
Ab Juli soll auf weiteren 1,3 ha des Zieselfeldes die Grasnarbe entfernt und der Oberboden abgetragen werden, um für fünf weitere Gebäude Platz zu schaffen, obwohl sich die Population der Ziesel nördlich des Heeresspitals seit der Genehmigung der bisher letzten Baufelder 2018 nur für die Interessen der Stadt Wien und der Bauträger erfreulich entwickelt hat. Eine Häufung an Totfunden, abnehmender Bestand und von Hunden aufgegrabene Baue. Für die Wiener Umweltbehörde MA 22 offenbar ein Indiz für erfolgreichen Zieselschutz, weshalb nun eine weitere Genehmigung für Lebensraumzerstörung nach dem gleichen altbekannten Muster erteilt wurde. Betongold schlägt in Wien wieder einmal den Artenschutz, während auf dem Wiener Wohnungsmarkt längst keine Spur langer Wartelisten mehr zu finden ist, und der Bauboom fast ausschließlich von internationalem Investorengeld auf der Suche nach einem vermeintlich inflationssicheren Asset getrieben wird.

- 2016: Eine angeblich im öffentlichen Interesse erfolgende Bodenabtragung für Kabelwerk und Familienwohnbau, allerdings ohne ein konkretes Bauprojekt.
- 2016: Eine Bodenabtragung für das Österreichische Volkswohnungswerk, ebenso ohne konkretes Bauprojekt.
- 2017: Bauprojekte von Kabelwerk und Familienwohnbau, eigentlich im Ziesellebensraum, jetzt allerdings laut Behörde nicht mehr genehmigungspflichtig, da die Tiere ja zuvor durch den zweckfreien Bodenabtrag “im öffentlichen Interesse” vertrieben wurden.
- 2017: Ein halbes Bauprojekt der Sozialbau, denn man hatte bei 1) auf die halbe Projektfläche “vergessen”
- 2018: Genehmigung für zwei weitere Gebäude des Kabelwerks, vermutlich wurde im Vorfeld wieder einmal “vergessen”, dass sich die beiden Fundament und Garage mit den in 3) Genehmigten Gebäuden teilen.
- 2018: Das Volkswohnungswerk dürfte “vergessen” haben, dass die Baugrube etwas größer sein muss, als das zu errichtende Gebäude. Kein Problem, die MA 22 zeigt sich auch hier wieder großzügig.
- 2021: Zieselbestand am zusammenbrechen? Umso besser! Das Kabelwerk darf weitere Teile des Lebensraums planieren.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Wiener Umweltbehörde beharrlich weigert, das Gesamtbild sowie den Einfluss des gesamten Projekts auf die Zieselpopulation beim Heeresspital einer entlarvenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen. Es ist u. a. durchaus davon auszugehen, dass eine derzeit offene Tiefgaragenseite nicht der vom Bauträger angestrebte Endzustand des Projekts ist, auch wenn die Umweltbehörde noch so oft beteuert, nur allein das beurteilen zu können, was eingereicht wird. Alternativ könnte sie auch einfach einen Blick in die öffentlich verfügbaren Unterlagen des Bauträgerwettbewerbs [3] werfen, der bereits 2013 abgehalten wurde und ausreichend detaillierte Pläne für die geplante Bebauung der Gesamtfläche bietet. Dann müsste sie allerdings die unangenehme Frage beantworten, inwiefern die von ihr genehmigten Ausgleichsflächen [4] zukünftig überhaupt als Ziesellebensraum geeignet sind, und ob vielleicht bereits der vorherige Genehmigungsschritt die Population zum Kippen bringt.
