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Archive for Oktober 2016

Die meisten der über 250 nördlich des Heeresspitals lebenden streng geschützten Ziesel [1] haben sich bereits in ihre tief unter der Oberfläche liegenden Schlafkammern zurückgezogen, und ihren 6 – 7 Monate dauernden Winterschlaf angetreten. Vor Kurzem waren noch vereinzelt Jungtiere zu sehen, die sich noch keinen ausreichenden Fettpolster anfressen konnten.

Doch ob die Fettreserven tatsächlich reichen werden, um im Frühjahr wieder aufzuwachen, hängt mehr denn je an einem seidenen Faden bzw. am weiteren Vorgehen der Wiener Umweltbehörde MA 22. Der Winterschlaf der Ziesel ist für diese überlebenswichtig, aber gleichzeitig lebensgefährlich. Phasen, in denen die Körpertemperatur der Tiere  auf wenige Grad über 0 absinkt, werden von gelegentlichen Aufwachzyklen unterbrochen, in denen der Stoffwechsel wieder in Schwung kommt und die Körpertemperatur ansteigt. Das “Aufheizen” ist äußerst energieintensiv und zerrt an den Fettreserven des Tieres. Passiert es zu oft, gehen die Fettreserven zu Neige bevor der Winter vorbei ist und das Tier wacht im Frühjahr nicht wieder auf. Selbst unter normalen Bedingungen überleben ca 10-20% aller Ziesel den Winterschlaf nicht.

Lärmhölle im Schlaf

zitterziesel2
Doch in der Ziesel-Causa beim Heeresspital ist nichts normal, denn nun möchten laut Zeitungsberichten [2] die beim Heeresspital involvierten Bauträger bereits im November mit schweren Tiefbauarbeiten – also dem Herstellen der Baugrube – beginnen. Baggerungen, Bohrungen sowie das Einrammen von Spundwänden zur Grubensicherung, all das wird von Thomas Knoll, der nördlich des Heeresspitals die ökologische Bauaufsicht stellt, im Zuge eines Gutachtens zu einem anderen Projekt (UVP der A26 bei Linz) unter schwere Tiefbauarbeiten eingeordnet:

„vor allem schwere Tiefbauarbeiten: Bohrpfahl-, Schlitzwand-, Aushub-, Böschungssiche­rungs- und Verdichtungsarbeiten“[3]

Beim Heeresspital könnten diese Arbeiten zu einer Zeit, in der die Ziesel eine möglichst ungestörte Umgebung für den Winterschlaf brauchen, in unmittelbarer Nähe der Baue und Schlafkammern stattfinden. Zum Vergleich: Bei derartigen Arbeiten im Straßenbau werden Gebäude im Umkreis von 100m auf mögliche schädliche Auswirkungen von Erschütterungen und Vibrationen auf die Bausubstanz bzw. die (Nacht)-Ruhe der Bewohner untersucht[4].

Bestand 2016 07 mit 50m Zonen

Abgetragene Baufelder und aktuelle Zieselbaukartierung (Zwischenbericht ökologische Aufsicht Q2 2016)

Wie wirken sich nun Erschütterungen und Vibrationen auf Winterschlaf haltende Ziesel aus? Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Tiere arbeiten auch im Winterschlaf – wenn auch verlangsamt. Bereits in den 1970er Jahren wurde festgestellt, dass jegliche Art von äußeren Reizen zu Aufwachvorgängen führen kann, um so eher, je länger der Schlaf bereits dauert. Daher hat grundsätzlich jede Störung früheres Aufwachen zur Folge und chronische Störungen führen unausweichlich zu häufigerem Aufwachen im Winter. Was wiederum bedeutet, dass bei vielen Tieren die Fettreserven nicht ausreichen, und diese den Winterschlaf nicht überleben. In diesem Sinne meinen führende Wissenschafter auf dem Gebiet der Hibernation:

„noise and vibrations (and even smell of smoke) can disturb hibernation”[5]

sowie

“Im Lichte dieser Informationen kann mit Sicherheit angenommen werden, dass Bauarbeiten in der Nähe einer Zieselpopulation zu Störungen während des Winterschlafs und somit zu gesteigerter Mortalität im Winter führen werden. Dies könnte sogar ein solches Ausmaß erreichen, dass das Aussterben der Population im Lauf einer Saison nicht ausgeschlossen werden kann.“[6]

Ja, dürfen die das?
Die Baurabeiten sollen zwar auf zieselfreien (weil im Frühjahr abgetragenen) Flächen erfolgen, haben aber durch die entstehenden Erschütterungen und Vibrationen weit in den unmittelbar benachbarten Ziesellebensraum reichende Auswirkungen.

Dem bei streng geschützten Arten dringend gebotenen Vorsorgeprinzip folgend, muss die Behörde, auch wenn nur ein Verdacht auf eine mögliche Störung besteht, ein naturschutzrechtliches Verfahren durchführen, die möglichen Auswirkungen auf die Population feststellen lassen und je nach Beurteilung untersagen oder eine (Ausnahme-) Genehmigung erteilen.

Nachdem Experten unmissverständlich von Störungen des Winterschlafs durch Lärm und Vibrationen ausgehen, wäre eine Genehmigung von Bodenarbeiten in direkter Nähe grob fahrlässig. Sollten aufgrund einer von der Behörde in Kauf genommenen Fehleinschätzung, während der Ruhephase genehmigte Tiefbauarbeiten unerwartete negative Folgen haben, könnte sich dies frühestens im Frühjahr bemerkbar machen, wenn weniger Tiere als üblich aktiv werden. Fehler können dann nicht mehr korrigiert werden, die Tiere wären tot und die Population geschädigt. Damit wären auch vollendete Tatsachen geschaffen, Pech für die Ziesel.

