
Ginge es nach der Wiener Umweltbehörde MA 22 und den Bauträgern würden sich über dem Zieselfeld seit letztem Sommer wieder die Baukräne drehen. Ein weiteres Drittel der Zieselwiese nördlich des Heeresspitals wäre Geschichte. Nun wurde der naturschutzrechtliche Bescheid [1], der die weitere Zerstörung von Ziesellebensraum ermöglicht hätte, vom Verwaltungsgericht Wien aufgehoben. Zwar ist damit eine weitere Verbauung des Habitats vorerst gestoppt, doch jene Schäden, die durch bisher genehmigte und erfolgte Bauschritte samt untauglicher „Ausgleichsmaßnahmen“ am Vorkommen entstanden, sind immens.
Besonderer Dank gilt:
- Allen Unterstützerinnen und Unterstützern der IGL-Marchfeldkanal für ihre Spenden, die ein juristisches Vorgehen möglich gemacht haben
- VIRUS und Wolfgang Rehm, für ihren unermüdlichen Einsatz für die Umwelt
- Madeleine Petrovic und dem Team von Tierschutz Austria/Wiener Tierschutzverein für ihre Unterstützung seit Öffentlichwerden des Zieselvorkommens 2011
- Wolfgang Suske für die langjährige Begleitung mit seiner Expertise zur FFH-Richtlinie und insbesondere zur Alternativenprüfung
- Egon Zwicker für seine Analyse der Projektauswirkungen und behördlichen Ausgleichsmaßnahmen
Ausschlaggebend für die Aufhebung des naturschutzrechtlichen Bescheids der MA 22 war die unzureichende Prüfung möglicher Alternativen. Die Projektbetreiber konnten nicht schlüssig belegen, dass es zur Verwirklichung des Bauprojekts auf besagter Fläche keine gleichwertigen Alternativen mit geringeren Auswirkungen auf streng geschützte Arten existieren, um in Wien ausreichend leistbaren Wohnraum zu schaffen.
Damit sind aber auch sämtliche bislang erteilten Ausnahmegenehmigungen für die schon realisierten Bauschritte rechtlich wohl kaum haltbar, da die von der Behörde bisher akzeptierte Argumentation immer dem selben Muster folgte. Nach Meinung von Experten ist somit die bisherige Bebauung vermutlich rechtswidrig.
Behörde stellt sich seit 2012 taub und blind.
Es hätte nicht soweit kommen müssen. Bereits 2012 wurde die MA 22 mittels einer vom Wiener Tierschutzverein in Auftrag gegebenen und an die Behörde übermittelten Studie [2] darauf aufmerksam gemacht, welche Kriterien ein europarechtlich korrektes artenschutzrechtliches Verfahren zu erfüllen hat. Bei der Erstellung des ersten, 2013 ergangenen, naturschutzrechtlichen Bescheides [3] wurden die diesbezüglichen Hinweise geflissentlich ignoriert. Da ein Vorgehen gegen naturschutzrechtliche Bescheide vor österreichischen Gerichten damals nicht möglich war, wurde eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht, unter anderem, da
Nach unserer Auffassung sowie nach Auffassung namhafter Experten verstößt der erlassene Bescheid fundamental gegen die Prinzipien des unionsweiten Artenschutzes da, im Zuge des Verfahrens weder Prüfungen hinsichtlich alternativer Standorte, noch eine Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Interesses stattgefunden haben.
Beschwerdebrief an EU-Kommission zu Verfahren 5738/13/ENVI, 03.07.2013
Die seinerzeit eingeleitete EU-Beschwerde könnte zwar verhindert haben, dass die Gesamtfläche zügig von streng geschützten Arten geräumt wurde. Ab 2016 begann man jedoch das Gesamtvorhaben in kleine Stücke aufzuteilen. Für jedes Teilprojekt wurden jeweils „geringe“ Auswirkungen auf die Zieselpopulation behauptet. Wie zuletzt 2018, wurde von der MA 22 alle Anträge ausnahmslos genehmigt, obwohl auch diese – analog zum jetzt aufgehobenen Bescheid – keine korrekte Alternativenprüfung enthielten.