Geübtes Wegschauen der MA 22
Nach einem Kippen der Population sieht es zur Zeit nämlich aus. Auf dem noch unverbauten Teil der Zieselwiese herrscht gespenstische Stille, die sonst bei dichten Zieselvorkommen üblichen Warnrufe sind kaum zu vernehmen. Selbst in der Paarungszeit, in der die Tiere stark an der Oberfläche aktiv sind waren kaum Ziesel zu bemerken. Die Monitoringberichte, die seit 2013 vierteljährlich zum Zustand des Vorkommens vorliegen, verraten dazu: nichts. Der letzte Bescheid der MA 22, der das Monitoring regelte, lief Ende 2020 aus und ein Nachfolgebescheid wurde erst gar nicht ausgestellt. Wie es also um das Vorkommen in der aktuellen Saison, kurz vor weiteren drohenden Lebensraumeingriffen steht, ist somit nicht offiziell bekannt. “Was die MA 22 nicht weiß – oder wissen will -, macht die MA 22 nun mal nicht heiß” und so genehmigt sie munter die weitere Vernichtung von Grünflächen bzw. Lebensraum der streng geschützten Ziesel. In dieses Bild passt auch, dass die letzte Zustandserhebung im Kerngebiet des Vorkommens, auf dem Gelände des Heeresspitals, vor 10 Jahren stattgefunden hat, obwohl laut dem Wiener Zieselaktionsplan [5] alle Vorkommen im 6-Jahres Rhythmus erfasst werden sollen (und bis auf das Heeresspital auch werden). Fehlt der Vergleich mit der Entwicklung desselben Vorkommens im Heeresspital, kann man einen Einbruch der Population auf der Projektfläche bequem auf mutmaßliche “natürliche Schwankungen” des gesamten Vorkommens schieben.

Ausgleichsflächen – mehr schlecht als recht.
Weil das auch schon bei den vorigen Genehmigungen im Einklang mit der Behörde als pro forma Maßnahme recht geschmeidig geklappt hat, wurden auch jetzt in der Umgebung des Heeresspitals Ersatzflächen, sog. “Ausgleichsflächen”, als Ausgleich für den verbauten Ziesellebensraum ausgewiesen. Eine Maßnahme, die sich aber durch das Volumen der bisher genehmigten und zukünftigen Bauprojekte tatsächlich als pro forma und als nutzlos erweisen dürfte. Denn bereits jetzt hinterlässt der Nutzungsdruck der immer dichter besiedelten Umgebung verheerende Spuren im verbleibenden Lebensraum der geschützten Tiere. Seit 2018 kamen im Umfeld über 550 Wohnungen hinzu, fast 600 weitere sollen noch auf der Zieselwiese errichtet werden. Die Folge davon sind von Hunden tief aufgegrabene Zieselbaueingänge und gestresste Tiere, die kaum ungestört Zeit haben, sich für den mehr als 6 Monate dauernden Winterschlaf überlebensnotwendige Fettreserven anzufressen, was deren sicheren Tod bedeutet. Das Problem betrifft nicht nur die direkt an das bereits verbaute Gebiet angrenzende restliche Zieselwiese (wo es zum Teil von der Behörde bestätigt wird), sondern auch die Ausgleichsflächen. Auf den als Ausgleich für den nächsten Bauschritt vorgesehenen Flächen sind geschätzte 90% aller Baueingänge aufgegraben.

Solche “Nebengeräusche” scheinen die mit Artenschutz befasste Wiener Umweltbehörde MA 22 nicht aus der Ruhe zu bringen, denn sie bewertet einen 1:1 Flächenausgleich als Ersatz ausreichend und ignoriert dabei einfach, dass die schlechte Lebensraumqualität auf der Ausgleichsfläche kaum zu einer ähnlich dichten Besiedlung führen kann, wie sie auf der Projektfläche vor Beginn der Bauarbeiten zu finden war.
Hinzu kommt, dass diese Ausgleichsfläche nur über einen eigens errichteten “Zieselsteg” [6] mit dem restlichen Vorkommen beim Heeresspital verbunden ist. Ist das Bauprojekt dann im Vollausbau genehmigt und vollendet, ist der schmale Grasstreifen zwischen Brücke und bebautem Gebiet mit Sicherheit nicht mehr für Ziesel geeignet, und das Vorkommen auf der Ausgleichsfläche (sofern es dann noch eines gibt) vom Rest des Heeresspitalsvorkommens abgeschnitten. Bereits jetzt wächst der Bestand auf dieser Ausgleichsfläche seit drei Jahren nicht mehr, trotz immensem Auswanderungsdruck durch die Verkleinerung des Lebensraums auf der Zieselwiese.

