolgt sein wird.
Flächenwidmung ohne Umweltprüfung
Im Februar 2010 beschloss der Wiener Gemeinderat eine abgeänderte Flächenwidmung, die auch auf Teilen des Heeresspital-Areals, also dort wo die Ziesel-Population längst dokumentiert war, Wohnbau vorsieht. In den Begleitunterlagen zum Plandokument 7906 wurden die streng geschützten Ziesel jedoch mit keinem Wort erwähnt. Weder im Erläuterungsbericht zur öffentlichen Auslage, noch im Vorlagebericht zur Beschlussfassung, wird auf den absehbaren und planungsrelevanten Konflikt mit dem Artenschutz hingewiesen. Statt einer Umweltprüfung wurde lediglich ein „Screening“ durchgeführt, dessen Ergebnis die Berichte unter „Umwelterwägungen“ so zusammenfassen:
Durchwegs keine bis positive Auswirkungen konnten dabei den Schutzgütern „Biologische Vielfalt“, „Bevölkerung“, „Gesundheit“, „Fauna und Flora“, „Boden und Wasser“ sowie „Landschaft“ zugeordnet werden.
Angesprochen auf die offensichtliche Absenz der Ziesel in den Dokumenten, erklärte der zuständige leitende Beamte (MA 21B) gegenüber dem „Kurier“:
„Der Bericht der Kollegen ist wohl unter den Tisch gefallen.“
Heeresspital-Verbauung ist Teil des Bauprojekts
Seitens der Behörden wird betont, dass man von den Zieseln am Areal nördlich des Wiener Heeresspitals bis vor kurzem keine Kenntnis hatte, sondern nur von der Population innerhalb des Heeresspital-Areals wusste. Diese Argumentation geht jedoch ins Leere, denn aus den Widmungsunterlagen geht in fetten Lettern hervor, dass 140 Wohneinheiten auf Flächen des Wiener Heeresspitals, d.h. im damals bereits dokumentierten Ziesel-Habitat, zur Errichtung gelangen könnten.
Dass diese Planungen keineswegs abstrakt, sondern sehr konkret sind, zeigt zudem jene Kubatur, die im Mai 2011 bei einer Informationsveranstaltung offiziell vorgestellt wurde. In der präsentierten Visualisierung sind klar drei Objekte zu erkennen, die am heutigen Areal des Heeresspitals positioniert und aufgrund der gewählten Farbgebung offensichtlich Teil des beabsichtigten Gesamtprojekts sind.
Im Juli 2010, also nach Widmungsbeschluss und 10 Monate vor der öffentlichen Projektpräsentation, besichtigten Vertreter der MA 22 und der Uni Wien erneut das Areal des Wiener Heeresspitals und stellten dabei eine anhaltend dichte Ziesel-Population fest. Offenbar bewirkten diese Beobachtungen in der Folge jedoch keine Adaptierungen der Projektpläne.
Kritik an „Turbo“-Widmung
Schon vor Beschluss der Widmung wurde die ungewöhnliche, selbst auferlegte Eile bei der Begutachtung des Großprojekts kritisiert. In nur zehn Arbeitstagen des Augusts 2009, d.h. mitten in der Urlaubszeit, sollten von anderen Behörden Stellungnahmen zum Plandokument an die MA 21B abgegeben werden. So könnte es ein Hinweis auf den seinerzeitigen Zeitdruck sein, dass der von der MA 21B verfasste Erläuterungsbericht und die Stellungnahme der Wiener Umweltanwaltschaft, das gleiche Datum, nämlich den 24. August 2009, tragen, der zugleich auch der letzte Tag des vorgegebenen Zeitfensters war.
Ziesel-Vorkommen sind planungsrelevant
Die Ziesel stehen in Österreich an erster Stelle der Roten Liste. Sowohl die Tiere selbst, als auch ihre Lebensräume, sind nach der EU-FFH-Richtlinie und dem Wiener Naturschutzgesetz am gesamten Stadtgebiet streng geschützt. U.a. sind absichtliche Störungen, Fangen und Transportieren, absichtliches und unabsichtliches Töten der Tiere sowie Beschädigungen ihrer Fortpflanzungs- und Ruhestätten verboten.
Für erhebliche Habitats-Eingriffe bedarf es Ausnahmegenehmigungen, deren Erteilung aber nur für tatsächliche Ausnahmesituationen vorgesehen ist, d.h. keineswegs der Regelfall sein kann. Notwendige Voraussetzungen sind u.a. überwiegendes öffentliches Interesse, nachweisliche Prüfung von Alternativen und ein günstiger Erhaltungszustand der betroffenen Population.
Keiner dieser drei Gründe trifft jedoch auf das Projekt beim Wiener Heeresspital zu. Die dokumentierte Ziesel-Population wurde in den Planungen nicht berücksichtigt, d.h. aus Sicht des Artenschutzes keine Alternativen geprüft und es besteht auch kein öffentliches Interesse genau im Lebensraum einer vom Aussterben bedrohten Art Wohnbau zu betreiben. Auch ist der Erhaltungszustand der Relikt-Kolonie aufgrund ihrer isolierten Situation, ohne den vital notwenigen Austausch mit anderen Ziesel-Populationen, inhärent ungünstig.
Verbauung der Radio Austria Gründe wurde abgesagt
Es waren wohl die oben genannten Gründe, die im Jahr 2005 die Verbauung der ehemaligen Radio Austria Gründe verhinderten. Auf dem acht Hektar großen Areal in Wien-Favoriten, also vergleichbar zum Projekt beim Wiener Heeresspital, war der Fortbestand einer Ziesel-Kolonie durch ein Bauprojekt bedroht. Auf Antrag der SPÖ fasste der Wiener Gemeinerat den einstimmigen Beschluss, die Ziesel in ihrem Lebensraum zu schützen und die Planungen zu verwerfen.
Priorität für Ziesel- und Feldhamster-Schutz
Bedauerlicherweise ist die Situation rund um die Ziesel und die ebenso streng geschützten Feldhamster beim Wiener Heeresspital verfahren. Naturgemäß stehen die involvierten Bauträger unter großem wirtschaftlichem Druck das Bauprojekt in der beabsichtigten Form durchzuziehen, denn es wurden bereits enorme Geldbeträge investiert, vermutlich ohne Kenntnis der großen Ziesel-Population im Widmungsgebiet.
Zudem ist zu bezweifeln, dass der Widmungsprozess beim Heeresspital optimal gelaufen ist. Wann und in welcher Projektphase wären konkrete naturschutzrechtliche Maßnahmen zum Schutz der Ziesel und Feldhamster ergriffen worden? Am Feld nördlich des Heeresspitals wurden schon vor Widmungsbeschluss bei Stichproben mögliche Hinweise auf Ziesel- oder Hamsterbaue entdeckt und im Jahr 2010 wurde das dort befindliche Feldhamster-Vorkommen im Auftrag der MA 22 kartiert.
Aus Sicht der Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal muss der strenge Schutz der vom Aussterben bedrohten Ziesel und der Feldhamster Priorität haben. Wir appellieren daher an die Politik eine Lösung im Interesse der Tiere zu finden und sie vor riskanten Eingriffen in ihren Lebensraum mit ungewisser Perspektive zu bewahren.
Um den nachhaltigen Schutz der Tiere zu gewährleisten, tritt die IGL-Marchfeldkanal für die Einrichtung eines geeigneten Naturschutzgebietes auf den Flächen am und rund um das Wiener Heeresspital ein. Bereits 4.300 Menschen unterstützten diese Forderung mit ihrer Unterschrift. Unterschreiben auch Sie!
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