Hatte man im Sommer vor der Wien-Wahl noch Skrupel die Ziesel beim Heeresspital einfach auszubaggern, kennt die Wiener SPÖ nur zwei Wochen nach der Wahl kein Pardon mehr und gibt grünes Licht für die Verbauung des Zieselhabitats. Am 28. Oktober schon finden die ersten Bauverhandlungen zur Errichtung eines Wohnbaus sowie 30 oberirdischen Parkplätzen auf dem westlichen Ende des Zieselfelds statt.
Dass laut Umweltbehörde MA22 derzeit keine naturschutzrechtliche Genehmigung vorliegt, die auf der Zieselfläche Bautätigkeit erlauben würde, scheint weder die Bauträger noch die Baupolizei (MA37) zu stören. Offensichtlich wurde seitens der Stadt eine baldige “Lösung” der Probleme der wartenden Bauträger auf dem Rücken der Ziesel zugesagt.
Umweltanwaltschaft am Prüfstand
Im August noch meinte die Wiener Umweltanwaltschaft in ihrer Antwort auf einen offenen Brief [1] der Grünen Floridsdorf:
“Sollten Baggerarbeiten im Bereich von bewohnten Zieselbauen beantragt werden wird sich die Wiener Umweltanwaltschaft selbstverständlich gegen eine naturschutzbehördliche Bewilligung aussprechen.”
Es ist zu befürchten, dass es nicht dabei bleiben wird.
Zieselmonitoring wegen Verbuschung nicht möglich
Im Herbst letzten Jahres wurden auf der nun zur Verbauung freigegebenen Fläche noch 11 Zieselbaue festgestellt [2]. Im Zwischenbericht der ökologischen Bauaufsicht vom Juli 2015 heisst es dann bezogen auf die seit zwei Jahren nicht gemähte Fläche:
“Es ist nicht auszuschließen, dass der extrem geringe Fangerfolg auf die viertelstündlichen Fallenkontrollen zurückzuführen ist, die, bedingt durch die schlechte Einsehbarkeit der Zonen 1, 2a und des ungemähten Teilbereichs von 2b aus nächster Nähe erfolgen müssen und so die ohnehin fallenscheuen Tiere zusätzlich abschrecken; wie überhaupt die Vegetationshöhe auf der westlichen Hälfte der Projektfläche Individuenzählungen mittels Fernglas verunmöglicht.”
Zieselexpertin Dr. Ilse Hoffmann warnt, sie könne keine Tiere zählen weil sie im meterhohen Gras nichts sieht, woraufhin die Behörde, begeistert über fehlende Zieselsichtungen, sogleich an einer Genehmigung für den Bau zu werken beginnt, ohne vorher das Grundstück mähen und objektiv überprüfen zu lassen.
Naturschutzstandards im freien Fall
Der gültige naturschutzrechtliche Bescheid von 2013 fordert einen Sicherheitsabstand von 50 Metern vom Baufeld zum nächstgelegenen Zieselbau. Man darf gespannt sein, ob dieser Abstand auch in einem in Bälde erwarteten neuen Bescheid wiederzufinden sein wird. Die Verpflichtung der Bauträger die Fläche zu mähen, die 2012 noch im Monitoring-Bescheid [3] aufscheint, sucht man in dessen Verlängerung 2014 jedenfalls vergeblich (mit der Folge, dass auf dem nicht gemähten Teil der Fläche das vorgeschriebene Monitoring kaum noch durchführbar ist).
Gespannt dürfen wir auch auf die Berücksichtigung zahlreicher anderer auf der Fläche vorkommender, ebenso streng geschützter Tierarten sein. So heisst es im Bescheid von 2013 [4] in Bezug auf die hier vorkommende streng geschützte Wiener Schnirkelschnecke:
“Die Antragstellerinnen müssen vor Beginn der in Punkt 1.8.4. der Beilage 1 beschriebenen Lenkungsmaßnahmen die Flächen nördlich des Heeresspitals von Mollusken-Fachkundigen auf das Vorkommen von Exemplaren der Kartäuserschnecke (Monacha cartusiana) und der Wiener Schnirkelschnecke (Cepaea vindobonensis, auch Gerippte Bänderschnecke genannt) untersuchen lassen und alle lebenden Exemplare im Spätsommer absammeln sowie in geeigneten Randlinienstrukturen in den Ausgleichsflächen A2, A3, A6, A7 und A8 ausbringen.”
Nachdem der Spätsommer unzweifelhaft vorbei ist, und mit dem Baubeginn angesichts der offensichtlichen Eile der Bauträger kaum bis Spätsommer 2016 abgewartet werden wird, dürfte die Behörde wohl auf “kreative” Lösungen zurückgreifen. Auch Zauneidechsen wurden von der Ökologischen Bauaufsicht trotz hohem Gras auf dem Areal mehrfach gesichtet [5], womit die bisherige Behauptung der MA22, Zauneidechsen würden vor allem auf den Marchfeldkanalböschungen leben und nur sporadisch auf der Projektfläche vorkommen, Lügen gestraft wird (die Sichtungen erfolgten fast 300m vom Marchfeldkanal entfernt).
