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Archive for August 2013

Ziesel-Mutter mit Kind nördlich Wiener Heeresspital

Das Europäische Ziesel steht in Österreich auf Platz 1 der Roten Liste. Trotz strengstem Schutz gehen seine Bestandszahlen europaweit kontinuierlich zurück. Um wirkungsvoll entgegenzuwirken, hat die EU-Kommission kürzlich einen länderübergreifenden Ziesel-Aktionsplan initiiert.

Das kümmert die Stadt Wien freilich herzlich wenig. Sie peitscht beim Heeresspital, im Lebensraum einer der landesweit letzten großen Ziesel-Kolonien, einen großangelegten Bauträgerwettbewerb durch. Im Zuge dessen sollen drei von insgesamt sechs Bauplätzen um immense Summen den Besitzer wechseln.

Wenig überraschend geriet jedoch die Ausschreibung zum veritablen Flop. Bloß vier Einreichungen für zwei Flächen gingen ein. Für den dritten und zugleich größten Bauplatz interessierte sich gleich gar niemand.

Doch auch diese vier „waghalsigen“ Teilnehmer sollten ihr Engagement beim Heeresspital nochmals gründlich überdenken. Hohen Investitionen von ca. 1,5 Mio. bzw. 3,3 Mio. Euro stehen enorme Risiken gegenüber.

Da die Wettbewerbsbedingungen den Rechtsweg ausschließen, schließen die Käufer somit „Naturschutz-Wetten“ auf das Gelingen der Ziesel-Abwanderung ab. Gewiss wäre dagegen nichts einzuwenden, kämen die Wetteinsätze aus den eigenen Taschen der Verantwortlichen.

Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal erläutert im Detail, wo potentielle Fallstricke für die Bewerber liegen können. Dazu veröffentlichen wir nun auch sämtliche Beilagen des Bescheids der Naturschutzbehörde MA 22. In diesen Anlagen verbergen sich nämlich gravierende Hürden, so etwa eine 50 Meter breite, zwingend zieselfreie Pufferzone um jeden Bauplatz.

Letztlich droht die Versenkung von weiteren Millionenbeträgen beim Heeresspital, wo das Ziesel-Vorkommen schon vor Beginn der Planungen amtsbekannt war. Viel Geld, das anderenorts wohl mit weitaus weniger Unsicherheiten investiert werden könnte.

Alle Beilagen des MA 22-Bescheids

Der naturschutzrechtliche Bescheid der MA 22, der die Absiedlung der Ziesel beim Heeresspital autorisiert, verweist auf sieben Beilagen, die integrale Bestandteils des Bescheids bilden:

„Die Ausführung der beantragten Maßnahmen muss den Einreichunterlagen (Beilagen 1-7), die Bestandteile dieses Bescheides bilden, entsprechen.“

Speziell Beilage 1 wartet mit heftigen Restriktionen auf. Darüber hinaus liefert das im Vorfeld des Bescheids erstellte Amtsgutachten wertvolle Informationen, insbesondere über das tatsächliche Ausmaß der Artenvielfalt im Projektgebiet und die bemerkenswerte Auslegung des Artenschutzes durch die Behörde.

Naturschutzrechtlicher Bescheid der MA 22

Beilage 1 / Beilage 2 / Beilage 3 / Beilage 4 / Beilage 5 / Beilage 6 und 7

Amtsgutachten / Ausschreibungstext des Bauträgerwettbewerbs

Übersicht über die Bauplätze nördlich des Heeresspitals

Bauplätze im Ziesel-Lebensraum nördlich des Wiener Heeresspitals

Quelle: wohnfonds_wien

Für Bauplatz 4 (Kaufpreis 1,49 Mio. Euro) liegen Beiträge von den Bauträgern MIGRA, Familienwohnbau und Siedlungsunion vor.

Für Bauplatz 5 (Kaufpreis 3.32 Mio. Euro) gibt es lediglich eine Einreichung von der SPÖ-nahen Sozialbau.

