Feeds:
Beiträge
Kommentare

Archive for Juli 2016

Für die streng geschützten Ziesel nördlich des Heeresspitals wird es nun im wahrsten Sinne des Wortes eng. Während der Bestand seit Jahren gleich bleibt, wird seit April ca. ein Drittel der Projektfläche mit Erlaubnis der Wiener Umweltbehörde MA 22 für Ziesel unbewohnbar gemacht. Hatten die 260 Tiere im Jahr 2014 dort noch ca 6 ha Lebensraum zur Verfügung, sind es nun nur mehr 4 ha. Auch wenn durch unterlassene Pflege erreicht wurde, dass die nun bearbeiteten Flächen angeblich von Zieseln verlassen wurden, hat man das Ziesel-“Problem” lediglich innerhalb der Projektfläche verlagert, die geflüchteten Tiere stauen sich jetzt nämlich auf den übrigen zur Verbauung vorgesehenen Arealen, während man auf den Ausgleichsflächen weitgehend vergeblich nach Spuren von Zieseln sucht. Auf dem durch die “Zieselbrücke” angebundenen größeren Teil der Ausgleichsflächen war trotz intensiver Nachschau durch die IGL-Marchfeldkanal kein einziger Bau zu finden, lediglich eine direkt an das Heeresspital grenzende Teilfläche wird nach und nach von dort aus besiedelt.

abtragung-ohne_aufsicht

Abtragungsarbeiten – von der vorgeschriebenen Aufsicht keine Spur.

Trotz geschrumpftem Lebensraum könnte die bedrängte Population heuer wieder einen Rekordstand erreichen: Wurden im April 2015 104 benutzte Baue gezählt[1], so waren es heuer ganze 147[2] (Der Bestand ist nach dem Winterschlaf am niedrigsten und wächst durch die Jungtiere bis zu einem Maximum im Sommer).

Den Jungtieren, die sich um diese Jahreszeit selbstständig machen und auf den Winter vorbereiten müssen, um diesen zu überleben (u. a. eigene Baue anlegen und sich nebenbei Fett für ein halbes Jahr Winterschlaf anfressen), weht ein rauher Wind entgegen. Nicht nur, dass wie von der Behörde genehmigt, auf dem westlichsten Teil die oberste Erdschicht abgetragen und Bauviles ausgelegt wird, geht das Abdrängen der Tiere im Sinne einer Salamitaktik durch partielles Nicht-Mähen auf angrenzenden Teilen der Fläche unbeirrt weiter. Womit der für Ziesel geeignete enge Lebensraum noch weiter verkleinert wird. Auch auf der noch gemähten Fläche wird das Mahdgut nur zum Teil entfernt, d. h. die Pflege in diesen Bereichen ist bei weitem nicht optimal.

abtragung-salamitaktik

Weitere Teilflächen werden nicht gemäht

Die von der IGL-Marchfeldkanal befürchtete Anwendung einer Salamitaktik (stückweises verbuschen lassen mit anschließendem Bodenabtrag wenn die Fläche von Zieseln großteils verlassen wurde) scheint sich also, wenig überraschend, brutal zu bewahrheiten.

Ungewisse Zukunft

Die Zukunft der Zieselpopulation beim Heeresspital hängt davon ab, ob die Wiener Umweltbehörde ihrem Umweltschutz-Auftrag entsprechend auf die “kreative” Vorgehensweise der Bauträger reagieren kann – und vor allem will. Die bisher seltsam genug klingende Argumentation, die Behörde könne nur beurteilen was eingereicht wird (in diesem Fall nur eine Baufeldfreimachung), sollte die Behörde nicht davon abhalten, sich den Kopf einmal drüber zu zerbrechen, ob einer Baufeldfreimachung nicht doch noch flugs ein Bauvorhaben folgen könnte, welches Auswirkungen über die Baufeldgrenze hinaus besitzt die hier unbedingt zu berücksichtigen wären. Bei einem Autobahnbau wäre es undenkbar, die Planierung des Geländes unabhängig von der Genehmigung des eigentliches Straßenbaus zu verhandeln. Im Wiener Wohnbau ist es offenbar kein Problem.

Ein großer Schelm, der denkt, die Projektwerber hätten einfach aus Jux und Tollerei einen Bodenabtrag eingereicht und durchgeführt, ohne davon ausgehen zu können, dass ein in Folge eingereichtes Bauvorhaben ebenfalls genehmigt wird.

