Ein von den Bauträgern an die Wiener Naturschutzbehörde MA 22 übermittelter „Zeitplan“ belegt nun erstmals wortwörtlich, was ohnehin längst klar war:
Die Akzeptanz der vorgesehenen Ausgleichsflächen durch die beim Heeresspital lebenden Ziesel ist „nicht kalkulierbar“! Auch haben bislang nachweislich keine Wanderbewegungen dorthin stattgefunden.
Das Papier offenbart noch weitere „spannende“ Aspekte. So kennen die Projektwerber vorab schon Auflagen, obwohl von der Behörde noch gar kein Bescheid zur Ziesel-Absiedlung vorliegt. Unbürokratischer Austausch parallel zu gesetzlich notwendigen Formalitäten?
Die Absicht die Tiere durch Pflügen zu lenken, räumt zudem mit dem PR-Märchen auf, dass Umackern im Ziesel-Lebensraum außerhalb deren Winterschlafs keine ungünstigen Auswirkungen haben kann.
Aufsehenerregende Medienberichte („Umwidmung als Kriminalfall?“) werfen indes neues Licht auf die Vorgänge rund um die viel diskutierte Widmung beim Heeresspital.
Der „Zeitplan“ zum Download
Der knapp vor Weihnachten 2012 von den Bauträgern an die MA 22 übermittelte „Zeitplan“ ist im Detail hier nachzulesen:
Nicht kalkulierbare Akzeptanz der Ausgleichsflächen ?
Sobald 50 Prozent der Ziesel das Projektgebiet verlassen haben, sollen die restlichen Tiere sukzessive durch Pflügen vertrieben werden. Ob die erste Hälfte auf den Ausgleichsflächen angekommen oder sonst wohin verschwunden sein muss, lässt das Schreiben offen.
Jedenfalls wird die nicht kalkulierbare Akzeptanz der Ausgleichflächen durch die Ziesel im „Zeitplan“ ausdrücklich betont:
Da eine Umlenkung im Ausmaß von 50% des Bestandes innerhalb eines Jahres nicht realistisch erscheint, vor allem wegen der nicht kalkulierbaren Akzeptanz der Ausgleichsflächen, wird die Maßnahme auf bis zu 2 Hektar pro Jahr begrenzt.
Akzeptanz der Ausgleichsflächen: Praktisch gleich Null !
Warum jedoch überhaupt noch Unsicherheiten bezüglich der Akzeptanz der Ausgleichsflächen bestehen, ist eigenartig. Denn der überwiegende Teil der Ersatzflächen liegt jenseits des Marchfeldkanals und wäre für die Tiere nur über eine schmale Brücke zu erreichen.
Tatsächlich finden die ersehnten Wanderungen über die Brücke aber nicht statt. Schon im Oktober 2012 berichten daher die Bauträger an die MA 22, dass auf die Erbringung eines entsprechenden Nachweises (Fang/Wiederfang markierter Ziesel beiderseits der Brücke) wegen Aussichtslosigkeit bislang verzichtet wurde:
Am 07.08.2012 wurden jene potenziellen Ausgleichsflächen östlich des Marchfeldkanals kartiert, die der Brücke am nächsten liegen (…). Trotz flächendeckender Vorgangsweise (…) wurden auf ca. 2 ha weder Bausysteme noch Fallröhren gefunden. Da sowohl für Ziesel als auch für Hamster auszuschließen ist, dass sie sich auf einer Fläche aufhalten, die keinerlei Zufluchtsmöglichkeiten bietet (…), wurde von Fangversuchen abgesehen.
Behördliche Auflagen schon vor Genehmigung der Ziesel-Lenkung bekannt
In der äußeren Wahrnehmung wirkt sich die offenkundige Perspektivenlosigkeit der Ausgleichsmaßnahmen nicht auf die Zusammenarbeit zwischen der weisungsfreien Naturschutzbehörde und den Projektwerbern aus. Überraschend nimmt der im Auftrag der Bauträger verfasste „Zeitplan“ gar Bezug auf eine bis dato unbekannte „Auflage 4“:
Bei Vorliegen von 50% der Population außerhalb des Projektgebietes (…) Beginn der Lenkungsmaßnahmen durch Grasnabenabtrag und anschließendes Pflügen (…). Da diese Maßnahme erst nach Erkenntnis des Monitoring und außerhalb der Winterschlaf- bzw. Säugezeit (Auflage 4) erfolgen kann, …
Auflagen werden durch die Behörde im Rahmen von naturschutzrechtlichen Bescheiden erteilt. Jedoch hat die MA 22 nach eigenen Angaben bis dato keinen Bescheid zum Umlenken der Heeresspital-Ziesel auf Ersatzflächen erlassen. Vielmehr wies sie im letzten Bescheid von März 2012 Lenkungsmaßnahmen sogar ausdrücklich zurück. Lediglich Fang und Wiederfang der Tiere zu Forschungszwecken wurde damals unter Verfügung dreier Auflagen genehmigt.