Für Bauplatz 1, den man auf Basis von 50 jährigem Baurecht weitergeben wollte, fanden sich keine Interessenten.

Ausgeschlossener Rechtsweg wie bei „DKT-Partie“

Im Ausschreibungstext machen die Auslober des Bauträgerwettbewerbs, Kabelwerk und Donau City, unmissverständlich klar, dass sie keine Gewähr für die Abwanderung der Ziesel übernehmen:

„Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass gem. beiliegendem Bescheid der MA22, vom 10. April 2013, (siehe „Zusatzinformationen“) die Bauarbeiten erst dann begonnen werden dürfen, wenn auf dem jeweiligen Bauplatz keine Ziesel, Feldhamster oder andere geschützte Tierarten mehr vorkommen. Die Auslober übernehmen keine Garantie hinsichtlich der tatsächlichen Realisierbarkeit des Projektes.“

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!

Mit dem Erwerb eines der Bauplätze wird also in Kauf genommen, dass dieser möglicherweise niemals verwertet werden kann und der Käufer auf den gesamten Kosten sitzenbleibt. Anders als in ihren öffentlichen Auftritten sind die Auslober offensichtlich nicht vom Erfolg der Lenkungsmaßnahmen überzeugt und wälzen das Risiko lieber auf ihre Kunden ab.

Angesichts der evident riskanten Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, warum überhaupt Angebote eingelangt sind. Schließlich geht es hier im Gegensatz zum Spieleklassiker DKT um reales Geld, womöglich unter Inanspruchnahme von Krediten. Durchschnittliche „Häuslbauer“ würden wohl dankend ablehnen und sich anderenorts nach Alternativen umsehen.

50 Meter-Pufferzone um Bauplätze als Show-Stopper

Um auf einem Bauplatz die Bautätigkeit aufnehmen zu können, dürfen darauf keine Ziesel mehr vorkommen. Darüber hinaus sieht Bescheid-Beilage 1 noch zusätzlich eine 50 Meter-Pufferzone rund um jeden Bauplatz vor. Diese muss ebenso frei von Zieseln sein muss. Erst dann können die Bauarbeiten – vielleicht – beginnen.

Wenn auch nur ein einziges Ziesel in die Pufferzone zurückwandert, käme es am betroffenen Bauplatz zu einem sofortigen Baustopp. Ob und wann die Tätigkeit dann wieder aufgenommen werden kann, steht in den Sternen.

Skizze der jeweiligen 50m-Pufferzonen um die Bauplätze 1, 3, 4 und 5

Jede der sechs Pufferzonen und damit auch jene der zum Verkauf stehenden Bauplätze 4 und 5, ist heute augenscheinlich von Zieseln besiedelt (siehe aktuelles Bild). Daher ist auf absehbare Zeit kein Beginn von Bauarbeiten denkbar und eine künftige Verwertung direkt durch Vorgänge außerhalb des Bauzauns bestimmt.

Zieselbau nördlich des Heeresspital im August 2013

Zieselbau nächst Bauplatz 4  (August 2013)

Dichtes relevantes Ziesel-Vorkommen auch innerhalb des Heeresspitals

Verteilungskarte Ziesel beim Heeresspital. Quelle: Ilse Hoffmann, Universität Wien, Stand 09/2011

Quelle: Präsentation von Ilse Hoffmann, Universität Wien, Stand 09/2011

Die 50m-Pufferzonen um die Bauplätze 4 und 5 reichen unübersehbar auf das Areal des Heeresspitals hinein. Jedoch sind nahezu sämtliche Grünflächen innerhalb des Heeresspital-Geländes von in Summe ca. 600 Zieseln besiedelt, darunter auch Wiesen im Bereich der 50 Meter-Pufferzonen (Stand 2011).

