
Gehege für Umsiedlung eingefangener Ziesel – jenseits des Marchfeldkanals
“Schließlich entscheiden die Ziesel, ob und wann wir bauen können”, Unique Relations, PR–Agentur der Bauträger, 2016 [1].
“alle Zeitpläne sind Spekulation, wir richten uns nach den Tieren” Thomas Knoll, ökologische Bauaufsicht, „Sie werden nicht gefangen und irgendwo hingetragen“ Ilse Hoffmann, ökologische Bauaufsicht, 2012 [2].
“Ein Kollege der SPÖ hat Ihnen beim letzten Mal schon gesagt, wenn die Ziesel nicht wandern, dann kann dort nicht gebaut werden.” GR. Rüdiger Maresch, Grüne, 2013 [3].
Hohle Phrasen zur Blendung der Öffentlichkeit, jahrelang als Beschwichtigung seitens Bauträger–PR und Wiener Stadtpolitik zu den durch ein Bauprojekt gefährdeten Zieseln beim Heeresspital aufgefahren, denn bei den sogenannten “naturschutzrechtlichen Verfahren” zur Genehmigung der Bauprojekte nördlich des Heeresspitals wird der Eindruck immer stärker, dass sie nur ein mögliches Ergebnis haben: Eine Genehmigung des eingereichten Projekts, mit immer kreativeren Begründungen, und immer mehr auf Kosten der Ziesel. Egal ob die zur Bedingung gemachten Auflagen funktioniert haben oder nicht, gebaut wird auf jeden Fall.
Ein Stück Ziesellebensraum gefällig?
Was auch immer von den Bauträgern als “Projekt” benannt und beantragt wird, beim stückweisen Durchwinken lässt sich die Wiener Umweltbehörde MA 22 durch nichts aus der Ruhe bringen:

- 2016: Eine angeblich im öffentlichen Interesse erfolgende Bodenabtragung für Kabelwerk und Familienwohnbau, allerdings ohne ein konkretes Bauprojekt.
- 2016: Eine Bodenabtragung für das Österreichische Volkswohnungswerk, ebenso ohne konkretes Bauprojekt.
- 2017: Bauprojekte von Kabelwerk und Familienwohnbau, eigentlich im Ziesellebensraum, jetzt allerdings laut Behörde nicht mehr genehmigungspflichtig, da die Tiere ja zuvor durch den zweckfreien Bodenabtrag “im öffentlichen Interesse” vertrieben wurden.
- 2017: Ein halbes Bauprojekt der Sozialbau, denn man hatte bei 1) auf die halbe Projektfläche “vergessen”
- 2018: Genehmigung für zwei weitere Gebäude des Kabelwerks, vermutlich wurde im Vorfeld wieder einmal “vergessen”, dass sich die beiden Fundament und Garage mit den in 3) Genehmigten Gebäuden teilen.
- 2018: Das Volkswohnungswerk dürfte “vergessen” haben, dass die Baugrube etwas größer sein muss, als das zu errichtende Gebäude. Kein Problem, die MA 22 zeigt sich auch hier wieder großzügig.
Es ist anzunehmen, dass der Behörde auch diesmal jede einzelne Genehmigung “leicht gefallen ist”, wie die Leiterin der MA 22 in der Vergangenheit öffentlich betonte [4], nachdem durch die Stückelung vorausschauend dafür gesorgt wurde, dass jedesmal nur “wenige” Ziesel betroffen bleiben.
Die Leidtragenden dieser Fließbandausnahmen sind die vom Aussterben bedrohten Ziesel. Nachdem zuvor bereits die heftig propagierte “freiwillige” Abwanderung der Tiere für gescheitert erklärt wurde und stattdessen auf Vertreibung durch Lebensraumzerstörung und Ausbaggern der Zieselbaue gesetzt wurde, scheint es nun auch mit dieser Methode nicht schnell genug zu gehen. In einem rekordverdächtigen Tempo wurden alle auf den nun genehmigten Flächen lebenden Tiere eingefangen und auf der anderen Seite des Marchfeldkanals ausgesetzt. Sanfte Umlenkung? Rücksicht auf die europaweit streng geschützten Tiere? Nicht, wenn die EU gerade wegschaut und die Bauträger ungeduldig werden!
Während für die ersten Teilprojekte noch funktionierende Ausgleichsflächen mit Anschluss an das Vorkommen verlangt wurden, war die Behörde bei der letztjährigen Teilgenehmigung für die Sozialbau bereits weniger streng und akzeptierte eine zu kleine Ausgleichsfläche als ausreichend, mit dem verblüffenden Argument, darauf könnte ja eine höhere Besiedlungsdichte erreicht werden.
