Das Europäische Ziesel steht in Österreich auf Platz 1 der Roten Liste. Trotz strengstem Schutz gehen seine Bestandszahlen europaweit kontinuierlich zurück. Um wirkungsvoll entgegenzuwirken, hat die EU-Kommission kürzlich einen länderübergreifenden Ziesel-Aktionsplan initiiert.
Das kümmert die Stadt Wien freilich herzlich wenig. Sie peitscht beim Heeresspital, im Lebensraum einer der landesweit letzten großen Ziesel-Kolonien, einen großangelegten Bauträgerwettbewerb durch. Im Zuge dessen sollen drei von insgesamt sechs Bauplätzen um immense Summen den Besitzer wechseln.
Wenig überraschend geriet jedoch die Ausschreibung zum veritablen Flop. Bloß vier Einreichungen für zwei Flächen gingen ein. Für den dritten und zugleich größten Bauplatz interessierte sich gleich gar niemand.
Doch auch diese vier „waghalsigen“ Teilnehmer sollten ihr Engagement beim Heeresspital nochmals gründlich überdenken. Hohen Investitionen von ca. 1,5 Mio. bzw. 3,3 Mio. Euro stehen enorme Risiken gegenüber.
Da die Wettbewerbsbedingungen den Rechtsweg ausschließen, schließen die Käufer somit „Naturschutz-Wetten“ auf das Gelingen der Ziesel-Abwanderung ab. Gewiss wäre dagegen nichts einzuwenden, kämen die Wetteinsätze aus den eigenen Taschen der Verantwortlichen.
Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal erläutert im Detail, wo potentielle Fallstricke für die Bewerber liegen können. Dazu veröffentlichen wir nun auch sämtliche Beilagen des Bescheids der Naturschutzbehörde MA 22. In diesen Anlagen verbergen sich nämlich gravierende Hürden, so etwa eine 50 Meter breite, zwingend zieselfreie Pufferzone um jeden Bauplatz.
Letztlich droht die Versenkung von weiteren Millionenbeträgen beim Heeresspital, wo das Ziesel-Vorkommen schon vor Beginn der Planungen amtsbekannt war. Viel Geld, das anderenorts wohl mit weitaus weniger Unsicherheiten investiert werden könnte.
Alle Beilagen des MA 22-Bescheids
Der naturschutzrechtliche Bescheid der MA 22, der die Absiedlung der Ziesel beim Heeresspital autorisiert, verweist auf sieben Beilagen, die integrale Bestandteils des Bescheids bilden:
„Die Ausführung der beantragten Maßnahmen muss den Einreichunterlagen (Beilagen 1-7), die Bestandteile dieses Bescheides bilden, entsprechen.“
Speziell Beilage 1 wartet mit heftigen Restriktionen auf. Darüber hinaus liefert das im Vorfeld des Bescheids erstellte Amtsgutachten wertvolle Informationen, insbesondere über das tatsächliche Ausmaß der Artenvielfalt im Projektgebiet und die bemerkenswerte Auslegung des Artenschutzes durch die Behörde.
Naturschutzrechtlicher Bescheid der MA 22
Beilage 1 / Beilage 2 / Beilage 3 / Beilage 4 / Beilage 5 / Beilage 6 und 7
Amtsgutachten / Ausschreibungstext des Bauträgerwettbewerbs
Übersicht über die Bauplätze nördlich des Heeresspitals
Quelle: wohnfonds_wien
Für Bauplatz 4 (Kaufpreis 1,49 Mio. Euro) liegen Beiträge von den Bauträgern MIGRA, Familienwohnbau und Siedlungsunion vor.
Für Bauplatz 5 (Kaufpreis 3.32 Mio. Euro) gibt es lediglich eine Einreichung von der SPÖ-nahen Sozialbau.
Für Bauplatz 1, den man auf Basis von 50 jährigem Baurecht weitergeben wollte, fanden sich keine Interessenten.
