So ähnlich hätten die Schlagzeilen lauten müssen, als die Bauträger im Hochsommer dieses Jahres eine PR-Offensive starteten, um den Erfolg ihres sorgsamen Umgangs mit den Zieseln nördlich des Heeresspitals zu präsentieren[1]. Man stellt Ausgleichsflächen bereit, zäunt die Restfläche des Projekts ein und pflegt sie teilweise, misst Erschütterungen und Stresshormone im Kot der Tiere. So sehr wie all die gut klingenden Maßnahmen hervorgehoben wurden, so sehr wurde auch ein wesentliches aber schwerwiegendes Detail verschwiegen: Der Bestand auf der Projektfläche nördlich des Heeresspitals hat im Vergleich zum Vorjahr um gut 20% oder 50 Tiere abgenommen. Auf Abwanderung ist der Schwund jedenfalls nicht zurückzuführen – eine vergleichbare Zunahme auf den Ausgleichsflächen wurde nämlich nicht festgestellt. Festgestellt wurden jedoch insgesamt 6 tote Ziesel, zum Großteil in Baustellennähe. Zum Vergleich: Während des bisherigen Monitorings zwischen 2012 und 2018 wurde ein einziges totes Tier registriert (im Vorjahr, ebenfalls nahe den Baustellen).

Baustellen – Auswirkungen mit Verzögerung
Die wenigen bisher für die “Baufeldfreimachung” umgesiedelten oder vertriebenen Tiere waren nur die Spitze des Eisberges. Die durch die Aufteilung des gesamten Vorhabens in bisher 6 Teilprojekte (“Salamitaktik”) und vorherige Einstellung der Mahd jeweils geringe Anzahl der für die Baugruben zerstörten Baue durfte als Begründung für das “behutsame” vorgehen der Stadt bei der Genehmigung der Projekte durch die MA 22 herhalten:
“Im konkreten Fall war die Entscheidung sehr leicht, weil nur mehr wenige Ziesel – weniger als zehn – betroffen sind”[2]
Auf die Verlautbarung der Folgen der “leichtgefallenen” Entscheidungen durch ebendiese Behörde, nämlich Totfunden und Bestandsrückgängen, kann die Öffentlichkeit wohl lange warten. Im Laufe des Jahres wurden im Zuge des durch die Bauträger durchgeführten Ziesemonitorings vier tote Ziesel aufgefunden, drei davon in Baustellennähe. Weitere zwei Tiere wurden von Anrainern in der Nähe der Baustellen entdeckt. Obwohl der baustellennahe Bereich des Ziesellebensraums seit dem Frühjahr eingezäunt ist, und somit zumindest von direkten Störungen durch Hunde und Menschen geschützt ist, scheinen die dortigen Bewohner leichter Fressfeinden oder Krankheiten zum Opfer zu fallen. In Kombination mit einer erhöhten Wintersterblichkeit, und vermindertem Fortpflanzungserfolg, ergibt das vermutlich den beobachteten Bestandsrückgang.

Der wesentliche Unterschied zu den Jahren, in denen das Vorkommen gewachsen ist: Baustellen an zwei von vier Seiten des Lebensraums und fehlende Pufferzonen zu den Störquellen. Während das Vorkommen ursprünglich eher in der Mitte eines 7ha großen Feldes lebte, war zuletzt beinahe jeder verfügbare Quadratmeter der übergebliebenen 3,8ha besiedelt.

