Im Jahr 2009 wurde die heftig diskutierte Flächenwidmung nördlich des Heeresspitals, Grundlage für mehr als 1.000 neue Wohnungen direkt am Marchfeldkanal, in rekordverdächtiger Zeit begutachtet. Wie sich nun gut zwei Jahre später herausstellt, wurde dabei dem Thema Naturschutz, insbesondere den streng geschützten Zieseln am Heeresspital-Gelände, offensichtlich leider zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Denn in nur zwei Wochen, noch dazu mitten im Urlaubsmonat August, alle Aspekte eines Leitprojektes mit erheblichen Auswirkungen auf Stammersdorf und die Achse Brünnerstraße zu prüfen – das erstaunt schon einigermaßen. So wissen gelernte Bürger, dass die behördliche Bearbeitung weitaus einfacherer Anträge in der Praxis mehr als 14 Tage dauern kann. Auch Floridsdorfer Bezirkspolitiker kritisierten seinerzeit den unnachvollziehbaren Zeitdruck, den sich die Stadtplanung hier selbst auferlegt hatte.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass auch die Anzahl der geplanten 1.000 Wohneinheiten, quantitativ beispielsweise vergleichbar etwa mit dem Wohnpark Donaucity, nach wie vor Gegenstand intensiver Diskussionen ist.
Zieseln am Heeresspitalgelände schon lange bekannt
Wie bereits berichtet, erstreckt sich die neue Flächenwidmung auch zum Teil auf den hinteren Grünbereich des Wiener Heeresspitals und sieht dort mehrere Wohngebäude vor. Der Ankauf dieser Flächen durch die Bauträger befindet sich derzeit in der Endphase.
Die Existenz einer beachtlich großen Ziesel-Population auf den Gründen des Heeresspitals, ist schon seit vielen Jahren bekannt. Selbst ehemaligen Grundwehrdienern, deren Präsenzdienst im Heeresspital schon halbe Ewigkeiten zurückliegt, sind die Tiere in Erinnerung geblieben.
Ziesel stehen nach dem Wiener Naturschutzgesetz unter strengem Schutz. Sie genießen im gesamten Wiener Stadtgebiet Lebensraumschutz, was bedeutet, dass jeder Eingriff in deren Lebensraum, der den Fortbestand der Tiere gefährden könnte, strikt untersagt ist.
Daher ist die Frage zu stellen, auf welcher Grundlage es überhaupt möglich war, einen Teil des hinteren Heeresspital-Areals, wo das am meisten vom Aussterben bedrohte Säugetier Österreichs in großer Dichte bekanntermaßen vorkommt, in Bauland umzuwidmen?
Dazu kommt, dass ein schlichter Maschendrahtzaun die Tiere nicht daran hindern kann, auf angrenzende Flächen abzuwandern. So ist letztlich die zwischenzeitliche Besiedlung des brach liegenden Feldes nördlich des Heeresspitals durch die Zieseln nicht überraschend und wäre daher als ein wahrscheinliches Szenario zu berücksichtigen gewesen.
Die Rolle der MA 22
Dass die große Ziesel-Population am Heeresspital der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 im August 2009 noch nicht bekannt war, ist wohl nahezu auszuschließen. Zudem hätte nur einziger Lokalaugenschein vor Ort, bei einer Widmung dieser Größenordnung sicher gängige Praxis, das Faktum ans Tageslicht gebracht. Hingegen scheint es wahrscheinlicher, dass die Einbindung der MA 22 auf ein formal notwendiges Minimum beschränkt war und eine Überprüfung des Plandokuments hinsichtlich Natur- und Artenschutz, wenn überhaupt, nicht im erforderlichen Umfang stattgefunden hat.
Laut Internetseite der MA 22 sind deren Aufgaben in Flächenwidmungsverfahren klar definiert: „Die Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) ist in das Verfahren zur Erstellung der Flächenwidmungspläne und Bebauungspläne eingebunden. In diesem – aus mehreren Verfahrensschritten bestehenden – Verfahren überprüft die MA 22 die Übereinstimmung der Planungen mit den Zielen des Umweltschutzes.“
Manche Beobachter fragen sich jedoch, ob die Wiener Umweltschutzabteilung von der Umwidmung überhaupt erst nachträglich erfuhr, als den Zuständigen gemeldet wurde, dass ein Ziesel-Vorkommen nördlich des Heeresspitals durch großflächiges Pflügen in seinem Lebensraum existenziell bedroht wurde.
Die nicht im Einklang mit dem Wiener Naturschutzgesetz stehenden Auswirkungen des Bauprojekts auf die Ziesel-Population am Heeresspital-Areal und die im Wiener Arten- und Lebensraumschutzprogramm „Netzwerk Natur“ ausführlich dokumentierte ökologische Bedeutung des gegenständlichen Widmungsgebietes, hätten wohl die Durchführung einer strategischen Umweltprüfung vor Ausarbeitung des Plandokuments als eine vertretbare und sinnvolle Maßnahme gerechtfertigt.
Nun ist die Politik gefordert
Aufgrund der aus Sicht des Artenschutzes gravierenden Mängel in der aktuellen Flächenwidmung nördlich des Heeresspitals, sind nun die politisch Verantwortlichen gefordert. Klar ist: Das Plandokument, welches dichten Wohnbau im Lebensraum der streng geschützten Ziesel vorsieht, ist so nicht realisierbar und bedarf somit einer signifikanten Überarbeitung.
Wir fordern ein vollständiges Neuaufrollen der Flächenwidmung, wo insbesondere sämtliche Naturschutz-relevanten Erfordernisse einfließen. Angesichts der Größe der Ziesel-Population am Heeresspital und der bereits fortgeschrittenen Ausbreitung auf angrenzenden Feldern, dem Vorkommen weiterer geschützter Arten, wie etwa dem Feldhamster und der wertvollen ökologischen Vielfalt im Widmungsgebiet, tritt die IGL-Marchfeldkanal für die Umwandlung des Gebiets in ein EU-Natura-2000-Schutzgebiet ein.