Der MA 22-Bescheid betrifft aber nicht das militärische Gelände innerhalb des Heeresspitals. Somit können und werden dort auch keine Lenkungen, Umsiedlungen, Abtransporte oder sonstigen Maßnahmen gegen streng geschützte Tiere stattfinden.

Da es am Heeresspital-Gelände seit 2011 keine weiteren Untersuchungen gab, ist aufgrund der präventiven Intention der Naturschutzgesetze jedenfalls davon auszugehen, dass die 50m-Pufferzonen um Bauplatz 4 und 5 unverändert von Zieseln besetzt sind oder jederzeit wiederbesiedelt werden können (siehe Verbreitungskarte oben).

Völlig aussichtlos erscheint die Lage am Bauplatz 5, denn dieser liegt sogar zum Teil am heutigen Areal des Heeresspitals (Grundstück 868/13, KG 01616). Ebenso führt die zur Projektfläche gehörige Zufahrtsstraße über Grünflächen innerhalb des Heeresspitals (Grundstück 868/14).

Bauplatz 5 liegt zum Teil am Heeresspital-Areal. Quelle: Stadt Wien – ViennaGIS

Bauplatz 5 liegt zum Teil am Heeresspital-Areal. Quelle: Stadt Wien – ViennaGIS

Alle 15 vorkommenden geschützten Arten sind zu berücksichtigen

Das Gebiet nördlich des Wiener Heeresspitals ist ökologisch besonders wertvoll. Der naturschutzrechtliche Bescheid führt aus, dass dort insgesamt 15 geschützte Arten vorkommen (die im Widmungsverfahren allerdings niemanden interessiert haben):

„Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass folgende streng geschützte und geschützte Tierarten auf den Flächen nördlich des Heeresspitals vorkommen: Europäisches Ziesel, Feldhamster, Neuntöter, Star, Zauneidechse, Graue Beißschrecke, Langflügelige Schwertschrecke, Italienische Schönschrecke, Weißrandiger Grashüpfer, Kleines Wiesenvögelchen, Hauhechel- Bläuling, Kleiner Kohlweißling, Blaue Federlibelle, Kartäuserschnecke und Wiener Schnirkelschnecke.“

An dieser Stelle gilt es zu bedenken, dass die MA 22 in ihrem Bescheid lediglich den Abtransport von insgesamt maximal 10 Zieseln oder Feldhamstern erlaubt und sonst nichts. Ausdrücklich aufrecht bleibt hingegen das strenge Naturschutzgesetz für alle anderen Tierarten:

„ Die Antragstellerinnen dürfen mit Bauarbeiten auf dem jeweiligen Baufeld erst beginnen, wenn auf diesem keine Ziesel, Feldhamster oder andere geschützte Tierarten mehr vorkommen und zumindest 2 Wochen vor Beginn der Bauarbeiten dem Magistrat der Stadt Wien – Magistratsabteilung 22 ein entsprechender Bericht der ökologischen Aufsicht vorgelegt wurde.“

In der Praxis könnten die Erreichung des notwendigen Zustands und dessen Nachweis äußerst schwierig werden. Insbesondere die streng geschützte Zauneidechse (Lebensraumschutz am gesamten Wiener Stadtgebiet) ist am gesamten Feld nördlich des Heeresspitals mit zunehmender Dichte anzutreffen.

Sollte also Zauneidechsen oder andere streng geschützte Tiere auf einem Bauplatz vorkommen, braucht es weitere Ausnahmegenehmigungen der Naturschutzbehörde. Ob und wann diese erteilt werden würden, ist nicht absehbar. 2011 hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht in einem bemerkenswerten Entscheid die Absiedlung einer vergleichbaren Zauneidechsen-Population untersagt:

„Bei der Umsiedlung von Zauneidechsen erscheint es ausgeschlossen, der Tiere auf einer Fläche von mehreren Hektar mit habitattypischen Versteckmöglichkeiten auch nur annähernd vollständig habhaft zu werden. Die Aussage, es lasse sich eine „relativ hohe“ Fangquote erzielen lässt den Schluss zu, dass zumindest einzelne Tiere im Zuge der Baufeldfreimachung erdrückt werden. Daran kann auch eine Umweltbaubegleitung nichts ändern. Damit ist auch hier der Tötungstatbestand erfüllt! Eine Privilegierung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG kommt nicht in Betracht, da in der FFH-Richtlinie keine vergleichbare Einschränkung des Tötungsverbotes vorgesehen ist.“

Bei der Ziesel-Wanderung im Juni 2013 konnten sich dutzende Menschen persönlich davon überzeugen, dass die streng geschützten Tiere am Feld nördlich des Heeresspitals umherflitzen:

Zauneidechse nördlich Wiener Heeresspital, (C) Ingrid Pölcz

 Zauneidechse nördlich des Wiener Heeresspitals, (C) Ingrid Pölcz

De Facto-Baustopp während acht Monaten Ziesel-Winterschlaf

Wie ihre nächsten Verwandten, die Murmeltiere, halten auch die Ziesel einen bis zu acht Monate langen Winterschlaf (Quelle: wien.at). Gemäß Beilage 1 des MA 22-Bescheids ist für diese sensible Periode die Bautätigkeit massiv eingeschränkt:

„Daher ist auch nach Evakuierung des Baulands zu berücksichtigen, dass Vibrationen, wie sie z.B. von LKW und Baumaschinen hervorgerufen werden, zur Störung des Winterschlafs in angrenzenden Bereichen führen können. Dies ist für Winterschläfer äußerst riskant, weil die dadurch bedingten Aufwärmphasen für fast den gesamten Energieverbrauch des Winterschlafs verantwortlich sind. Wenn Winterschläfer sterben, geschieht dies vermutlich meist am Beginn solcher Aufwärmphasen. Bauarbeiten, die Erderschütterungen im Nahbereich von Ziesel- und Hamstervorkommen hervorrufen, sollten zwischen Oktober und März unterbleiben.“

Zwar ist hier durch den Text nur eine Periode von sechs Monaten vorgegeben. Da nach Stand der Wissenschaft der Ziesel-Winterschlaf bis zu acht Monate dauern kann (Quelle: Ilse Hoffmann), ist jedoch von einem entsprechend längeren Zeitfenster an massiv eingeschränkter Bautätigkeit – mit allen resultierenden zeitlichen und monetären Konsequenzen – auszugehen. Auch ist klarerweise für die Bauplätze 4, 5 und 6 wiederum die Nachbarschaft zu dem von Zieseln dicht besiedeltem Heeresspital-Areal zu berücksichtigen.

Mangelhafter Bescheid auf rechtlich wackeligen Beinen

In Fragen des Naturschutzrechts versierte Experten sehen eine Reihe handfester Anknüpfungspunkte um gegen den naturschutzrechtlichen Bescheid der MA 22 vorzugehen. Um nur ein besonders gravierendes Beispiel zu nennen: Die europarechtlich zwingend erforderliche Evaluierung alternativer Projektstandorte hat schlicht nicht stattgefunden. Warum auch immer …

Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal prüft derzeit intensiv Optionen um gegen die Ziesel-Absiedlung juristisch vorzugehen. So ist es gut möglich, dass involvierte Bauträger über Nacht ohne Rechtsgrundlage für ihre Bautätigkeit dastehen werden.

Eingereichter Zeitplan bereits obsolet

Der vorgelegte Zeitplan, der als Beilage 3 verbindlicher Teil des MA 22-Bescheids ist, ist schon nach wenigen Monaten hinfällig geworden. Denn bislang existiert kein Nachweis, dass auch nur ein einziges Ziesel vom Feld nördlich des Heeresspitals auf eine der Ausgleichsflächen abgewandert ist.

