Wenn in China ein Panda-Reservat zugunsten eines Bauvorhabens abgeholzt werden soll, würde es da nicht zu Recht weltweit aufgeregte Proteste geben?
Was passiert hingegen im westlichen Wien, wo ein strenges Naturschutzgesetz gilt? Wie geht man dort mit einer großen Population der streng geschützten Zieseln um, wenn diese durch ein Wohnbauprojekt gefährdet werden?
Ist es gar so, dass das gezeigte Verständnis für den Artenschutz bei manchen Entscheidungsgewaltigen umso größer ist, je weiter das Problem geografisch entfernt liegt? Und das obwohl das Ziesel die am meisten vom Aussterben bedrohte Säugetierart Österreichs ist?
Der Pflug rückte an
Gleich nach der Entdeckung des Zieselvorkommens nördlich des Wiener Heeresspitals, wurde auf dem bis dahin brach liegenden Feld wieder völlig unvermittelt die Landwirtschaft aufgenommen. Zu unüblicher Jahreszeit, sollte das 7 Hektar große Feld, das zu einem großen Teil von den Tieren besiedelt ist, gepflügt werden. Nur dem beherzten Einsatz von engagierten Tierschützern, Frau Dr. Madeleine Petrovic (Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins) , dem Verein Vier Pfoten und Floridsdorfer Grünen ist es zu verdanken, dass es zu keiner Naturschutzkatastrophe ersten Ranges gekommen ist.
Pflügen im Juni stellt nach Ansicht von ausgewiesenen Experten zumindest für die Jungtiere eine massive Bedrohung dar. Zudem wäre durch den Umbruch des gesamten Areals mit einem Schlag die Nahrungsgrundlage der Zieseln in den Boden eingearbeitet worden. Man muss kein Tierschützer sein um zu erkennen, dass Nahrungsentzug einen massiven Verstoß gegen den strengen Lebensraumschutz bedeuten würde, den die Tiere am gesamten Wiener Stadtgebiet genießen.
Jener Streifen, wo das Pflügen bedauerlicherweise doch noch stattfand, liegt nun darnieder wie eine kahle Mondlandschaft. Dort wurden seit diesem rabenschwarzen Tag auch keine Ziesel und Zieselbauten mehr gesichtet.
Schutzzone beschlossen
Medienberichte in Krone, Kurier und im ORF haben schließlich doch bewirkt, dass im Wiener Gemeinderat eilig eine Schutzzone für die Ziesel beschlossen wurde.
Der Haken an dem Beschluss ist jedoch, dass dort bereits zuvor eine Schutzzonenwidmung bestand und der als Refugium für die Tiere gedachte Streifen zudem direkt am Weg neben dem Marchfeldkanal anliegt, wo ständig Fußgängern, Joggern, Radfahrern und Hunde vorbei kommen. Dementsprechend haben sich die scheuen Tiere dort auch nicht angesiedelt. Der Schutzzonenbeschluss schützt somit nur die bestehende Schutzzone und kann daher nur als ein allererster Schritt verstanden werden.
MA22 beauftragt Expertise
Die streng geschützten Ziesel nördlich des Heeresspitals genießen derzeit eine kurze Ruhepause. Wie die Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung Frau Dr. Büchl-Krammerstätter bestätigt, lässt die MA22 von Experten den Bestand an Zieseln und Feldhamstern am Feld nördlich des Heeressspitals sowie an angrenzenden Flächen erheben. Für die Dauer der Untersuchung, die bis Ende Juli 2011 abgeschlossen sein soll, wurden alle landwirtschaftlichen Aktivitäten eingestellt.
Die Resultate sollen laut MA22 als Entscheidungsgrundlage dienen, ob und in welcher Form die Landwirtschaft auf dem Feld wieder aufgenommen werden darf. Daraüber hinaus sollen laut Frau Dr. Büchl-Krammerstätter durch ein beauftragtes Monitoring Daten bezüglich der Zieselpopulation erhoben werden, die insbesondere für den Fall, dass die derzeitige Bauland-Widmung aufrecht bleibt, von Bedeutung sind.