Pro Artenschutz!
Die gegen eine Widmung als Naturschutzgebiet reflexartig vorgebrachte Kritik, wonach Anrainer die streng geschützten Zieseln nur vorschieben um das Bauprojekt nördlich des Heeresspitals zu verhindern, geht natürlich ins Leere.
Einerseits sind die offensichtlichen Defizite der aktuellen Flächenwidmung bezüglich des Artenschutzes, klarerweise nicht von den Bürgern zu verantworten. In Kenntnis der großen Ziesel-Population am Heeresspital-Areal, das zum Teil im Widmungsgebiet liegt, hätte eine detailliertere Naturschutzprüfung schon im Vorfeld viele Probleme und Alternativen aufzeigen können.
Andererseits dokumentiert das Vorgehen in einem ähnlichen Projekt, dass Artenschutz nicht zu Gunsten von Wohnbau zurückzustellen ist. Auf den ehemaligen Radio Austria Gründen in Favoriten war ebenfalls der Fortbestand der dortigen Ziesel-Population, in einem zum Feld nördlich des Heeresspitals vergleichbaren Ausmaß, von einem geplanten Bauvorhaben gefährdet. Durch einen einstimmigen Beschluss im Wiener Gemeinderat wurde jedoch das Areal in ein Naturdenkmal umgewandelt und so der Fortbestand der Tiere in ihrem Lebensraum nachhaltig sichergestellt.
Auszug aus dem Gemeinderatsbeschluß zu Radio Austria Gründen – Eine Initiative zur Rettung der gefährdeten Roten
Ziesel gibt es heute im Wiener Gemeinderat: In einem Antrag der SPÖ
wird die Stadt aufgefordert, „alles Notwendige zu unternehmen, um die Zieselpopulation auf den Radio Austria Gründen zu schützen und das Gebiet vor Verbauung zu bewahren.“
AHA – jetzt hab ich´s endlich verstanden: Der Unterschied zwischen dem kurzerhand von der SPÖ abgeblasenen Wohnbauprojekt auf den Radio Austria Gründen und dem, unter allen Umständen einzig durch die SPÖ forcierten Monster – Wohnbauprojekt nördlich dem Heeresspital ist … dass es sich damals um ROTE Ziesel gehandelt hat.
Lieber Dr. Ludwig rote Ziesel haben nichts mit politischen Gesinnung zu tun… Bei unseren Stammerdorfer Ziesel handelt es sich auch um ROTE Ziesel, außerdem stehen sie an der ersten Stelle der ROTEN Liste der vom Aussterben bedrohten Tiere. Geben sie Ihrem ROTEN Herz einen Ruck und sorgen sie dafür, dass auch die ROTEN Magistrate die Naturschutzgesetze achten. DANKE!
Trotz aller Kritik an der MA 22 sollte man auch an die Tatsache erinnern, daß
im Falle der Radio-Austria Gründe dieses Maigistrat siene Funktion erfüllt hat.
Darüberhinaus soltte man alle rechtlichen, medialen, wissenschaftlichen und
publizisischen Mittel ausschöpfen, um Stammersdorf vor der nächsten Verkehrs-
lawine zu bewahren, verursacht durch ein profitträchtiges Monsterprojekt.
Auch die immer wiederholte Behauptung, der Wohnraumbedarf wäre in
diesem Ausmaß gegeben, wird sogar von Immobilienhändlern – die es
eigentlich wissen müßten – bestritten.
Der bejubelte „Wohnbau Turbo“ bedeutet letztendlich nur, dass die Stadt keine Geldmittel mehr zum Verteilen hat und sollte daher korrekt „Schulden Turbo“ heißen. In den Konsortien sind keine karitativen Unternehmen. Sie leihen Geld nicht aus Nächstenliebe, sondern -eh klar- um Gewinne zu machen. Der unvermeidliche Aufschlag ist letzten Endes vom Mieter zu oder per Umverteilung von allen zu bezahlen.
Und mit jedem Lächelfoto anlässlich der Eröffnung eines neuen Betonsilos, gibt es auch den weiteren Verlust wertvollen Grünraums zu beklagen. Zweiteres ist aber den meisten wurscht.
Die Generationen nach uns, werden sich ganz sicher nicht bei uns bedanken, natürlich auch, aber nicht nur, wegen dem vielen hinterlassenen Beton.
Wien wächst, aber leider nicht die Fläche, liebe Genossen!
Mehr und mehr verdichtet sich mir der Eindruck, dass die Naturschutzabteilung MA22 de facto eine reine Alibi-Einrichtung ist.
Wenn es politischen und wirtschaftlichen Interessen entgegenkommt, wird eben husch-pfusch pro forma (oder gleich gar nicht wie bei den Schlössl-Gründen in Jedlesee) begutachtet und (in beiden Fällen) der Umwelt- und Naturzerstörung „Bahn frei“ gegeben. Mit jedem neuen „leistbaren Wohnbau“ werden in den betroffenen Gebieten Umfeld und Lebensqualität der jeweils in die zuvor errichteten „leistbaren Wohnungen“ Zugezogenen zerstört. Auf der Strecke bleibt am Ende die Wohnqualität aller, und die materiellen Profite streifen andere ein.
Vergleichbare, gegen null tendierende Effizienz wie die MA22 in Wien beim Naturschutz hat auf Bundesebene das Bundesdenkmalamt beim Schutz wertvollen Kulturguts – alles übrigens bei Personal und Infrastruktur vom Steuerzahler finanziert.