Da nun (Ende August 2013) bereits die ersten Ziesel ihren Winterschlaf beginnen, werden 2013 mit Sicherheit keine Umlenkungen mehr stattfinden. Somit ist auch das für April 2014 angesetzte Abtransportieren von Restexemplaren nicht mehr einzuhalten.

Wenn es 2013 zu keinen nachweisbaren Abwanderungen von Zieseln gekommen ist, warum sollten diese plötzlich 2014, 2015 oder sonst wann beginnen?

Verantwortungen und Respekt gegenüber der Umwelt

Viele Gründe sprechen gegen weitere Investments beim Wiener Heeresspital. Ein wesentlichster wurde noch nicht genannt: Verantwortung gegenüber der Umwelt und kommenden Generationen, denen wir, soweit es in unseren jeweiligen Kräften liegt, eine möglichst intakte Natur mit all ihrer wunderbaren Vielfalt hinterlassen sollten.

Die Gemeinde Wien besitzt fast 2 Mio. Quadratmeter an Bauland. Um die Stadt auch in Zukunft mit Wohnraum zu versorgen, muss wohl niemand für die Ziesel am Marchfeldkanal die Büchse der Pandora öffnen. In Wien können Menschen und Wildtiere auf absehbare Zeit friedlich nebeneinander existieren, ohne dass die einen gegen die anderen ausgespielt werden müssen.

Daher ist es an der Zeit das von Floridsdorf verlangte Naturschutzgebiet rund um das Heeresspital, zum nachhaltigen Schutz der dort ansässigen, selten gewordenen Arten, auf Schiene zu bringen. Viele Wienerinnen und Wiener unterstützen bereits die gleichlautende Petition. Bitte unterschreiben auch Sie!

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Monsterschild am Marchfeldkanal visualisiert Zieselumlenkung beim Heeresspital

Kein einziges Ziesel ist bislang vom Feld nördlich des Heeresspitals abgewandert. Trotzdem könnten die wehrlosen Tiere schon bald tonnenschweren Baggern gegenüberstehen!

Denn von Flächen, die nach Meinung der Bauträger derzeit nicht von Zieseln besiedelt sind, soll – laut Auskunft des beauftragten Baukonzerns – schon demnächst die Humusschicht abgetragen werden. Durch anschließendes Planieren will man eine Wiederansiedlung der ungeliebten Nager verhindern.

Der Startschuss für die Bauarbeiten fällt wohl nicht zufällig mit dem gerade in Gang befindlichen Bauträgerwettbewerb zusammen. Schließlich gilt es doch Käufer für drei der insgesamt sechs Bauplätze zu finden. Zweifel am Erfolg der Ziesel-Lenkungsmaßnahmen sollen bei den potentiellen Großinvestoren erst gar nicht aufkommen.

Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal stellt den zugrundeliegenden naturschutzrechtlichen Bescheid nun online und zeigt einige seiner augenscheinlichsten Defizite und Ungereimtheiten auf.

Wir werden wir uns jedenfalls mit Nachdruck dafür einsetzen, dass zumindest dieses absolute Minimum an Restnaturschutz auf Punkt und Beistrich eingehalten wird. Zugleich prüfen wir derzeit intensiv Optionen um gegen den Bescheid juristisch vorzugehen.

Schrittweise Verbauung als potentielle Vertreibungsmaßnahme

>> Der MA 22-Bescheid – Zum Downloaden hier klicken <<

Download MA 22 – 593/2012, Wien 21, Flächen nördlich des Heeresspitals, Bewilligung nach dem Wiener NaturschutzgesetzDer signifikanteste Punkt des von der Wiener Naturschutzbehörde MA 22 erlassenen Faserschmeichler-Bescheids sticht sofort ins Auge: Auf jedem der sechs Bauplätze darf, sofern sie nachweislich frei von geschützten Arten sind, umgehend mit Bautätigkeiten begonnen werden.