karte-neu-mit-abtragung

Abgetragene Flächen in schwarz

Dementsprechend spannend wird es, das Verhalten der Behörde in Bezug auf die ab September angekündigte Bautätigkeit zu beobachten, schließlich begeben sich Ende August die ersten Ziesel in die Winterruhe. Die beiden abgetragenen Projektflächen Kabelwerk/Familienwohnbau (a) sowie ÖVW (Österreichisches Volkswohnungswerk) (b) grenzen direkt an von Zieseln besiedelte Gebiete, im Fall des ÖVW sind es keine zwei Meter von der Baufeldgrenze zum nächsten Zieselbau. Insbesondere Aushub mit schweren Maschinen und Sicherung der Baugrube (Eintreiben von Spundwänden, Betonbohrungen) sind nicht ohne massive Erschütterungen durchführbar, womit Ziesel immer wieder aus der Winterstarre gerissen werden dürften und massiv Energie verbrauchen, die ihnen in der Endphase des Schlafes fehlen und zu hoher Wintersterblichkeit führen wird. Frühere Aussagen seitens der Umweltanwaltschaft, wonach Auswirkungen auf Tiere ausserhalb der Grundstücksgrenze bei einem Verfahren nicht berücksichtigt werden können, sowie Aussagen des Kabelwerkgeschäftsführers, man erwarte ein Zurückweichen der Tiere vor Störungen [3], lassen nichts Gutes erwarten.

Auch die Auswirkungen des Betriebs der Anlage müssten korrekterweise durch die MA 22 für eine Entscheidung berücksichtigt werden, welche Auswirkungen also ca 300 neue Nachbarn mit ihren (laut Statistik [4]) 30 Hunden und 70 Katzen auf den nun mehr direkt an der Hausmauer beginnenden Ziesellebensraum haben. Die früher große Zieselpopulation in Percholtsdorf zum Beispiel konnte nur mittels teilweiser Einzäunung vor dem völligen Zusammenbruch aufgrund von “Freizeitdruck” gerettet werden [5].

Zauneidechsen: Nun auch amtlich

Als von der IGL-Marchfeldkanal im April auf die vom Abtrag der Grasnarbe betroffenen Zauneidechsen hingewiesen wurde, war die Reaktion einiger Medien – bei einigen nicht unerwartet – eine zynisch-verharmlosende Belächlung bis hin zur Verunglimpfung. [6]. Nun jedoch bestätigt die Behörde: Insgesamt wurden von der Fläche bisher 42 Zauneidechsen vertrieben [7]. Nachdem laut Fachliteratur immer nur ein geringer Teil einer Population zur gleichen Zeit an der Oberfläche beobachtbar ist, was Bestandsschätzungen schwierig macht [8], ist davon auszugehen, dass auf der Fläche wesentlich mehr Tiere leb(t)en. Auch wurde nochmals betont, dass für Zauneidechsen keine Ausnahmegenehmigung erlassen wurde. Das alles vor dem Hintergrund der Schutzwürdigkeit der Zauneidechse, welche gemäß der Wiener Naturschutzverordnung in die gleiche Schutzkategorie wie das Ziesel fällt und demnach Lebensraumschutz im gesamten Stadtgebiet genießt. Am Beispiel der Zauneidechse kann man sich ausmalen, wie es auch den Zieseln in Wien ergehen würde, hätte die EU hier nicht ein scharfes Auge drauf…

zauneidechsenausgleichsflaeche

Ausgleichsfläche für Zauneidechsen

Spätestens bei der Abtragung der Projektfläche entlang der Johann-Weber Strasse wurde die Fehleinschätzung der Behörde, die Fläche sei kein Zauneidechsenlebensraum, offensichtlich: Die Arbeiten wurden nach wenigen Tagen (Anfang April) abgebrochen und erst Ende Mai fortgesetzt – nachdem ein neuer Bescheid erlassen wurde [9]. Als Ersatzlebensraum wurden ehemals als Zieselausgleichsflächen vorgesehene Flächen und Teile der Marchfeldkanalböschung ausgewählt und entsprechend umgestaltet. Die Kontrolle, ob die Tiere den neuen Lebensraum tatsächlich annehmen und die Ausgleichsmaßnahmen wirksam sind, erfolgt natürlich erst wenn der ursprüngliche Lebensraum längst unumkehrbar zerstört wurde. Sollten die neuen Flächen von den Eidechsen nicht angenommen werden – haben sie Pech gehabt.

Petition: im Ausschuss versandet

Bei einer abschließenden Behandlung der Zieselpetition im Wiener Petitionsausschuss[10] wurden sämtliche Forderungen der Petition abgelehnt, nämlich die Absiedlung des Bauprojekts auf geeignete Ersatzflächen sowie die Einrichtung eines für Ziesel geeigneten Schutzgebiets rund um das Heeresspital. Dies ist schwer nachvollziehbar, sind die Rahmenbedingungen seit Bekanntwerden des Zieselvorkommens doch vollkommen andere als zum Zeitpunkt der Widmung, als die Zieselpopulation nördlich des Heeresspitals  – zumindest offiziell – nicht bekannt war.

