Der Druck durch die IGL-Marchfeldkanal zeigte Wirkung. Die scharf kritisierten Baggerarbeiten im Ziesel-Lebensraum beim Wiener Heeresspital wurden vorerst abgesagt. „Man hätte das als Lenkungsmaßnahmen interpretieren können“, hieß es seitens der ökologischen Bauaufsicht gegenüber dem Kurier.
Doch die weitaus gefährlichere Bedrohung für die Ziesel ist weiterhin real!
Jenes Feld, wo die massiv vom Aussterben bedrohten Tiere einem lukrativen Bauprojekt im Weg stehen, soll fortan zur Hälfte verwildern. Da die streng geschützten Tiere auf kurze Grasvegetation als Lebensgrundlage angewiesen sind, ist dieser Plan fatal und verstößt zudem eindeutig gegen den zur Ziesel-Absiedlung erteilten Bescheid.
Angesichts des völligen Scheiterns der Umlenkung, scheint nun die Versuchung groß, von den eingereichten Plänen abzugehen. Daher darf die Behörde die widrige Einstellung der Mahd nicht einfach stillschweigend hinnehmen. Anderenfalls wäre der unfassbare Wiener Naturschutzskandal um eine beschämende Facette reicher und geschützte Arten endgültig Freiwild.
Indes betritt mit dem ÖVW ein weiterer Bauträger den Ziesel-Hexenkessel im Norden der Bundeshauptstadt. Just auf jenem Abschnitt, wo im Mai 2011 den weitgehend passiven Behörden erstmals Ziesel-Baue gemeldet wurden, soll noch dieses Jahr ein weiteres Bauprojekt starten.
Seit 2005 ist das Ziesel-Großvorkommen beim Heeresspital amtsbekannt, doch passierte in der Folge zu dessen Schutz, trotz des absehbaren Konflikts, schlicht gar nichts. Dabei hätte im Habitat jener Art, die in Österreich auf Platz 1 der roten Liste steht und europaweit streng geschützt ist, niemals auch nur ein Cent durch die Bauwirtschaft investiert werden dürfen.
Widerstand kommt weiterhin vom Bezirksparlament Floridsdorf. In einer einstimmig beschlossen Resolution fordern die Volksvertreter, im wertvollen Naturjuwel beim Heeresspital solange keine Bauprojekte durchzuführen, als dort streng geschützte Arten vorkommen. Leider hat die Stadtregierung bis dato sämtliche der beherzten lokalpolitischen Initiativen, selbst von eigenen Parteifreunden, konsequent ignoriert.
Wien hätte es aber in der Hand, den Ziesel-Irrsinn beim Heeresspital zu beenden und so doch noch der im Raum stehenden, empfindlichen EU-Strafe wegen groben Verstoßes gegen die europäische Naturschutzrichtlinie, zu entgehen.
Die Metropole besitzt nämlich zwei Millionen Quadratmeter an Bauland. Durch einen Grundstückstausch, wie von Floridsdorf und zigtausenden Wienern gefordert, wäre sowohl Bauträgern, als auch Ziesel & Co., nachhaltig geholfen.
Verbrachung verstößt eklatant gegen Bescheid der Naturschutzbehörde
Die April 2013 von der Naturschutzbehörde den Projektwerbern erteilte Genehmigung zur Absiedlung der Ziesel nördlich des Heeresspitals, erfolgte unter der Auflage, dass die in den eingereichten Unterlagen beschriebenen Maßnahmen zwingend einzuhalten sind:
Quelle: Bescheid MA 22 – 593/2012 -> Download
Jedoch ist in Beilage 1 unmissverständlich definiert, dass die Pflegemaßnahmen am Bauland erst dann unterbleiben können, wenn gesicherte Hinweise auf Akzeptanz der Ausgleichsflächen vorliegen. Als fachliche Begründung argumentieren die Projektwerber, dass dadurch die ursprüngliche Ausdehnung des Ziesel-Lebensraums von 3,6 Hektar nie unterschritten werden könne:
Quelle: Bescheid MA 22 – 593/2012 – Beilage 1 -> Download
Behörde muss jetzt entschieden einschreiten
Bekanntermaßen gibt es den erforderlichen Nachweis hinsichtlich der Akzeptanz der Ausgleichflächen nicht und es wird ihn wohl auch niemals geben. Denn bislang hat gar keine Abwanderung auf die abgelegenen Ersatzwiesen stattgefunden. Ganz im Gegenteil ist die Population auf der Projektfläche im Vorjahr sogar signifikant angewachsen.
