Die streng geschützten Ziesel und Feldhamster nördlich des Wiener Heeresspitals sollen auf weit verstreute Ausgleichsflächen – darunter auch Uferböschungen des Marchfeldkanals – abgesiedelt werden. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung wird derzeit von Wiener Naturschutzbehörde MA 22 geprüft.
Parallel beauftragten die IGL Marchfeldkanal und der Wiener Tierschutzverein unabhängige Experten mit der Erstellung einer Studie, um die notwendigen Voraussetzungen für die europarechtlich korrekte Vorgangsweise zur Genehmigung des Ansuchens auszuführen.
Das nun vorliegende Papier erläutert in verständlichen Worten jenen engen juristischen Korridor, der den Behörden aufgrund strenger europaweiter Artenschutzbestimmungen vorgegeben ist.
Resümee: Ein oberflächliches und eiliges Durchwinken durch die MA 22 ist definitiv nicht möglich.
Die Ziesel-Studie zum Download

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Titelbild: Norbert Szewieczek
Renommierte unabhängige Gutachter
Die Autoren der Studie, Dipl.-Ing. Wolfgang Suske und Dr. Thomas Ellmauer, sind international tätige, anerkannte Experten der EU-Naturschutzrichtlinien. Beide haben sich intensiv mit theoretischen und praktischen Fragen in der Umsetzung dieser Thematik auseinandergesetzt und besitzen hervorragende Kenntnisse der Richtlinienauslegung durch den Europäischen Gerichtshof sowie der Positionen der Europäischen Kommission. Sie sind Lehrbeauftragte für den EU-Naturschutz an der Universität Wien bzw. Universität für Bodenkultur und zeichnen u.a. hauptverantwortlich für die ASFINAG-Broschüre „Natura 2000 und Artenschutz“, worin zentrale Begriffe der Fauna-Flora-Habitats- und Vogelschutz-Richtlinie beleuchtet und interpretiert werden.
Artenschutzausnahmeverfahren unabdingbar
Die Einreichung der Bauträger sieht vor, dass sobald ein Teil des Ziesel- und Feldhamsterbestands vom Feld nördlich des Heeresspitals auf die eingereichten Ausgleichsflächen abgewandert ist, die verbliebenen Tiere durch gezielte Bodenbearbeitung zu vertreiben. Streifen um Streifen soll dazu der Lebensraum der betroffenen Tiere zerstört werden.
Die Verwirklichung des angesuchten Vorgehens würde daher zumindest in einem Punkt gegen den Artikel 12 der europäischen FFH-Richtlinie verstoßen. Dieser verbietet unter anderem die Beeinträchtigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten aller in Anhang IV der Richtlinie gelisteten Arten, darunter auch das Europäische Ziesel und der Feldhamster.
Daher ist – der Ausführung der Studienautoren folgend – von der Wiener Naturschutzbehörde ein Ausnahmeverfahren bezüglich Artikel 16 der FFH-RL durchzuführen, worin jene außergewöhnlichen Umstände unter denen ein derartiges Ansuchen genehmigt werden darf, geregelt sind.
Voraussetzungen nach Artikel 16 der FFH-Richtlinie
Nach Auffassung der Studienautoren kann die behördliche Prüfung des Bauvorhabens nördlich des Wiener Heeresspitals nur dann positiv abgeschlossen werden, sofern im Ausnahmeverfahren des Artikels 16 der FFH‐Richtlinie nachvollziehbar und glaubhaft dargelegt wird:
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Dass für das geplante Vorhaben keine anderweitige zufriedenstellende und zumutbare Lösung zu finden ist.
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Dass sich die betroffenen Tierarten (Ziesel, Feldhamster) in ihrem Erhaltungszustand in Österreich nicht verschlechtern und dass die Verbesserung des Erhaltungszustands nicht beeinträchtigt wird.
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Dass für das Vorhaben zwingende Gründe eines überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden können.
Andernfalls ist das Projekt aus artenschutzrechtlichen Bestimmungen der FFH‐Richtlinie zu versagen.
Schlussfolgerungen durch die IGL-Marchfeldkanal
Die nähere Betrachtung der von den Experten im Detail erläuterten notwendigen Voraussetzungen lässt beim Leser starke Zweifel aufkommen, dass diese im Fall der Ziesel und der Feldhamster beim Wiener Heeresspital tatsächlich gegeben sind und auch im vollen Umfang nachvollziehbar und glaubhaft dargestellt werden können. Nachfolgend dazu einige Überlegungen.
Rechtzeitige Alternativenprüfung verabsäumt
Auf die rechtzeitige Prüfung von Alternativen wurde verzichtet, obwohl bereits zum Planungszeitpunkt und im Anschluss beim Widmungsbeschluss ein dichtes Ziesel-Vorkommen beim Wiener Heeresspital behördlich längst dokumentiert war. Aus nicht offengelegten Gründen blieben die streng geschützten Tiere in allen Unterlagen stets unerwähnt.
Auch in weiterer Folge wurden – in Kenntnis der Widmungsfestsetzung – trotz anhaltender Hinweise (2009, 2010) keine präventiven Schritte zum Schutz des bedeutsamen Vorkommens eingeleitet. Erst nach Bürgerprotesten wurde man sich seitens der Verantwortlichen der naturschutzrechtlichen Verpflichtungen bewusst.