Bauplatz für Bauplatz kann das Feld von Westen her aufgerollt und so Schritt für Schritt das Gesamtprojekt realisiert werden. Denn es ist unschwer absehbar, dass auf Nachbarbauplätzen verbliebene Tiere, aufgrund der heftigen Auswirkungen der Bautätigkeit (Bodenvibrationen, Lärm und Schmutz), in Panik die Flucht ergreifen und letztlich das gesamte Feld räumen werden.

Die Effektivität dieses Vorgehens hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt. Als ab etwa 2005 in näherer Umgebung Wohnbauten errichtet wurden, kam es in der Folge zu einem sprunghaften Anstieg der Ziesel-Population innerhalb des Heeresspital-Areals.

Weitere wesentliche Vorteile liegen auf der Hand. Der kolportierte Zeitplan kann mit Hinblick auf das nahende Wahljahr 2015 durchgepeitscht werden. Ohne sich beim Pflügen der Projektfläche das öffentliche Image anzupatzen, kann zudem die „freiwillige“ Abwanderung aller Ziesel medial als beispielloser Erfolg gefeiert werden.

Anonyme Monstertafel verkündet „erste Projektumsetzungsschritte“

Anonymes Monsterschild am Marchfeldkanal visualisiert Zieselumlenkung beim HeeresspitalEin kürzlich am Marchfeldkanal aufgestelltes Super-Size-Board, verkündet die bevorstehenden Planierungsarbeiten euphemistisch als „erste Projektumsetzungsschritte“.

Viele der angeführten Fakten sind zweifelhaft oder gar objektiv falsch. Einzig spannend ist die abgebildete Grafik. Sie veranschaulicht gleichermaßen die vordergründig kommunizierte Lenkung der Ziesel auf weit verstreute Ausgleichsflächen, als auch die drohende schrittweise Verbauung des Areals vom Westen her.

Farbenfrohe Logos oder sonstige Hinweise auf die Verantwortlichen sucht man auf dem eigentümlichen Monument freilich vergebens. Selbst die Naturschutzbehörde wird abstrakt als „zuständige Stelle“ umschrieben. Das ursprünglich angebrachte Taferl mit dem Namen der involvierten Baufirma und der von ihr gesponserten Festspiele wurde wieder abmontiert.

Wer will schon gerne mit Offensivmaßnahmen in Verbindung gebracht werden, die sich in einem der letzten großen Habitate jener Tierart zutragen, die in Österreich auf Platz 1 der Roten Liste steht?

Klares gesetzliches „NUR DANN“ ist für Behörde kein Hindernis

Was den Ziesel-Schutz betrifft, befindet sich die weisungsfreie MA 22 seit mehreren Jahren in einer veritablen Formkrise. Schon 2009 im Widmungsverfahren war der Behörde in ihrer Stellungnahme das amtsbekannte Ziesel-Vorkommen am Areal des Heeresspitals keine Erwähnung wert. Der Positivbescheid zur Absiedlung der Ziesel lässt den Leser wegen vieler Widersprüchlichkeiten, Auslassungen und nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerungen abermals staunend zurück.

Auf Seite 5 zitiert die Behörde korrekt die notwendigen naturschutzrechtlichen Voraussetzungen zur Erteilung einer Ausnahmebewilligung im Artenschutz:

„Nach § 11 Abs. 4 Wiener Naturschutzgesetz kann die Bewilligung nach Abs. 2 und 3 nur dann erteilt werden, wenn 1. der Antragsteller glaubhaft macht, dass es keine andere zufriedenstellende Lösung im Sinne des Art. 16 Abs. 1 der Fauna-Flora-Habitat – Richtlinie und Art. 9 Abs. 1 der Vogelschutz-Richtlinie gibt und 2. der Erhaltungszustand der betroffenen Art im Gebiet der Bundeshauptstadt Wien trotz Durchführung der bewilligten Maßnahme günstig ist.“