Ein Weibchen macht noch keine Population
Während der Bestand auf der Projektfläche bereits schrumpft, steht ein Nachweis selbsterhaltungsfähiger Besiedlung der Ausgleichsflächen jenseits des Marchfeldkanals immer noch aus. Mit Ende Juni wurden dort 18 Zieselbaue festgestellt, genauso viele wie ein Jahr davor. Von den östlich des Marchfeldkanals im Zuge des Monitorings eingefangenen Tieren war nur ein einziges weiblich[3], Beweise für eine erfolgreiche Fortpflanzung der Tiere in diesem Lebensraum waren offenbar keine zu finden. Für einen dauerhaft funktionsfähigen Ersatzlebensraum müsste die Population mindestens 300 Individuen aufweisen[4], da sie nach Fertigstellung des Bauprojekts und Entfernung des Zieselstegs faktisch von der Kernpopulation auf dem Heeresspitalgelände abgeschnitten wäre.
Nächste Bauschritte 2021?
Bis 2021 sollen nördlich des Heeresspitals keine weiteren Bauschritte erfolgen[5]. Zu befürchten ist, dass im Anschluß die derzeit dahindümpelnde Besiedlung der Ausgleichsflächen als Erfolg verkauft werden soll und weitere Baufelder mit dem Hinweis auf diesen genehmigt werden sollen. Die Strategie zeichnet sich bereits ab: Der vergleichsweise niedrige Bestand bei der ersten Kartierung des Vorkommens im Jahre 2011 soll als Maßstab herangezogen werden, womit selbst eine Halbierung der derzeitigen Population als Erfolg verkauft werden kann:
„Ab 2021 könnte die Absicht umgesetzt werden, einen nächsten Bauabschnitt umzusetzen“, so Knoll. „Aber nur dann, wenn es uns gelingt, und das sieht momentan sehr gut aus, dass der Zieselbestand, den wir ursprünglich vorgefunden haben, nicht schlechter, sondern möglicherweise sogar besser wird.“[1]
Eine Grundvoraussetzung für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zur Zerstörung von Lebensraum geschützter Arten ist, dass das öffentliche Interesse an der Realisierung des Projekts höher sein muss, als das Interesse an der Erhaltung der betroffenen Art. Gedacht war diese Ausnahme für Fälle, wie Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, Landesverteidigung oder Realisierung öffentlicher Infrastruktur mit eingeschränkter Standortauswahl. Angewendet werden solche Ausnahmen viel zu häufig, in Wien eben auch für trivialen Wohnbau, der an jedem beliebigen Alternativstandort realisierbar wäre. Für die bereits errichteten Teile des Projekts wurde in einem Gutachten der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung, Ressort Vassilakou) eifrig ein überwiegendes öffentliches Interesse am Bauprojekt festgestellt – Aufgrund des starken Zuzugs nach Wien und der damals zu geringen Wohnbauleistung. Heute jedoch stellt sich die Situation grundlegend anders da: Der Zuzug nach Wien hat stark nachgelassen. Wurde 2016 das überschreiten der Zwei-Millionen-Grenze für 2022 erwartet [6], sagen dies die aktuellen Prognosen erst für 2027 voraus, statt um 26.000 Menschen wächst die Stadt um weniger als 10.000 jährlich. Der Wohnbaurückstau ist aufgearbeitet, die Anzahl der 2020 erwarteten Fertigstellungen von Wohnungen soll weit über dem Jahresbedarf liegen[7]. Unter diesen veränderten Umständen – vor allem wenn die Population auf den Ausgleichsflächen jenseits des Marchfeldkanals bis dahin keine selbsterhaltungsfähige Größe erreicht haben sollte – kommt eine Genehmigung zur Schädigung einer geschützten Art zugunsten eines Wohnbauprojekts einer völligen Kapitulation vor den Einzelinteressen der Bauwirtschaft gleich. Dabei ist Investitionsschutz vor Artenschutz gesetzlich durch nichts gedeckt.
“Schutz” in Artenschutz kaum wahrnehmbar.
Auch südlich des Heeresspitals tickt die Uhr für die dortigen Ziesel, denn Artenschutz scheint nicht als Hindernis für eine Umwidmung in Bauland gesehen zu werden. Für ein Projekt auf den 2017 von einem Bauträger gekauften Flächen werden bereits Voranmeldungen für 591 Wohnungen angenommen[8] , obwohl die Fläche bis auf einen schmalen Streifen von Bauland entlang der Brünnerstrasse landwirtschaftlich gewidmet und amtsbekannter Ziesellebensraum ist. Auch heuer konnte eine angebliche Zieselfreiheit der Fläche klar widerlegt werden – trotz Anbau einer hochwachsenden Gründüngemischung waren zahlreiche Baue zu finden, Warnrufe zu hören und flüchtende Ziesel zu sehen. Man darf gespannt sein, ob die Pflanzen – wie bei Gründüngung üblich – für eine nachfolgende Aussaat im nächsten Jahr eingepflügt werden oder nur ausgesät wurden, um den Ziesellebensraum möglichst rasch zuwachsen zu lassen. Sollte tatsächlich auch südlich des Heeresspitals eine Umwidmung für ein Bauprojekt drohen, werden wir die MA 22 gerne daran erinnern, dass der dort 2011 festgestellte Zieselbestand als Basis für die Beurteilung heranzuziehen ist, wie scheinbar nördlich des Heereresspitals geplant, und nicht eine eventuell durch vorsorgliche Vergrämungsmaßnahmen von Zieseln befreite leere Fläche.
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[1] ORF – Ziesel in Stammersdorf werden gechipt
[2] Kurier – Hysterie um geschützte Tiere schadet dem Artenschutz
[3] Bericht ökologische Aufsicht 15.07.2019
[4] Bericht ökologische Aufsicht 15.10.2014
[5] Kurier – Bauträger vermelden Übersiedlung der Ziesel
[6] Austria Forum – Demografie Wiens
[7] Kurier – Studie sieht Trendwende am Wiener Wohnungsmarkt
[8] Neues Leben – OASE Marchfeldkanal
Nicht nur für die Ziesel, auch für die Hamster im Volkspark Favoriten gibt es Probleme durch den Ausbau von Spielplätzen. Näheres beim Naturschutzbund Wien, wien@naturschutzbund.at.