Wenn ab sofort – wie im aktuellen ökologischen Quartalsbericht offiziell kundgetan – die Hälfte des Projektgebiets nicht mehr gepflegt werden soll und somit verbrachen wird, verstößt dies eindeutig gegen den rechtskräftigen Bescheid der Behörde: Weder existiert ein gesicherter Nachweis über die Abwanderung der Ziesel, noch bleibt ein, quantitativ und qualitativ vergleichbares, Ausmaß an bereits akzeptiertem Lebensraum erhalten.
Die Naturschutzbehörde muss nun endlich ihre unnachvollziehbare Passivität überwinden und die korrekte Einhaltung des Ziesel-Bescheids wirkungsvoll durchsetzen. Andernfalls läuft Wien Gefahr, dass im Naturschutz endgültig Vorgehensweisen, hart an der Grenze zu Wildwest Sitten, einreißen.
Noch mehr Ziesel-Zoff durch weiteres Bauvorhaben
Als wäre die Situation nicht ohnehin schon verfahren genug, steigt nun das ÖVW als weiterer Player in die aufgeheizte Arena und will dort viel Geld in Wohnbau investieren – als ob dies nicht anderswo mit weitaus weniger Risiko möglich wäre.
Ausgerechnet dort, wo im Mai 2011 durch aufmerksame Bürger zahlreiche Zieselbaue entdeckt wurden, soll ein weiteres Großprojekt durchgezogen werden. Dessen Bauland grenzt unmittelbar an das schon länger bekannte, heftig umstrittene, Bauvorhaben der Bauträger Kabelwerk und Donau City an.
Obwohl die Behörden seinerzeit umgehend verständigt und seitdem wiederholt Pflegemaßnahmen bei der Wiener Umweltschutzabteilung urgiert wurden, passierte dort seither – gewollt oder ungewollt – nichts zum Schutz dieser Ziesel. Als frustrierende Konsequenz verbarcht das Teilhabitat seit seiner Entdeckung ungehindert. Dennoch finden sich im März 2014 zumindest entlang eines Trampelpfades, der durch das Grundstück führt, zahlreiche Hinweise auf Zieselbaue. Gewissheit über das Ausmaß der Besiedlung kann klarer weise erst nach Mahd der Brache erzielt werden.
Quelle der Karte: Stadt Wien – ViennaGIS
Aber selbst dann, wenn auf der Projektfläche kein einziges Ziesel mehr leben würde, darf es für das Projekt kein grünes Licht geben. Denn der überwiegende Teil der vorgesehenen Baukörper liegt innerhalb eines 50-Meter-Puffers, gemessen vom Rand des angrenzenden Ziesel-Vorkommens zum Bauzaun. Dieser Puffer gilt Kraft des Bescheids für die bisher angesuchten Bauaktivitäten nördlich des Heeresspitals und muss ergo auch für den neuen Bauträger gelten.
Die Realisierbarkeit des ÖVW-Projekts ist also direkt abhängig vom Gelingen der benachbarten Ziesel-Absiedlung. Bekanntlich ist dieses Vorhaben aber zum Megaflop geraten und Gegenstand einer naturschutzrechtlichen Beschwerde, die von der EU-Kommission nach genauer Prüfung aufgegriffen wurde.