Die für den Artenschutz essentielle Frage, ob das Vorkommen auf der Ausgleichsfläche selbsterhaltungsfähig ist, oder nur durch Einwanderer stabil bleibt, interessiert die Behörde gar nicht. Eine Forderung nach einer Mindestgröße des Vorkommens, ab der eine langfristige Selbsterhaltung angenommen werden kann, sucht man im aktuellen Bescheid vergeblich. Womöglich, weil der aktuelle Bestand von höchstens 35 Tieren etwas weit von den für eine selbsterhaltende Population notwendigen 160-300 Stück entfernt ist und man die gut vernetzten Bauträger nicht mit so etwas behelligen kann.
Kosten für Artenschutz sozialisiert, Profit privatisiert.
Die Bewilligung für die Verwirklichung des Bauvorhabens bedeutet zugleich die Bewilligung für die endgültige und nachhaltige Zerstörung des dortigen Lebensraums für diesen Teil der Wiener Zieselpopulation. Deshalb sollte man also erwarten können, dass der Ersatzlebensraum, der als Ausgleich bereitgestellt werden muss, auch dauerhaft von den Projektwerbern zu pflegen ist. Genau das ist aber nicht der Fall, denn die Ausgleichsflächen sind von den Bauträgern nur 15 Jahre(!) lang zu pflegen. Im Bescheidtext findet sich zwar das Wort “mindestens”, allerdings ohne jegliche Präzisierung wie und zu welchen Bedingungen weitere Pflege vorgeschrieben werden kann. Eine vollkommen zahnlose Bestimmung also, bei welcher wahrscheinlich auch die Hoffnung mitschwingt, dass sich die Pflege nach 15 Jahren ohnehin erübrigt haben dürfte.
Im Zusammenhang mit dem Bauprojekt beim Heeresspital wird immer wieder gerne und gebetsmühlenartig betont, dass es sich dabei um “geförderten Wohnbau” – gleichsam ein Projekt zum Wohle der Allgemeinheit, handelt. Was unheimlich uneigennützig klingt (beide Projektwerber, Kabelwerk und Donaucity, sind KEINE gemeinnützigen, sondern gewinnorientierte Bauträger) besitzt aber einen Haken: Die Förderung bindet die Mietpreise lediglich für 10 Jahre, die Miete für danach abgeschlossene Mietverträge kann vom Vermieter nach Belieben festgesetzt werden. Man kann also davon ausgehen, dass nach dem Auslaufen der 15-jährigen vorgeschriebenen Pflege der Ausgleichsflächen, diese Aufgabe auf die Stadt und somit den Steuerzahler übergeht (sofern es dann noch Ziesel gibt), während die Eigentümer der verbauten Fläche zu diesem Zeitpunkt seit 5 Jahren unbeschränkt Gewinnmaximierung betreiben dürfen.
Argumentative Verrenkungen
Erst durch die Stellungnahme der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung), die das überwiegende öffentliche Interesse am Wohnbau an diesem Standort bescheinigt, wurde die Ausnahme vom Artenschutz zur Genehmigung der Zieselvertreibung möglich gemacht. Die Argumentation, wieso ausgerechnet der Lebensraum einer vom Aussterben bedrohten Art ein alternativloser Standort für ein Bauprojekt sein soll, wie sie in Wien jährlich zu dutzenden verwirklicht werden, gibt einen tiefen Einblick, wieso es um die Biodiversität in Österreich und vor allem in Wien so schlecht bestellt ist:
Die MA 18 verweist darauf, dass ihre Stellungnahme aus dem Jahr 2015 (damals unter Grüner Führung), mit der die ersten Ziesellebensraumvernichtungen ermöglicht wurden, weiterhin vollinhaltlich gültig sei. Seither hat sich die Lage am Wohnungsmarkt jedoch grundlegend verändert: Bereits bei der Fertigstellung der Wohnbauten am Zieselfeld Anfang 2019 war es problemlos möglich, spontan Wohnungen in der Anlage zu mieten. Zur selben Zeit begannen Publikationen der Immobilienbranche von einer Übersättigung mehrerer Marktsegmente zu sprechen [7], [8], [9]. Derzeit dürften bis zu. 80% der fertiggestellten freifinanzierten Miet.- und Eigentumsprojekte nicht an zukünftige Bewohner, sondern an Investmentfonds gehen [10], [11]. Somit wird die derzeitige Fortsetzung des Baubooms nicht durch akuten Wohnraumbedarf, sondern durch das Parken billigen Investorengeldes in Betongold befeuert, hohe Mieten sind nicht einem knappen Angebot, sondern der Suche nach Rendite geschuldet. Auch im sozialen Wohnbau dürfte der Druck stark nachgelassen haben [12]. Angesichts dieser neuen Ausgangslage ist es mehr als gewagt, eine Alternativlosigkeit des Projekts zu behaupten und die Frage, warum eine Behörde der Stadt dem Interesse an ungehinderter Erzeugung von Investmentobjekten einen höheren Stellenwert einräumt, als dem Schutz des Allgemeinguts Biodiversität, ist mehr als berechtigt.