Ausgeschlossener Rechtsweg wie bei „DKT-Partie“
Im Ausschreibungstext machen die Auslober des Bauträgerwettbewerbs, Kabelwerk und Donau City, unmissverständlich klar, dass sie keine Gewähr für die Abwanderung der Ziesel übernehmen:
„Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass gem. beiliegendem Bescheid der MA22, vom 10. April 2013, (siehe „Zusatzinformationen“) die Bauarbeiten erst dann begonnen werden dürfen, wenn auf dem jeweiligen Bauplatz keine Ziesel, Feldhamster oder andere geschützte Tierarten mehr vorkommen. Die Auslober übernehmen keine Garantie hinsichtlich der tatsächlichen Realisierbarkeit des Projektes.“
„Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!“
Mit dem Erwerb eines der Bauplätze wird also in Kauf genommen, dass dieser möglicherweise niemals verwertet werden kann und der Käufer auf den gesamten Kosten sitzenbleibt. Anders als in ihren öffentlichen Auftritten sind die Auslober offensichtlich nicht vom Erfolg der Lenkungsmaßnahmen überzeugt und wälzen das Risiko lieber auf ihre Kunden ab.
Angesichts der evident riskanten Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, warum überhaupt Angebote eingelangt sind. Schließlich geht es hier im Gegensatz zum Spieleklassiker DKT um reales Geld, womöglich unter Inanspruchnahme von Krediten. Durchschnittliche „Häuslbauer“ würden wohl dankend ablehnen und sich anderenorts nach Alternativen umsehen.
50 Meter-Pufferzone um Bauplätze als Show-Stopper
Um auf einem Bauplatz die Bautätigkeit aufnehmen zu können, dürfen darauf keine Ziesel mehr vorkommen. Darüber hinaus sieht Bescheid-Beilage 1 noch zusätzlich eine 50 Meter-Pufferzone rund um jeden Bauplatz vor. Diese muss ebenso frei von Zieseln sein muss. Erst dann können die Bauarbeiten – vielleicht – beginnen.
Wenn auch nur ein einziges Ziesel in die Pufferzone zurückwandert, käme es am betroffenen Bauplatz zu einem sofortigen Baustopp. Ob und wann die Tätigkeit dann wieder aufgenommen werden kann, steht in den Sternen.
Skizze der jeweiligen 50m-Pufferzonen um die Bauplätze 1, 3, 4 und 5
Jede der sechs Pufferzonen und damit auch jene der zum Verkauf stehenden Bauplätze 4 und 5, ist heute augenscheinlich von Zieseln besiedelt (siehe aktuelles Bild). Daher ist auf absehbare Zeit kein Beginn von Bauarbeiten denkbar und eine künftige Verwertung direkt durch Vorgänge außerhalb des Bauzauns bestimmt.
Zieselbau nächst Bauplatz 4 (August 2013)
Dichtes relevantes Ziesel-Vorkommen auch innerhalb des Heeresspitals
Quelle: Präsentation von Ilse Hoffmann, Universität Wien, Stand 09/2011
Die 50m-Pufferzonen um die Bauplätze 4 und 5 reichen unübersehbar auf das Areal des Heeresspitals hinein. Jedoch sind nahezu sämtliche Grünflächen innerhalb des Heeresspital-Geländes von in Summe ca. 600 Zieseln besiedelt, darunter auch Wiesen im Bereich der 50 Meter-Pufferzonen (Stand 2011).
Der MA 22-Bescheid betrifft aber nicht das militärische Gelände innerhalb des Heeresspitals. Somit können und werden dort auch keine Lenkungen, Umsiedlungen, Abtransporte oder sonstigen Maßnahmen gegen streng geschützte Tiere stattfinden.
Da es am Heeresspital-Gelände seit 2011 keine weiteren Untersuchungen gab, ist aufgrund der präventiven Intention der Naturschutzgesetze jedenfalls davon auszugehen, dass die 50m-Pufferzonen um Bauplatz 4 und 5 unverändert von Zieseln besetzt sind oder jederzeit wiederbesiedelt werden können (siehe Verbreitungskarte oben).
Völlig aussichtlos erscheint die Lage am Bauplatz 5, denn dieser liegt sogar zum Teil am heutigen Areal des Heeresspitals (Grundstück 868/13, KG 01616). Ebenso führt die zur Projektfläche gehörige Zufahrtsstraße über Grünflächen innerhalb des Heeresspitals (Grundstück 868/14).