In der Folge hält sie auf Seite 9 fest, dass der Erhaltungszustand des Ziesels landesweit „nicht günstig“ ist:

„Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass der Erhaltungszustand des Ziesels in Österreich und in Wien derzeit als nicht günstig einzustufen ist. Dies wird damit begründet, dass in Österreich ein starker Verbreitungsrückgang mit einer Fragmentierung der Lebensräume zu beobachten ist.“

Dieser klaren gesetzlichen Restriktion zum Trotz, zaubert die Behörde in der Folge das „Wolfsjagd-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2007 hervor. Demnach seien Eingriffe auch dann zulässig, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhaltungszustand einer Population nicht verschlechtern oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern kann.

Bezogen auf Wien ist die Verteidigung, wonach das lokale Naturschutzgesetz bloß EU-Recht umsetzt, ohne Relevanz. Einerseits ist das Wiener Naturschutzgesetz auch in anderen, sehr wesentlichen Punkten noch restriktiver als die europäische Fauna-Flora-Habitatsrichtlinie. Andererseits hätte 2012, anlässlich der Novellierung des Wiener Naturschutzgesetzes, die Möglichkeit bestanden, die gesetzlichen Vorgaben (fünf Jahre nach besagtem EU-Urteil) entsprechend aufzuweichen.

Darüber hinaus bleibt die Behörde den hinreichend schlüssigen Nachweis, dass sich der ungünstige Erhaltungszustand der betroffenen Population nicht weiter verschlechtert wird, offenkundig schuldig. Ganz im Gegenteil führt sie aus, dass in Österreich ein starker Verbreitungsrückgang der Ziesel zu beobachten ist, die mit Fragmentierung ihrer Lebensräume einhergeht. Die vorsätzliche Fragmentierung des Habitats (weit verstreute Ersatzflächen) ist jedoch zentrales Element der „Ausgleichslösung“ beim Heeresspital und impliziert per se eine Verschlechterung des Erhaltungszustands der betroffenen Population.

Auswirkungen auf Gesamtpopulation werden ignoriert

Ziesel-Population rund um das Heeresspital. Quelle: Uni Wien, I. Hoffmann, Stand 9/2011Beharrliches Kleinreden der betroffenen Ziesel-Population zieht sich wie roter Faden durch den gesamten Bescheid. Obwohl rund um das Wiener Heeresspital mehr als 800 Ziesel leben (Österreich: nur noch 15.000 bis 30.000), fokussiert sich die MA 22 ausschließlich auf die rund 170 Tiere am Bauland im nördlichen Bereich.

Absehbare Konsequenzen für die übrige Population am Areal des Heeresspitals und südlich davon, werden hingegen von der Behörde völlig ignoriert:

  • Die Wirkungen der Baustelle (Schmutz, Lärm und Bodenvibrationen) werden sicher nicht am Zaun des Heeresspitals halt machen.
  • Das Bauprojekt umfasst die Grundstücke 868/13 und 868/14 (KG 01616) die beide zum Teil am heutigen Areal des Heeresspitals liegen und dieses somit direkt betreffen!
  • Auch fiele die verbliebene Restpopulation nach Absiedlung der nördlichen Ziesel unter die kritische Schwelle von 700 Individuen, die – wie die Behörde im Bescheid selbst festhält – für den dauerhaften Erhalt einer Population notwendig sind:

„Es ist aber eine gewisse Anzahl von Exemplaren (ca. 700), die miteinander in Austausch stehen, für den dauerhaften Erhalt einer Population notwendig.“

Umgekehrt ist davon auszugehen, dass eine versprengte Kolonie von nur 170 Zieseln, verteilt auf weit verstreute Einzelflächen, folglich dem Untergang geweiht ist.