Beschwerdemöglichkeit seit 2021
Bis 2021 existierte keine Möglichkeit naturschutzrechtliche Bescheide zu beeinspruchen, selbst wenn sie offensichtlich nicht gesetzeskonform waren. Österreich hat die Aarhus Konvention, die Bürgern Zugang zu Gerichten in Umweltbelangen gewährt, zwar unterzeichnet, aber nicht korrekt umgesetzt (nur Umweltanwaltschaften waren als Repräsentanten der Öffentlichkeit an Verfahren beteiligt). Nach einer Mahnung seitens der EU-Kommission wurden die Gesetze angepasst, 2021 schließlich auch in Wien, womit nunmehr zumindest anerkannte Umweltorganisationen das Recht haben, Bescheide nach Ausstellung zu beeinspruchen. Der neuen Gesetzeslage entsprechend, wurde der im April 2021 von der MA 22 ausgestellte Bescheid, der die Bebauung eines weiteren Drittels der Zieselwiese nach “bewährtem” Muster genehmigt hätte, von der Umweltorganisation VIRUS beeinsprucht.
Argumente, die pauschal Artenschutz für Wohnbau ausgehebelt hätten
Die Projekteinreichung enthielt statt einer Alternativenprüfung lediglich ein lapidar mit „Keine andere zufriedenstellende Lösung“ betiteltes Kapitel. Doch selbst nachdem die Bauträger vom Gericht zu einer Mangelbehebung aufgefordert wurden, waren diese nicht in der Lage, eine gesetzeskonforme Alternativenprüfung vorzunehmen. Der im Zuge des Verfahrens nachgereichte, an eine Alternativenprüfung angelehnte, Schriftsatz konnte nicht darlegen, weshalb just die von Zieseln besiedelte Fläche alternativlos zur Schaffung „leistbaren Wohnens“ in Wien sei. Ebenso gelang es nicht dazulegen, warum der dort angerichtete Schaden an Naturschutzgütern geringer wäre, als bei Realisierung des Projekts an anderer Stelle.
Warum im Rahmen der Mangelbehebung ausschließlich alternative Flächen im 21. Bezirk betrachtet und der direkt benachbarte 22. Bezirk ignoriert wurde, wurde von den Bauträgern damit begründet, dass für den 21. Bezirk in den nächsten 20 Jahren ein Bevölkerungszuwachs von 22.000 Personen erwartet werde. Folglich würde entsprechend viel Wohnraum benötigt. Dieser Argumentation konnte die Richterin nicht folgen. Sie stellt im Gegenteil fest, dass ein solcher Zuwachs direkte Konsequenz eines verwirklichten Wohnungsangebots wäre und nicht umgekehrt.
Warum naturschutzrechtliche Verfahren wichtig sind
Auch eine Baulandwidmung, bzw. die Ausweisung eines Gebietes als Stadtentwicklungsgebiet, bedeutet nicht zwingend, dass jeder gewidmete Quadratmeter bebaut werden darf (auch dieses Argument wurde bemüht). Naturschutzrechtliche Verfahren sind genau dafür da, um im Falle eines Konflikts mit dem Artenschutz abzuwägen, und ein Projekt zu genehmigen, oder – überraschung – zu untersagen. In die Festsetzung von Landschaftsschutz & Siedlungszonen fließt der Verlauf von Naturschutzgebieten ein. Außerhalb davon scheint die Grenzziehung Resultat intransparenter Vorgänge zwischen Politikern und Interessensgruppen, bei der Artenschutz bis dato keine Relevanz hatte. Auch im Rahmen von Flächenwidmungen werden Artenschutzaspekte schon mal übersehen. Das Plandokument 7906 [4] für die Umgebung des Heeresspitals sah 2009 „positive Auswirkungen“ auf die Umwelt. Zu den seit zumindest 2007 im Plangebiet bereits aktenkundigen Zieseln [5] oder anderen geschützten Arten, fand sich darin kein Wort. Hinweise auf bereits erfolgte übergeordnete Planungsschritte, bei denen der Artenschutz keine Rolle spielte, dürfen bei einem Artenschutzrechtlichen Verfahren nicht als Argumente für die zwingende Verwirklichung eines Projekts gelten.