Mangels verfügbarer funktionierender Ausgleichsflächen ist man inzwischen dabei angelangt, die gegenüberliegende Seite des Marchfeldkanals mit Zieseln zwangszubesiedeln. Für die umgesiedelten Ziesel eine riskante Reise ins Ungewisse. Zwar gab es dort in den vergangenen Jahren vereinzelt Ziesel, von einer dauerhaften Besiedlung kann aber keine Rede sein. Das Risiko scheint der verantwortlichen Behörde egal zu sein.
Zieselvertreibung – reloaded
Die Sozialbau setzt dem seltsamen Treiben um die Lebensraumvernichtung die Krone auf – auf der Hälfte ihres Baufeldes soll seit zwei Jahren ein Bauvlies die “Wiederbesiedlung durch bodenbewohnende Tierarten” verhindern. Mehrere Ziesel haben jedoch in der Zwischenzeit im Vlies ihre Baue angelegt. Dank der geradezu fahrlässigen Ignoranz bei der Sicherung des Grundstücks wurden nun zum zweiten Mal Ziesel von derselben Fläche vertrieben – mehr sogar als bei der ursprünglichen Räumung des Grundstücks ausgebaggert und gestresst wurden. Ob dafür überhaupt eine gültige Genehmigung existiert, ist fraglich, denn die ursprünglich genehmigte Vertreibungsprozedur endet mit der Abdeckung der Fläche mit Bauvlies.
“überwiegendes öffentliches Interesse” an Lebensraumzerstörung trotz wachsender Baulandreserve
Um Eingriffe in den Lebensraum einer geschützten Art zu genehmigen, muss das Interesse der Allgemeinheit an der Realisierung des Vorhabens das öffentliche Interesse am Schutz der Art überwiegen, hinzu kommt, dass es keine zumutbaren Alternativstandorte für das Projekt geben darf. Beides ist beim Wiener Heeresspital ganz klar nicht der Fall – was die MA 22 seit Jahren nicht daran hindert, Ausnahmen in Serie zu genehmigen und zwar unter Berufung auf eine Stellungnahme der zur Grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ressortierenden MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung).
Während beim Heeresspital in den letzten Jahren immer wieder die Zerstörung von wertvollem Lebensraum seltener und geschützter Tierarten beantragt und genehmigt wurde, wuchs die im Besitz der Stadt Wien befindliche “Baulandreserve” – für die Schaffung von leistbarem Wohnraum gedachte Grundstücke – von ca. 2 Mio. m² Anfang 2013 [5] auf 2,8 Mio. m² 2018 [6]. Ein Mangel an Alternativstandorten für leistbare Wohnungen ist also kaum gegeben und daher kein zwingender Grund für die politisch gewollte Lebensraumzerstörung.
2016 stimmten die EU–Mitgliedsstaaten mit großer Mehrheit für die unveränderte Beibehaltung der FFH–Richtlinie, die EU–weit den Arten– und Habitatsschutz regelt. Die damalige Evaluierung ergab, dass die Richtlinie ausreichenden Schutz biete und lediglich konsequenter umgesetzt werden müsse (Österreich hatte keine Meinung zu dem Thema). Die Ziesel beim Heeresspital sind leider nur ein Beispiel von vielen, dass gefährdete Arten außerhalb von ausgewiesenen Schutzgebieten in der Praxis nur dann wirksamen Schutz genießen, wenn zufällig keine anderen wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen. Die oftmalige Ignoranz der Mitgliedstaaten und die nur langsame Reaktion der EU darauf, ist einer der Gründe, weshalb die EU ihr selbst gestecktes Ziel, den Verlust an Artenvielfalt bis 2020 zu stoppen, klar verfehlen dürfte.
[1] BZ (Floridsdorf), 2016 – EU stellt sich hinter Zieselschutz
[2] Kronen Zeitung, 2012 – „Es werden hier keine Maschinen auffahren, solange es Ziesel gibt“
[3] GR Rüdiger Maresch, 2013 – https://www.wien.gv.at/mdb/gr/2013/gr–040–w–2013–06–24–072.htm
[4] Kurier, 2016 – Hysterie um geschützte Tiere schadet dem Artenschutz
[5] WienerZeitung, 2013: Es wird keine Lücke produziert
[6] Kurier, 2018 – Sozialer Wohnbau: Gemeinnützige unter Druck
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