Skurrile Zählmethoden für Akzeptanz der Ausgleichsflächen

Visualisierung der Ziesel-Ausgleichsflaechen beim Wiener HeeresspitalSo wie wenn ein Hund auf die Wurst aufpassen soll, lässt die Behörde den Bauträgern freie Hand bei der Erhebung, ob und in welchem Umfang die Ausgleichsflächen durch die Zieseln angenommen werden. In Wahrheit ist dies ist jedoch ein kritischer Aspekt. Denn erst wenn sich auf der Ausgleichsfläche mindestens die Hälfte der Ziesel selbstständig angesiedelt haben, wie gleichzeitig noch auf dem Bauland ansässig sind, darf mit den Lenkungsmaßnahmen begonnen werden.

Nach Meinung von MA 22 und Wiener Umweltanwaltschaft steht die Akzeptanz der Ersatzflächen bereits dann fest, wenn sich nur EIN EINZIGES Ziesel vom Feld nördlich des Heeresspitals auf eine der Ausgleichsflächen verirrt. Die Herkunft aller übrigen Tiere ist demnach nicht von Belang. Von der Wiener Umweltanwaltschaft, die sich entgegen ihres Namens bei den Heeresspital-Zieseln bisher in größtmöglicher Zurückhaltung geübt hat, heißt es dazu:

„Für den Weiterbestand der Population ist es im gegenständlichen Fall unwesentlich, woher die Ziesel auf den Ausgleichsflächen zuwandern. Die Art des Nachweises der Zuwanderung von Zieseln nördlich des Heeresspitals ist dem Antragsteller überlassen, der Wiederfang eines gechipten Tieres wäre eine Möglichkeit. Ein Nachweis auf A2 wäre ausreichend, wenn sich in den gesamten Ausgleichsflächen mindestens ebenso viele zugewanderte Ziesel angesiedelt haben, wie gleichzeitig noch auf Bauland ansässig sind.“

Ausgleichfläche A3 ist bereits heute von Zieseln besiedelt – die MA 22 hat Kenntnis davon – und grenzt an das Heeresspital-Areal unmittelbar östlich davon an. Mit dem Projektgebiet nördlich des Heeresspitals ist die Fläche jedoch nur über einen schmalen Korridor A2 verbunden (siehe Lageplan). Bei zusätzlicher Attraktivierung von A3 ist klarerweise auch eine vermehrte Besiedlung durch Ziesel, kommend vom Heeresspital-Areal, zu erwarten.

Um mit dem Vertreiben der Ziesel nördlich des Heeresspitals beginnen zu können, reicht es also aus, A3 mit ausreichend vielen Zieseln aus dem Heeresspital zu „befüllen“ und dann auf A2 noch ein einziges Individuum aus dem Projektgebiet anzutreffen! Wie sich betreffendes Ziesel als solches zu erkennen gibt, ist für die Behörden jedenfalls von nachrangiger Bedeutung.

Wiener Naturschutz auf Tauchstation – trotz Alternativen!

Rund 2 Millionen Quadratmeter an Baulandereserve befinden sind im Besitz der Stadt Wien. Für die Errichtung der rund 950 Wohnungen beim Heeresspital muss es also offensichtlich Alternativen an anderen Standorten geben.

Doch anstatt – wie auch vom Bezirksparlament Floridsdorf gefordert – zum Schutz der Ziesel-Population das Bauprojekt zu verlegen, hält die Stadt Wien stur an der hochriskanten Absiedlung der europaweit streng geschützten Tiere fest. Warum eigentlich?

Solange die Bagger noch nicht aufgefahren sind, ist es aber noch nicht zu spät um für den Erhalt der Ziesel-Population und die vielen anderen geschützten Tierarten beim Wiener Heeresspital zu kämpfen.

Nach wie vor besteht für Wienerinnen und Wiener die Möglichkeit, unsere Petition für die Absiedlung des Bauprojekts und ein Naturschutzgebiet rund um das Heeresspital zu unterzeichnen. Bereits 2.500 engagierte Menschen unterstützen unsere Aktion. Bitte unterschreiben auch Sie!

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