Frustrierte Aufwendungen und bereits getätigte Investitionen.
Bereits in früheren Einreichungen und Bescheiden war von frustrierten Aufwendungen und verlorenen Investitionen durch die Bauträger die Rede, die im Falle einer Ablehnung des Ansuchens zu beklagen wären. Vielleicht könnten die Bauträger ja verlorenes Geld bei der Stadt Wien einklagen. Anstatt seit 2011 zu signalisieren „mach ma schon irgendwie“ hätte diese dafür sorgen können, dass ihre Umweltbehörde korrekt arbeitet. Noch vor immensen Aufwändungen in Millionenhöhe, hätte – wie auch von unabhängigen Experten attestiert – ein gesetzeskonformes naturschutzrechliches Verfahren Klarheit hinsichtlich der Realisierbarkeit des Projekts schaffen können.
Zieselvorkommen in Katastrophalem Zustand
Die Auswirkungen der bisher genehmigten Bauschritte auf den verbliebenen Ziesellebensraum dürften von der Behörde offenbar gravierend unterschätzt worden sein. Während der Bestand auf der noch unbebauten Projektfläche in den letzten Jahren zunächst langsam zurückging, folgte 2021 ein regelrechter Zusammenbruch.
Trotz zieselgerechter Pflege und damit verbundener regelmäßiger Mahd lebten dort am Ende der Saison weniger Ziesel als 2011, kurz nachdem auf der Fläche die Landwirtschaft eingestellt worden war.
Mit Stand 5.10. waren Bauöffnungen von 113 Bausystemen erkennbar, davon allerdings die wenigsten mit Nutzungsspuren wie frischer Auswurf, Wechsel, Fraßreste (z.B. Blütenteile) oder Losung. Die Zahl tatsächlich genutzter Baue dürfte daher um einiges niedriger sein.
Bericht ökologische Aufsicht Q3 2021, 14.10.2021 [6]

Sieht man sich die räumliche Entwicklung des Vorkommens zwischen 2018-2020 an – also im Wesentlichen seit die fertiggestellten Bauteile bezogen wurden – wird deutlich, dass die stärksten Rückgänge in der Nähe der Bebauung zu beklagen waren (rot, gelb) während Zuwächse nur in weit davon entfernten Abschnitten stattfanden (grün)

rot – Abnahme um 4 oder mehr Baue
gelb – Abnahme um 1 oder mehr Baue
weiss – keine Änderung
grün – zunahme um 1 oder mehr Baue
hellgrün – zunahme um 4 oder mehr Baue
Bestandsdaten: Zwischenberichte der ökologischen Aufsicht. Auswertung: Lukas Mroz. Bildmaterial: Google Earth.
Der Populationseinbruch 2021 war Folge eines fast flächendeckenden Rückgangs, der wiederum im Nahbereich der Gebäude am stärksten war:

rot – Abnahme um 4 oder mehr Baue
gelb – Abnahme um 1 oder mehr Baue
weiss – keine Änderung
grün – zunahme um 1 oder mehr Baue
hellgrün – zunahme um 4 oder mehr Baue
Bestandsdaten: Zwischenberichte der ökologischen Aufsicht. Auswertung: Lukas Mroz. Bildmaterial: Google Earth.