Auch wenn es durchaus Beispiele für Zieselpopulationen in durch Lärm und Vibrationen belasteten Gebieten gibt, z.B. bei Flughäfen, ist die Situation nicht vergleichbar – während diese bereits von Geburt an an alle paar Minuten startende Flugzeuge gewöhnt sind und sich an diese Situation angepasst haben, kennen die Ziesel beim Heeresspital nur die Erschütterungen durch den wöchentlichen Müllwagen, alles darüber hinaus ist ungewohnt und somit alarmierend für die Tiere.

fluchtbewegung-2007-2009

Auswirkungen benachbarter Baustellen in der Vergangenheit

Dass Baustellen Auswirkungen auch außerhalb des Winterschlafs haben, lässt sich am Beispiel der in den Jahren 2007 bis 2010 nördlich des Heeresspitals errichteten Häuser zeigen[7].  Über 200 Meter von den Baustellen entfernt, tauchten plötzlich Ziesel in großer Zahl auf den Sportplätzen im hinteren Bereich des Geländes auf.

„Am 16.8.2007 fand im Gelände des Heeresspitals ein Lokalaugenschein (MA 22, Uni Wien) aufgrund einer vom damaligen Zuständigen gemeldeten ’Zieselplage’ auf dem dortigen Sportplatz statt, der auf eine hohe Populationsdichte der Ziesel schließen ließ (auf einen Blick waren mehrere Tiere sichtbar). Die Tiere seien massenhaft erschienen, ’seit entlang der Brünner bzw. Johann-Weber-Straße gebaut’ wurde.“

Der Zeitpunkt entspricht exakt der Errichtung von Gebäuden an der Jane-Tilden-Gasse. Zufall? Als 2009-2010 wieder am Nordrand des Zieselfeldes gebaut wurde, folgte jedenfalls ein weiterer Lokalaugenschein:

„Ein weiterer Lokalaugenschein im Gelände des Heeresspitals am 9.7.2010 (MA 22, Uni Wien) aufgrund der vom damaligen Zuständigen gemeldeten anhaltenden ‚Zieselplage’ auf dem Sportplatz des Heeresspitals ließ auf eine weiterhin hohe Populationsdichte der Ziesel schließen (wieder waren auf einen Blick mehrere Tiere sichtbar).“

Die wiederholten Fluchtbewegungen auf die Flächen hinter dem Heeresspital (das Zentrum der dortigen Zieselpopulation) zeigen, dass Störungen am Rande des Lebensraums sehr wohl Auswirkungen auf die gesamte Population haben, da die Dichte der ohnehin bereits dichten Besiedlung steigt, was zu Stress und vermehrter Konkurrenz mit allen zugehörigen negativen Folgen führt. Diese Auswirkungen wurden bisher von der MA 22 fahrlässigerweise weder untersucht noch berücksichtigt, bei keinem ihrer bisherigen Bescheide.

Was nun?
Ziesel genießen nicht ohne Grund EU-weit strengsten Schutz und führen die Rote Liste gefährdeter Säugetierarten Österreichs an. Die Bestände schwinden in der gesamten EU, in Österreich ist der Erhaltungszustand der Art der schlechtest mögliche – mit negativer Aussicht. Angesichts der mehr als deutlichen Hinweise aus der Fachwelt auf die Folgen von Störungen, wäre die Genehmigung jeglicher Tiefbauarbeiten während des Winterschlafes unverantwortlich. Außerhalb der Ruhezeit wären auf Baufeldern in ausreichender Entfernung Arbeiten denkbar – vorausgesetzt sie stören das Vorkommen nachgewiesenermaßen nicht. Schließlich ist die gesamte Fläche um und am Heeresspital bereits besiedelt, ein Ausweichen der Tiere über den seit zwei Jahren bestehenden Zieselsteg ist, wie bisherige Erfahrungen zeigen, unrealistisch (am gegenüberliegenden Ufer wurde von uns heuer kein einziges Ziesel gesichtet).

Für das direkt nördlich des Zieselfeldes liegende Baufeld 2 des ÖVW kommt auch im Sommer keine Bautätigkeit in Frage – die ersten Baue sind nicht einmal zwei Meter vom Bauzaun entfernt. Spannend wird deshalb vor allem bei dieser Fläche die Handhabung des bisher kommunizierten 50m Sicherheitsabstands zwischen Bautätigkeit und nächstem Zieselbau durch die Behörde. Es wurde bereits angekündigt, dass sich dieser nicht überall einhalten lässt[8].

Und damit unsere Erkenntnisse nicht übersehen werden, haben wir sie natürlich auch der Behörte mitgeteilt[9].

Referenzen

[1] Zwischenbericht der ökologischen Aufsicht, Q2 2016
[2] Wiener Bezirksblatt 29.08.2016
[3] UMWELTVERTRÄGLICHKEITSGUTACHTEN TEILGUTACHTEN 5 – 8 A26 LINZER AUTOBAHN
[4] UMWELTVERTRÄGLICHKEITSGUTACHTEN TEILGUTACHTEN 1 – 4 A26 LINZER AUTOBAHN
[5] Prof. Fritz Geiser, University of New England
[6] Prof.dr. Roelof A. Hut, Groningen Institute for Evolutionary Life Sciences
[7] Artenkartierung Europäisches Ziesel und Feldhamster in Wien 21 – Heeresspital und Umgebung östlich Brünner Straße
[8] Ziesel bekommen nächstes Jahr Hunderte neue Nachbarn
[9] Informationsschreiben an MA 22

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