Prof. Frey bestätigt großes Zieselvorkommen und Bedenken der Naturschützer
Parallel dazu wurde auch von der IGL-Marchfeldkanal eine Bestandserhebung der Ziesel- und Feldhamsterbauten am betroffenen Feld durchgeführt. Dabei zeigte sich schnell, dass die Population der vom Aussterben bedrohten Tiere weit größer ist, als zunächst von amtlicher Seite angenommen. Mehr als 120 mögliche Ziesel-Erdlöcher wurden dabei mitsamt GPS-Koordinaten erfasst und mitsamt Fotodokumentation den Behörden übermittelt.
Herr Univ.-Prof. Dr. Hans Frey von der veterinärmedizinischen Universität Wien, hat freundlicher Weise das Ziesel-Areal gemeinsam mit der IGL-Marchfeldkanal besichtigt und die Beobachtungen inhaltlich bestätigt. Der renommierte Wissenschaftler gestattete uns seine im Anschluss an die Begehung verfasste Stellungnahme zu publizieren:
Anläßlich einer Begehung des zur Diskussion stehenden Areals am Marchfeldkanal am 01.07.11 konnte folgender Befund erhoben werden:
Bei der Begehung, die sich über zwei Stunden erstreckte, wurde das ganze Feld in meanderförmigen Linien systematisch auf der Suche nach Baueingängen von Zieseln oder Hamstern begangen. Besonders sorgfältig wurde ein bereits umgepflügter, an die Wohnsiedlung angrenzender streifenförmiger Teil nach Ziesel- oder Hamsterspuren abgesucht.
Außer einem offensichtlich durch das Pflügen zerstörten Zieselnest, konnten keinerlei Hinweise mehr auf Nestanlagen oder Aktivitäten der betroffenen Nagerarten festgestellt werden. Nach den Erhebungen der Interessensgruppe befand sich vor dem Pflügen hier eine größere Ansammlung von Zieselbauten. Am Freitag waren direkt angrenzend am nicht gepflügten Areal einzelne aktive Zieselbauten, NICHT frisch angelegt, sondern offensichtlich ein Randteil der ursprünglichen Teilkolonie, die vor dem Pflügen dort bestand.
Die Begehung des ganzen ungepflügten Feldanteils ergab die Existenz von weiteren, z.T. sehr kopfstarken Zieselkolonien, die hinsichtlich ihrer Lage mit den dokumentierten Erhebungen der Interessensgruppe übereinstimmen, weiters mehrere Fallröhren mit größerem Durchmesser, die auf die Anwesenheit von Feldhamstern hinweisen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass im betroffenen Areal keineswegs nur Einzelvorkommen der gefährdeten Arten Ziesel und Hamster existieren (in der Stellungnahme der MA 22 zitiert sind 5 Bauten), sondern vitale und kopfstarke Zieselkolonien, sowie mehrere Hamsterbauten. Pflügen zu dieser Jahreszeit hat ohne jeden Zweifel verheerende Auswirkungen einerseits durch direkte mechanische Einwirkung die zu Verletzungen, Tötungen der Nager und Verschüttung von tiefer angelegten Bauten führt, andererseits zum gänzlichen Entzug der essentiellen Lebensgrundlagen der eventuell überlebenden Individuen. Es wird deshalb dringend empfohlen das weitere Pflügen bis zu einer tier- und naturschutzgerechten Lösung des Problems einzustellen.
Der Schutz der Ziesel muss Priorität haben!
Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal wird sich selbstverständlich auch weiterhin intensiv für die Zieseln beim Heeresspital einsetzen. Der strenge Lebensraumschutz, der für die stark gefährdeten Tiere im Wiener Naturschutzgesetz am gesamten Stadtgebiet gilt, darf nicht nur selektiv ausgelegt werden.
Brennende Umweltschutzthemen unserer Zeit wie Biodiversität, denen sich auch die Republik Österreich verschrieben hat, dürfen nicht zu leeren Worthülsen verkommen, sondern müssen von Politik und natürlich auch uns Bürgern mit Leben gefüllt werden.