Mit dem heutigen Wissensstand würde niemand ernsthaft eine Baulandwidmung für das Gelände befürworten können, da das erklärte Ziel der Politik, hier “leistbaren” Wohnraum zu schaffen angesichts der bisher kolportierten 2 Mio Euro [3] durch naturschutzrechtliche Auflagen verursachter Zusatzkosten ad absurdum geführt wird. Politisch Verantwortliche (Michael Ludwig, Maria Vassilakou) müssten eigentlich an einer raschen Realisierung neuen Wohnraums an geeigneteren Orten Interesse haben, anstatt über den Artenschutz drüberzufahren und ein mit der PR-Masche „Artenschutz und Wohnbau sind  vereinbar“ versehenes Exempel zu statuieren, koste es was es wolle.

Als minimales Zugeständnis wurde die MA 22 vom Petitionsausschuss aufgefordert, dem Umweltdachverband Einblick in die Bescheide zu gewähren. Dies ist eine etwas befremdliche Aufforderung, sind doch gesamte Verwaltungsakte zu naturschutzrechtlichen Angelegenheiten nach gängiger Rechtsmeinung Umweltinformation [11, 12] – und als solche laut Umweltinformationsgesetz jedem auf Anfrage auszuhändigen, ohne dass ein politisches Gremium aktiv werden müsste. Trotzdem wurde dieser Aufforderung seitens der Behörde nicht entsprochen – der Vertreter des Umweltdachverbandes musste unverrichteter Dinge abziehen.

Transparenz – Was ist das?

Nicht gerade mit Ruhm bekleckert sich die MA 22 außerdem bei der Handhabung des Umweltinformationsgesetzes – und der daraus resultierenden Auskunftspflicht an Bürger.

Während vor  2014 sämtliche Anfragen korrekt und vollständig beantwortet wurden, änderte sich das von einem Tag auf den anderen. Ob womöglich eine Intervention im Spiel war, darf sich jeder selbst beantworten. Anstatt vollständigen Dokumenten wurden nur noch Textschnipsel geliefert, frei nach der Interpretation der einzelnen Beamten, was unter “Umweltinformation” fallen könnte und was nicht. Zeitweise fielen der behördlichen Zensurwut und Willkür sogar Bescheidnummer und Ausstellungsdatum zum Opfer. Auch wurde auf Anfragen prinzipiell zum gesetzlich letztmöglichen Zeitpunkt geantwortet, die Frist fast auf die Minute genau ausschöpfend. Seltsamerweise steht im Wiener Umweltinforamtionsgesetz, § 5 Absatz 6 geschrieben:

Dem Begehren ist ohne unnötigen Aufschub unter Berücksichtigung etwaiger vom/von der Informationssuchenden angegebener Termine, spätestens aber innerhalb eines Monats zu entsprechen.”

Da steht – selbst für juristische Laien – nichts von “genau nach der Frist von einem Monat”. Das ist insofern auch interessant, als die Zensur bzw. das behördliche Aufbereiten der zur Verfügung gestellten Informationen selbstverständlich auch Zeit in Anspruch nimmt. Nur haben wir nicht um diese Zwangsbeglückung gebeten, währenddessen auf der anderen Seite Vertreter der MA 22 nicht müde werden, bei verschiedenen Anlässen zu betonen, welch Arbeitsaufwand wir der Wiener Umweltbehörde durch Anfragen verursachen.
Inzwischen hat ein klärendes Gespräch hoffentlich eine leichte Entspannung bezüglich der Fristen bewirkt. Man wird sehen. Inhaltlich jedoch steht die Behörde immer noch auf dem eigentümlichen Standpunkt, alleine bestimmen zu können, welche Teile eines Verwaltungsakts in einem naturschutzrechtlichen Verfahren Umweltinformation sind. Aufforderungen die Nicht-Übermittlung großer Teile des Akts mittels eines Feststellungsbescheids zu begründen, wie dies vom Gesetz her vorgesehen ist, werden von der MA 22 mit der Feststellung “wir haben doch schon die gesamte Umweltinformation übermittelt” abgelehnt.

Eines ist sicher: Auch die EU-Kommission beobachtet das Treiben in Wien aufmerksam.

 

Referenzen

[1] Zwischenbericht der ökologischen Aufsicht Q1 2015

[2] Zwischenbericht der ökologischen Aufsicht Q1 2016

[3] Kurier 05.04.2016 – Ziesel bekommen nächstes Jahr hunderte neue Nachbarn

[4] Statistik über Hunde und Katzenhaltung in Österreich

[5] Ziesel auf der Perchtoldsdorfer Heide

[6] ORF: Ziesel gegen Zauneidechse ausgetauscht

[7] Anfrage zu Zauneidechsen auf der Projektfläche nach dem Umweltinformationsgesetz

[8] Zauneidechsen im Vorhabensgebiet

[9] Bescheid bezüglich Zauneidechsen auf ÖVW Projektfläche

[10] Petition: Schutz der Ziesel-Population beim Wiener Heeresspital in ihrem angestammten Lebensraum

[11] aubescheide sind Umweltinformationen!

[12] Spruch OÖ Verwaltungsgericht

Read Full Post »