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Archive for August 2017

Eines wurde seit dem Bekanntwerden der Zieselpopulation auf dem Bauland nördlich des Heeresspitals 2011 immer unverändert verlautbart: Gebaut darf auf einem Baufeld erst werden, wenn es alle Ziesel verlassen haben [1][2][3][4][5]. Wirklich?

Ein scheinbar immenser Aufwand wurde seitens Behörde und Bauträgern betrieben, um die auf den westlichen Baufeldern von Familienwohnbau und Kabelwerk lebenden, in ihrem Lebensraum streng geschützten Ziesel zu vertreiben. Jahrelanger Verbuschung folgte der Bodenabtrag und die Abdeckung mit Bauvlies. Zusätzlich sollte anscheinend ein “zieseldichter” Bauzaun verhindern, dass Tiere auf die geräumte Fläche zurückwandern. Man hat die Rechnung aber ohne die Ziesel gemacht.

Weitab von den “offiziell” besiedelten Flächen, tief Im Baufeld der Familienwohnbau wurde nun ein Ziesel gefilmt. Nachdem bereits in der jüngeren Vergangenheit an der betreffenden Stelle Ziesel gehört und gesehen wurden, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei nicht um einen unternehmungslustigen Ausflügler handelt, sondern, dass es in unmittelbarer Umgebung (also auf der Baustelle) seinen Bau hat. Nachdem auf dieser Fläche vor der Räumung nur noch ein Ziesel gelebt haben soll [6], liegt die Erfolgsquote der Räumung somit bei 0%.

Auflagen aus Gummi

Zur PR-Show namens “Wohnbau und Artenschutz sind vereinbar” gehörten neben der Beteuerung, nur auf zieselfreien Flächen bauen zu wollen, auch “Maßnahmen” die sicherstellen sollten, dass die auf den umgebenden Flächen lebenden Ziesel nicht durch die Bautätigkeit zu Schaden kommen. So wurde anfänglich jahrelang öffentlich betont, dass zwischen Bautätigkeit und dem nächstgelegenen Zieselbau ein Sicherheitsabstand von 50 m einzuhalten sei [7][8][11]. Um diese erfreulich klingende Forderung wurde es allerdings plötzlich sehr still, als man merkte, dass dies 2017 den Baustart auf den ersten Baufeldern unmöglich machen würde. Als situationselastische Alternative wurden daraufhin “Erschütterungsschwellwerte”, die beim Baustellenbetrieb einzuhalten seien, aus dem Hut gezaubert [9]. Bei einer Nicht-Überschreitung dieser würden sich die Ziesel auch nicht gestört fühlen, wurde aus Vergleichsmessungen nahe einer Bahnstrecke bei Mannswörth freihändig geschlossen. Es folgte auch eine Absichtserklärung der Bauträger:

Im Falle von bis zu zwei Überschreitungen pro Tag dürfen die Bauarbeiten bei größter Sorgfalt zur Vermeidung weiterer Überschreitungen 24 Stunden lang fortgeführt werden. Innerhalb dieses Zeitraumes hat jedoch eine Abklärung mit der Erschütterungstechnischen Bauaufsicht zu erfolgen und ist eine Freigabe der weiteren Bauarbeiten durch dieselbe erforderlich.
Ab 3 Überschreitungen pro Tag sind unmittelbar Maßnahmen zu setzen, welche weitere Überschreitungen verhindern. Für die Fortführung der Bauarbeiten ist die Zustimmung der erschütterungstechnischen Bauaufsicht erforderlich [9].

Nun liegen uns Messprotokolle [10] der drei Messstationen [11] im Baustellenbereich vor. An einem der Messpunkte wurde an mehreren Tagen bis zu siebenmal(!) der erlaubte Höchstwert (Maximalwert 28 mm/ s²) überschritten – ohne erkennbare Folgen für den Baubetrieb.

Die Reaktion der zuständigen Wiener Umweltbehörde darauf? Im begleitenden Schreiben zu den Messprotokollen meint sie lapidar

Die Wahrnehmung sowohl der ökologischen Auf-sicht als auch unserer Amtssachverständigen ist, dass Ziesel durch die Bautätigkeiten nicht beeinträchtigt wurden.[12]

Dumm, dass die Schwellenwerte keine bindenden Auflagen darstellen, da zur Genehmigung der Bautätigkeit ja kein ordentliches naturschutzrechtliches Verfahren durchgeführt wurde. Dieses war/ist laut Behörde auch nicht notwendig, da die Bauträger glaubhaft versichert haben, freiwillig die Erschütterungsgrenzwerte einzuhalten, um somit die Ziesel (die man eigentlich loswerden möchte) in der Umgebung keinesfalls zu beeinträchtigen…

Nachdem nun nach Aussage der Umweltbehörde auch bei Grenzwertüberschreitung keine Beeinträchtigungen der Ziesel wahrzunehmen sind – wobei hier von einer Wahrnehmung und nicht von einem Beweis die Rede ist – dürften bei der Genehmigung der Bautätigkeit auf der frisch geräumten Fläche der Sozialbau sowie des ÖVW die letzten Hemmschwellen fallen (Baueingänge finden sich dort direkt am Bauzaun). Man scheint inzwischen der Meinung zu sein, dass Bautätigkeit Zieseln prinzipiell egal ist, solange keine Baggerschaufel mitten durch die Nestkammer des Zieselbaus fährt.

Angesichts der offiziell verkündeten Harmlosigkeit von Baustellenbetrieb und dichter Wohnbebauung in direkter Nachbarschaft stellt sich allerdings die Frage, warum es anderenorts keine Zieselvorkommen in vergleichbarer Umgebung gibt. Schließlich müsste es unter diesen Voraussetzungen in etlichen Favoritner und Floridsdorfer Wohnanlagen von Zieseln nur so wimmeln.

Eines kann man jedoch als gesichert annehmen: Rechtzeitig vor dem Verschwinden des letzten Ziesels werden uns die Vertreterinnen und Vertreter der Wiener Stadtpolitik wie üblich aus diversen Medien großformatig lächelnd verkünden, wie großartig Wien doch Wohnbau und Artenschutz vereinbar macht.

[1] Kronen Zeitung 26.5.2012 – Es werden hier keine Maschinen auffahren solange es Ziesel gibt
[2] Wien Heute – 2013
[3] Wien Heute – 5.11.2013
[4] Wien Heute – 21.6.2015
[5] Heute – 4.4.2016
[6] Wiener Bezirkszeitung – 12.4.2016
[7] DerStandard – 9.10.2014
[8] BZ – 11.2.2016
[9] Maßnahme Erschütterungen, Unterlagen Messungen
[10] Erschütterungsmessprotokolle 04.2017-07.2017
[11] Übersichtplan Erschütterungsmonitoring
[12] Begleitschreiben zu Erschütterungsmessprotokollen

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