Den Zieseln auf den Ausgleichsflächen jenseits des Marchfeldkanals, für die 2015 extra eine Zieselbrücke gebaut wurde [7], ging es nicht viel besser. Der ohnehin stark schwankende Bestand halbierte sich innerhalb nur eines Jahres und führte Behauptungen, die Flächen würden von den Zieseln gut angenommen, ad Absurdum.

So kann es nicht weitergehen
Nach inzwischen 11 Jahren des Herumlavierens wird es endlich Zeit für eine rechtskonforme und objektive Behandlung des Konflikts zwischen dem Bauprojekt und dem Zieselvorkommen nördlich des Heeresspitals durch die Behörden der Stadt Wien. Dass die bisherigen naturschutzrechtlichen Verfahren alles andere, nur keine korrekten Ausnahmeverfahren im Sinne der europäischen FFH Richtlinie waren, ist nun aufgrund des vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Bescheids evident. Da das Ansuchen bereits an der Alternativenprüfung grandios gescheitert ist, musste sich das Gericht nicht mehr mit den weiteren Kernaspekten des Verfahrens beschäftigen– der Abschätzung der Folgen für geschützte Arten und der Abwägung des öffentlichen Interesses an ihrem Erhalt gegenüber der Errichtung von Wohnraum.
Die katastrophale Entwicklung des Vorkommens nach Anwendung der von der MA 22 in der Vergangenheit abgenickten „Ausgleichsmaßnahmen“ legt nahe, dass die Auswirkungen der bereits fertiggestellten Bauteile viel gravierender sind als von der Behörde antizipiert und die dafür als Ausgleich gedachten Flächen großteils nicht geeignet sind, um die kurzfristige und langfristige Auswirkungen des Bauprojekts zu kompensieren. Weitere Bautätigkeit würde mit ziemlicher Sicherheit das Ende für das Zieselvorkommen nördlich des Heeresspitals bedeuten.
Es liegt an der Stadt Wien rasch eine Lösung zu finden, bei der das öffentliche Interesse am Schutz bedrohter Arten und der Erhaltung des Zieselvorkommens gewahrt bleibt und gleichzeitig das Ziel der Schaffung leistbaren Wohnraums – an einem anderen Ort – verwirklicht werden kann. Die Stadt hat alle dazu nötigen Werkzeuge in der Hand – Grundstückstausch und Widmungsänderung. Die Zieselwiese grenzt ohnehin an das Floridsdorfer Landschaftsschutzgebiet. Somit wäre nur eine geringfügige Grenzverschiebung nötig um das Vorkommen langfristig zu sichern.
[1] Umweltinformationen aus dem (aufgehobenen) Bescheid MA22 1127037-2020
[2] Voraussetzungen für eine europarechtlich korrekte Vorgehensweise zur Bewilligung von Wohnbauten auf Flächen nördlich des Heeresspitals. Dr. Thomas Ellmauer, Dipl. Ing. Wolfgang Suske, 2012.
[3] Bescheid MA 22 – 593/2012
[4] Plandokument 7946
[5] https://www.wien.gv.at/umweltschutz/naturschutz/biotop/ziesel-schutz.html
[6] Bericht ökologische Aufsicht Q3 2021
[7] Fauler Zauber beim Zieselsteg
Endlich bewegt sich etwas in die richtige Richtung. Schluss mit Tiermord … Schluss mit drüberfahren über vom Aussterben bedrohte und gesetzlich geschützte Ziesel … Kampf den Betonierern Ludwig und Nevrivy.
Gratuliere zu diesem Erfolg! Leider wird derzeit in Wien dem Klimawandel zum Trotz alles zubetoniert. Mit dem Argument Schaffung von Wohnraum werden alle ökologischen Aspekte vom Tisch gewischt. Hier verdienen nur Bauträger und Politiker. Mensch und Umwelt verlieren. Es freut mich sehr , dass hier Dank des unermüdlichen Einsatzes einiger engagierter Menschen zumindest ein Teilerfolg für die Ziesel erzielt werden konnte.
Sehr erfreuliche Nachricht