Bildmaterial aus 2011 belegt Ziesel-Vorkommen auf Projektfläche
Ein unscheinbares, am 18. Mai 2011 auf Youtube hochgeladenes Video und weiteres, zeitgleich angefertigtes, Material dokumentierten, dass bereits damals auf dem nun designierten Bauland Zieselbaue existierten und die Fläche augenscheinlich Teil des Gesamthabitats war.
Zieselbaue in Mai 2011: Foto- und Videogalerie
Klare Sache für Expertin Hoffmann
Ziesel-Expertin Dr. Ilse Hoffmann (Uni Wien), die von uns um ihre fachliche Einschätzung ersucht wurde, macht in ihrer Antwort deutlich, dass auch sie auf dem historischen Material Bauöffnungen erkennen kann und 2011 dort selbst mindestens einen Zieselbau kartiert hat:
„Bei IMG_1060 bis _1072, IMG_1081 bis _1085 und den Videos 1, 2 und 4 handelt es sich m.E. um Bauöffnungen von Zieseln oder Hamstern. Besonders (ziesel)typisch das/die Bausystem/e in Videos 2 & 4 mit jeweils zwei relativ nahe beieinander liegenden Öffnungen.
Wie Sie erwähnen, habe ich 2011 auf gegenständlicher Fläche selbst mindestens einen Zieselbau festgestellt. Das Vorhandensein von Ziesel- bzw. Hamsterbauen wäre auch nicht weiter verwunderlich, da der Bewuchs zumindest zum damaligen Zeitpunkt durchaus mit naturnahen Lebensräumen vor der Mahd vergleichbar war.
Jetzt entschlossen für den Ziesel-Schutz handeln!
Wien im Jahr 2014: Rechtskräftige Bescheide sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Im Lebensraum, der am meisten vom Aussterben bedrohten Art, kommt es zu einer unverständlichen Inflation an Bauprojekten.
Während die EU-Kommission im Vorjahr einen ambitionierten Aktionsplan ins Leben gerufen hat, um die europaweit anhaltend drastischen Bestandsrückgänge in den Griff zu bekommen, geht Wien weiter seinen einsamen Weg, wo Profit Naturschutz eiskalt übertrumpft.
Forderungen des Floridsdorfer Parlaments werden von der Stadtregierung einfach vom Tisch gewischt, aber die Ziesel-Abwanderung bleibt ein reines PR-Märchen und die EU-Kommission stellt Österreich zu den Vorgängen beim Heeresspital zur Rede. Österreichs leidgeprüften Steuerzahlern drohten eine saftige Millionenstrafe aus Brüssel und die Finanzierung teurer Wiederansiedlungsprogramme.
Dennoch geben sich die Verantwortlichen optimistisch und pumpen sogar noch mehr Geld in die Projekte. Grund gibt es dazu freilich keinen, denn Dr. Hoffmann scherte zuletzt gegenüber dem Kurier aus der Schönwetter-Inszenierung aus. Es gäbe keine Garantie für den Erfolg der Absiedlung, denn die Ausgleichsflächen wären „nicht optimal“, weil sie nicht an das aktuelle Habitat angrenzen, so die Expertin.
In dieser trostlosen Situation ist nun die rot-/grüne Stadtregierung gefordert die Reißlinie zu ziehen. Floridsdorfs Lokalpolitik und schon viele tausende Menschen fordern, die Bauprojekte nördlich des Heeresspitals abzusiedeln und stattdessen ein Naturschutzgebiet zum dauerhaften Schutz der Tiere einzurichten. Mit zwei Millionen Quadratmetern besitzt die Stadt Wien genügend Ersatzbauland für den überfälligen Befreiungsschlag.
Bitte setzen auch Sie ein starkes Zeichen für die Respektierung des Naturschutzes und unterstützen Sie mit Ihrer Unterschrift die Petition zum Schutz der Ziesel!