Daher ist es in der Tat erstaunlich, dass in dem an die Behörde gerichteten Schreiben die Kenntnis einer vierten Auflage dokumentiert wird, die sich noch dazu auf das bislang untersagte Lenken der Ziesel bezieht. Ist es also möglich, dass bereits vor Erlass eines naturschutzrechtlichen Bescheides Kenntnis über darin erteilte Auflagen besteht?
Gutes Pflügen vs. böses Pflügen
Wie schon oft kritisiert, scheint es aus vielen Gründen unverantwortlich, den Lebensraum der Ziesel während ihrer aktiven Saison mit dem Pflug zu bearbeiten. Bislang wurde jedoch seitens der Naturschutzbehörde stets beteuert, dass ein solcher Umbruch bis maximal 30 cm Tiefe ohne Auflagen im völligen Einklang mit dem Naturschutzgesetz stehe.
Andererseits geht nun aus dem vorgelegten „Zeitplan“ wenig überraschend hervor, dass man die Ziesel beim Heeresspital durch streifenweises Pflügen ihres Habitats (wiederum max. 30 cm tief) auf die Ausgleichsflächen umlenken will. Worin der qualitative Unterschied zwischen dem Pflügen in dem einen und dem anderen Fall liegt, weiß wohl nur die Behörde.
Jedenfalls muss bezweifelt werden, dass die österreichweit vom Aussterben bedrohten Zieseln jeweils einordnen können, ob es sich beim Pflügen bloß um eine gut gemeinte Pflegemaßnahme oder doch um eine Offensivsaktion handelt.
„Umwidmung als Kriminalfall?“ und „Fall für Korruptionsanwaltschaft?“
So titelte am 5. Jänner 2013 ein aufsehenerregender Bericht in der „Kronen Zeitung“. Darin greift das Blatt die seinerzeitigen Vorgänge im Vorfeld des Zustandekommens der Flächenwidmung beim Wiener Heeresspital auf. Bei der Widmung gab es merkwürdigerweise kein Gutachten der MA 22, ergaben Recherchen der „Krone“. Das bedeutsame Vorkommen der streng geschützten Ziesel beim Heeresspital war jedoch schon seit 2005 behördlich dokumentiert.
Auch die „Floridsdorfer Bezirkszeitung“ geht in ihrer letzten Ausgabe der Thematik auf den Grund und stellt abschließend die Frage, ob ein „Fall für die Korruptionsanwaltschaft“ vorliegen könnte?
Öffentliches Interesse an Ziesel-Schutz statt „Operation Hoffnungslos“
Obwohl die Ziesel österreichweit unter letalem Druck stehen, wird das Schauspiel um die Ziesel-Kolonie beim Wiener Heeresspital von Woche zu Woche unwürdiger.
Zuletzt sprach sich die Floridsdorfer Bezirkspolitik erfreulicherweise mehrheitlich für den konsequenten Schutz der bedrohten Ziesel aus. Nach ihrem Willen soll das Bauprojekt beim Heeresspital an anderer Stelle realisiert und stattdessen auf den Grünflächen rund um das Heeresspital ein Naturschutzgebiet festgesetzt werden. Fast 9.000 Menschen unterstützen bereits mit ihrer Unterschrift diese Forderungen.
Von Seite der Wiener Landesregierung gibt man sich vom massiven öffentlichen Interesse am Schutz der Ziesel völlig unbeeindruckt. Lieber hält man am beispiellosen Vorhaben zur Absiedlung der vom Aussterben bedrohten Tiere auf weit verstreute und zugleich größtenteils unerreichbare Ersatzflächen fest.
Die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass im Habitat einer der letzten großen Ziesel-Kolonien Österreichs jemals ernsthaft Planungen aufgenommen und millionenschwere Investitionen getätigt wurden, ist für die Verantwortlichen dabei offenbar nicht von Interesse.
Es ist also zu befürchten, dass in der Ziesel-Causa der Tiefpunkt an realem Natur- und Artenschutz längst noch nicht erreicht ist. Schon bald könnte es grünes Licht für eine „Operation Hoffnungslos“ geben …