Auch das gerne angeführte Argument der enormen bereits getätigten Investitionen für Planung und Erschließung ist kein belastbares, denn wer in ein Projekt investiert, von dem er weiß, dass es möglicherweise nicht genehmigungsfähig ist, begründet damit keinen Anspruch und tut es auf eigenes Risiko. Zur Erinnerung: Beide beteiligten Bauträger sind gewinnorientierte Firmen.
Geradezu absurd ist aber die Feststellung, dass gerade die Zieselwiese perfekt alle die Kriterien als Stadterweiterungsgebiet erfüllt, und deshalb umgehend bebaut werden muss. Bevorzugt soll Wohnbau nämlich im Rahmen der “inneren Siedlungserweiterung” stattfinden “prioritär innerhalb des bereits bebauten und infrastrukturell erschlossenen Gebiets”, denn nur so “kann die Bebauung landwirtschaftlicher Böden und großräumig zusammenhängender naturräumlicher Flächen am Stadtrand unterbleiben.”. Die Bebauung des Zieselfelds “Trägt mitunter dazu bei, großflächige und wertvolle Natur- und Naherholungsräume in ihrem Bestand zu sichern beziehungsweise zu erweitern (z.B. Regionalpark DreiAnger).” [2]
Ein kurzer Blick auf eine Karte zeigt, dass die Zieselwiese, behördlich auch “Standort für innere Siedlungserweiterung” genannt, 200 Meter Luftlinie von den ersten Feldern des Marchfelds entfernt liegt, direkt an den “Regionalpark „DreiAnger” anschließt, dessen Bestand “gesichert beziehungsweise erweitert” werden soll, und nur deshalb nicht Teil des Regionalparks und Landschaftsschutzgebiets ist, weil man stur an einer Verbauung festhält. Zum Regionalpark DreiAnger gehören übrigens einige Schottergruben mitsamt Erweiterungsflächen und Bauschuttdeponien, nicht jedoch das angrenzende große Zieselvorkommen beim Heeresspital…

Würde es die Stadt mit dem Fokussieren der Entwicklung auf infrastrukturell gut erschlossene, innerhalb des bereits Bebauten liegende Gebiete ernst meinen, müsste sie sich beispielsweise das Umfeld der Schnellbahnstation Brünnerstrasse vornehmen – mit einem verloren auf einem weitläufigen Parkplatz freistehenden Billa, direkt beim Abgang der Station. Besser erschlossene und gleichzeitig weniger effizient genutzte Flächen, wird man kaum finden.

Doch das Bauen auf der grünen Wiese und auf fruchtbaren Ackerflächen ist bedeutend einfacher und profitabler und zugleich eine Schande für Wien. Bis sich diese Einsicht durchsetzt, werden aber wohl noch viele schützenswerte Flächen unter Beton verschwinden. In Bezug auf das gegenwärtige Artensterben, scheinen wir alle Zeit der Welt zu haben.
[1] Naturschutzrechtliche Einreichung Gesamtprojekt, Seite 1
[4] Übersichtsplan Ausgleichsflächen
[6] Fauler Zauber beim Zieselsteg
[7] Kurier – 4.12.2019: Studie sieht Trendwende am Wiener Wohnungsmarkt
[8] DerStandard – 8.5.2020: Wachstumsschmerzen: Zu viele Wohnungen für Transdanubien?
[9] Die Presse – 18.1.2021: Mieter fehlen – Wohnungen stehen zunehmend leer
[10] Krone – 21.4.2021: U-Bahn-Plan zeigt Preise für Wohnungen in Wien
[11] orf.at – 29.4.2021: Immobilieninvestoren entdecken Wien
[12] Krone – 30.12.2020: Leichterer Zugang zu kleinen Gemeindewohungen