Bauplatz 5 liegt zum Teil am Heeresspital-Areal. Quelle: Stadt Wien – ViennaGIS
Alle 15 vorkommenden geschützten Arten sind zu berücksichtigen
Das Gebiet nördlich des Wiener Heeresspitals ist ökologisch besonders wertvoll. Der naturschutzrechtliche Bescheid führt aus, dass dort insgesamt 15 geschützte Arten vorkommen (die im Widmungsverfahren allerdings niemanden interessiert haben):
„Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass folgende streng geschützte und geschützte Tierarten auf den Flächen nördlich des Heeresspitals vorkommen: Europäisches Ziesel, Feldhamster, Neuntöter, Star, Zauneidechse, Graue Beißschrecke, Langflügelige Schwertschrecke, Italienische Schönschrecke, Weißrandiger Grashüpfer, Kleines Wiesenvögelchen, Hauhechel- Bläuling, Kleiner Kohlweißling, Blaue Federlibelle, Kartäuserschnecke und Wiener Schnirkelschnecke.“
An dieser Stelle gilt es zu bedenken, dass die MA 22 in ihrem Bescheid lediglich den Abtransport von insgesamt maximal 10 Zieseln oder Feldhamstern erlaubt und sonst nichts. Ausdrücklich aufrecht bleibt hingegen das strenge Naturschutzgesetz für alle anderen Tierarten:
„ Die Antragstellerinnen dürfen mit Bauarbeiten auf dem jeweiligen Baufeld erst beginnen, wenn auf diesem keine Ziesel, Feldhamster oder andere geschützte Tierarten mehr vorkommen und zumindest 2 Wochen vor Beginn der Bauarbeiten dem Magistrat der Stadt Wien – Magistratsabteilung 22 ein entsprechender Bericht der ökologischen Aufsicht vorgelegt wurde.“
In der Praxis könnten die Erreichung des notwendigen Zustands und dessen Nachweis äußerst schwierig werden. Insbesondere die streng geschützte Zauneidechse (Lebensraumschutz am gesamten Wiener Stadtgebiet) ist am gesamten Feld nördlich des Heeresspitals mit zunehmender Dichte anzutreffen.
Sollte also Zauneidechsen oder andere streng geschützte Tiere auf einem Bauplatz vorkommen, braucht es weitere Ausnahmegenehmigungen der Naturschutzbehörde. Ob und wann diese erteilt werden würden, ist nicht absehbar. 2011 hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht in einem bemerkenswerten Entscheid die Absiedlung einer vergleichbaren Zauneidechsen-Population untersagt:
„Bei der Umsiedlung von Zauneidechsen erscheint es ausgeschlossen, der Tiere auf einer Fläche von mehreren Hektar mit habitattypischen Versteckmöglichkeiten auch nur annähernd vollständig habhaft zu werden. Die Aussage, es lasse sich eine „relativ hohe“ Fangquote erzielen lässt den Schluss zu, dass zumindest einzelne Tiere im Zuge der Baufeldfreimachung erdrückt werden. Daran kann auch eine Umweltbaubegleitung nichts ändern. Damit ist auch hier der Tötungstatbestand erfüllt! Eine Privilegierung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG kommt nicht in Betracht, da in der FFH-Richtlinie keine vergleichbare Einschränkung des Tötungsverbotes vorgesehen ist.“
Bei der Ziesel-Wanderung im Juni 2013 konnten sich dutzende Menschen persönlich davon überzeugen, dass die streng geschützten Tiere am Feld nördlich des Heeresspitals umherflitzen:
Zauneidechse nördlich des Wiener Heeresspitals, (C) Ingrid Pölcz
De Facto-Baustopp während acht Monaten Ziesel-Winterschlaf
Wie ihre nächsten Verwandten, die Murmeltiere, halten auch die Ziesel einen bis zu acht Monate langen Winterschlaf (Quelle: wien.at). Gemäß Beilage 1 des MA 22-Bescheids ist für diese sensible Periode die Bautätigkeit massiv eingeschränkt:
„Daher ist auch nach Evakuierung des Baulands zu berücksichtigen, dass Vibrationen, wie sie z.B. von LKW und Baumaschinen hervorgerufen werden, zur Störung des Winterschlafs in angrenzenden Bereichen führen können. Dies ist für Winterschläfer äußerst riskant, weil die dadurch bedingten Aufwärmphasen für fast den gesamten Energieverbrauch des Winterschlafs verantwortlich sind. Wenn Winterschläfer sterben, geschieht dies vermutlich meist am Beginn solcher Aufwärmphasen. Bauarbeiten, die Erderschütterungen im Nahbereich von Ziesel- und Hamstervorkommen hervorrufen, sollten zwischen Oktober und März unterbleiben.“
Zwar ist hier durch den Text nur eine Periode von sechs Monaten vorgegeben. Da nach Stand der Wissenschaft der Ziesel-Winterschlaf bis zu acht Monate dauern kann (Quelle: Ilse Hoffmann), ist jedoch von einem entsprechend längeren Zeitfenster an massiv eingeschränkter Bautätigkeit – mit allen resultierenden zeitlichen und monetären Konsequenzen – auszugehen. Auch ist klarerweise für die Bauplätze 4, 5 und 6 wiederum die Nachbarschaft zu dem von Zieseln dicht besiedeltem Heeresspital-Areal zu berücksichtigen.
Mangelhafter Bescheid auf rechtlich wackeligen Beinen
In Fragen des Naturschutzrechts versierte Experten sehen eine Reihe handfester Anknüpfungspunkte um gegen den naturschutzrechtlichen Bescheid der MA 22 vorzugehen. Um nur ein besonders gravierendes Beispiel zu nennen: Die europarechtlich zwingend erforderliche Evaluierung alternativer Projektstandorte hat schlicht nicht stattgefunden. Warum auch immer …
Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal prüft derzeit intensiv Optionen um gegen die Ziesel-Absiedlung juristisch vorzugehen. So ist es gut möglich, dass involvierte Bauträger über Nacht ohne Rechtsgrundlage für ihre Bautätigkeit dastehen werden.
Eingereichter Zeitplan bereits obsolet
Der vorgelegte Zeitplan, der als Beilage 3 verbindlicher Teil des MA 22-Bescheids ist, ist schon nach wenigen Monaten hinfällig geworden. Denn bislang existiert kein Nachweis, dass auch nur ein einziges Ziesel vom Feld nördlich des Heeresspitals auf eine der Ausgleichsflächen abgewandert ist.
Da nun (Ende August 2013) bereits die ersten Ziesel ihren Winterschlaf beginnen, werden 2013 mit Sicherheit keine Umlenkungen mehr stattfinden. Somit ist auch das für April 2014 angesetzte Abtransportieren von Restexemplaren nicht mehr einzuhalten.
Wenn es 2013 zu keinen nachweisbaren Abwanderungen von Zieseln gekommen ist, warum sollten diese plötzlich 2014, 2015 oder sonst wann beginnen?
Verantwortungen und Respekt gegenüber der Umwelt
Viele Gründe sprechen gegen weitere Investments beim Wiener Heeresspital. Ein wesentlichster wurde noch nicht genannt: Verantwortung gegenüber der Umwelt und kommenden Generationen, denen wir, soweit es in unseren jeweiligen Kräften liegt, eine möglichst intakte Natur mit all ihrer wunderbaren Vielfalt hinterlassen sollten.
Die Gemeinde Wien besitzt fast 2 Mio. Quadratmeter an Bauland. Um die Stadt auch in Zukunft mit Wohnraum zu versorgen, muss wohl niemand für die Ziesel am Marchfeldkanal die Büchse der Pandora öffnen. In Wien können Menschen und Wildtiere auf absehbare Zeit friedlich nebeneinander existieren, ohne dass die einen gegen die anderen ausgespielt werden müssen.
Daher ist es an der Zeit das von Floridsdorf verlangte Naturschutzgebiet rund um das Heeresspital, zum nachhaltigen Schutz der dort ansässigen, selten gewordenen Arten, auf Schiene zu bringen. Viele Wienerinnen und Wiener unterstützen bereits die gleichlautende Petition. Bitte unterschreiben auch Sie!