Ziesel auf Platz 1 der Roten Liste – Negative Tendenz
In Österreich steht das Ziesel seit Jahren auf Platz 1 der Roten Liste und seine Bestandsrückgänge dauern an. Aus den von Österreich im Jahr 2006 an die EU-Kommission gemeldeten Daten geht objektiv hervor, dass sich die Ziesel im schlechtest möglichen Erhaltungszustand „U2-Unfavourable Bad“ befinden. In der nichtalpinen Region Österreichs teilen sie sich diesen besorgniserregenden Status nur mit drei Fledermausarten.
Selbiges Datenmaterial, dessen Qualität bestmöglich als „Good“ eingestuft ist, besagt zudem, dass die betroffene Population beim Wiener Heeresspital mehr als fünf Prozent des österreichischen Gesamtbestands ausmachen könnte.
Obwohl zudem die Zukunftsperspektive der Ziesel als „Bad“ bewertet ist, fand in Wien seit 2005 keine flächendeckende Kartierung des Ziesel-Bestands statt. Als Konsequenz ist keine aussagekräftige Einschätzung hinsichtlich der Bestandsentwicklung in der Bundeshauptstadt möglich. Aus Niederösterreich und dem Burgenland sind hingegen neuere Werte verfügbar, die aber leider keine Anzeichen für eine Umkehr des negativen Trends nahelegen.
Somit erscheint im Lichte des besonders schlechten Erhaltungszustands der Ziesel in Österreich und der Größe der betroffenen Population der mögliche Eingriff in eines ihrer letzten großen Reservate als bedenklich. Eine Beeinträchtigung der angestrebten Verbesserung des Erhaltungszustands wird jedenfalls nur sehr schwer auszuschließen sein.
Zwingende Gründe eines überwiegenden öffentlichen Interesses?
Zur Rechtfertigung der Durchführung des Bauprojekts beim Wiener Heeresspital bedarf es des Nachweises zwingender Gründe eines überwiegenden öffentlichen Interesses, das jenes zur Wahrung der Naturschutzes überwiegt.
Während öffentliches Interesse an der Schaffung von Wohnraum unbestritten ist, erscheint jedenfalls der glaubhafte Nachweis zwingender Gründe zur Verwirklichung des Bauprojekts am geplanten Ort zweifelhaft. Denn diesem öffentlichen Interesse ist klarerweise auch dann genüge getan, wenn das Vorhaben an anderer Stelle realisiert wird. Aufgrund der fehlenden Anbindung des Standorts an das hochrangige U-Bahnnetz entfällt ein in Frage kommendes Argument, das als Beleg zwingender Gründe in Betracht gezogen werden könnte.
Demgegenüber ist angesichts des überaus schlechten Erhaltungszustands des Ziesels und des Feldhamsters in Österreich das öffentliche Interesse am Schutz dieser Arten als hoch einzuschätzen.
Gemessen an der mehrjährigen Wiener Gesamtbauleistung, würde das Volumen des Bauprojekts beim Heeresspital, nur einen kleinen Anteil ausmachen, was deutlich auf die Zumutbarkeit einer Realisierung an einem alternativen Standort hinweist.
STEP 05 setzt Priorität zugunsten des Artenschutzes
Im zweiten Kapitel „Grundsätze und Prinzipien“ des aktuellen Wiener Stadtentwicklungsplans STEP 05 wird das Arten- und Lebensraumschutzprogramm „Netzwerk Natur“ als wichtige Maßnahme im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung dargestellt. Dem Artenschutz wird somit in den Prozessen der Stadtplanung besondere Bedeutung eingeräumt.
Zwar ist in einem der nachfolgenden Abschnitte auch das Bauprojekt nördlich des Heeresspitals gelistet, jedoch sind aufgrund der ausdrücklichen Nennung des Artenschutzes in den Kernprinzipien der Stadtentwicklung jedenfalls keine zwingenden Gründe eines überwiegenden öffentlichen Interesses schlüssig argumentierbar.
Wie hinlänglich bekannt, blieb das „Netzwerk Natur“ in der Planung und Widmung des Bauprojekts – entgegen den ausdrücklichen STEP-Vorgaben – unberücksichtigt. Ein einziger Blick in die Datenbank des Artenvielfaltprogramms hätte gereicht, um das bestätigte Ziesel-Vorkommen und damit den drohenden Konflikt frühzeitig zu erkennen.
Studie finanziert durch Spendengelder – Herzlichen Dank!
Die Studie wurde in Kooperation mit dem Wiener Tierschutzverein beauftragt und zur Gänze durch Spendengelder finanziert. Daher möchten wir an dieser Stelle ein besonders herzliches Dankeschön an jene Menschen aussprechen, deren Großzügigkeit die Erstellung der vorliegenden Expertise ermöglicht hat.
Zugleich appellieren wir die bedrohten Ziesel und Feldhamster beim Wiener Heeresspital weiterhinzu unterstützen, denn auch die nächsten absehbaren Schritte bedürfen finanzieller Aufwendungen. Jeder einzelne Euro, der am Zieselschutz-Konto des Wiener Tierschutzvereins einlangt, hilft den Fortbestand der gefährdeten Tiere in ihrem Lebensraum zu sichern! Nähere Infos finden Sie hier.
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