Salamitaktik umgeht Artenschutz
Das Vorgehen von Bauträgern und Behörde ist ein Musterbeispiel der für größere Projekte explizit im Gesetz verbotenen, von Projektwerbern aber dennoch oft versuchten Salamitaktik. Um erwartete Probleme bei der Genehmigung eines Vorhabens zu umgehen, wird dieses in kleine Einzelprojekte zerlegt, von denen jedes einzelne nur geringe Auswirkungen auf die Umwelt hat, und somit ohne Schwierigkeiten genehmigt wird.
Auch beim Heeresspital wird nicht anders vorgegangen: Da die groß beworbene “freiwillige” Umsiedlung der Ziesel seit Jahren nachweisbar nicht funktionieren will, wird einfach eine Teilfläche aus dem Gesamtprojekt herausgelöst und vermutlich mit der Begründung, dass auf irgendeiner der Ausgleichsflächen doch noch einige Ziesellöcher festgestellt werden konnten, die Verbauung dieser Fläche genehmigt und vorangetrieben. Zur Erinnerung: der gültige Bescheid erlaubt Vertreibungsmaßnahmen und Bebauung erst wenn 50% der Tiere “freiwillig” übersiedelt sind.
Ein Nachweis, dass die Tiere auf der Ausgleichsfläche von der Projektfläche stammen, wie vom gültigen Bescheid verlangt, wird wohl jetzt nach der Wien-Wahl in entspannter Atmosphäre nicht mehr erforderlich sein.
Ist das dünne Naturschutz-Tarnmäntelchen der alten Bescheide zu hinderlich für die Projektdurchführung, wird es einfach in der Neuauflage weggelassen, Hauptsache, die politisch herbeigesehnte Bebauung des Areals kann ungehindert stattfinden.
Auch für vor weiteren Teile des Zieselhabitats wird dieses Vorgehen nicht haltmachen. Das Grundrezept: man mäht für zwei-drei Jahre nicht (die Mahd wurde bereits vor einem Jahr auf weiteren Flächen eingestellt), stellt dann erfreut fest, dass auf dem nächsten Baufeld kaum noch Ziesel sind, rechnet sie unter dem milden Blick der Behörde großzügig mit ein paar vereinzelten Tieren auf den Ausgleichsflächen gegen, und schon kann ein weiterer Teil des Projekts rasch gebaut werden. Im Endeffekt hat man dann den gesamten Ziesellebensraum zubetoniert, ohne gegen willfährig ausgestellte naturschutzrechtliche Bescheide zu verstoßen, jedoch auch ohne dass sich eine nennenswerte Anzahl an Zieseln auf die Ausgleichsflächen retten konnte. Für diese Art von Naturschutz braucht es keine teure Naturschutzabteilung mit eigener Stadträtin.
EU-Beschwerde noch im Laufen
Eine allzu bauträgerfreundliche Vorgehensweise kann sich für Stadt und Steuerzahler bitter rächen. Obwohl mehr als zwei Jahre vergangen sind, seit die IGL-Marchfeldkanal bei der EU-Kommission Beschwerde gegen den Bescheid[link] der MA22 eingelegt hat, konnte die Stadt die EU-Kommission immer noch nicht von der Korrektheit ihrer Vorgehensweise überzeugen. Die offensichtlich sehr unorthodoxe Auslegung der EU-Richtlinien durch Wien war jedenfalls wieder Thema bei einem kürzlichen Treffen zwischen Vertretern der EU-Kommisision und österreichischen Beamten.
Der Artenschutzkalender 2016 ist da!
Bezaubernde Fotos von Zieseln und weiteren geschützten Tieren aus der Umgebung des Heeresspitals in ihrem natürlichen Lebensraum, stehen im Mittelpunkt dieses einzigartigen Artenschutzkalenders 2016, der ab sofort erhältlich ist!
Wir danken dem mehrfach preisgekrönten Floridsdorfer Fotografen Leopold Kanzler, dessen Werke weit über die Grenzen seines Heimatbezirks hinweg große Anerkennung finden, für die atemberaubenden Bilder.
Ziesel-Schutz kostet Geld – Bitte helfen Sie!
Der Kalender ist als Dankeschön für eine freiwillige Spende ab 8 Euro erhältlich. Eingehende Spenden werden unter anderem für Rechtsbeistand dringend benötigt. Der Artenschutzkalender 2016 ist in Wien-Floridsdorf in der Buchhandlung “Bücher am Spitz” und dem Bio-Nahversorger “Lebenskraft Natur”, sowie weiteren Partnern erhältlich. Nähere Infos finden Sie auf der Kalender-Seite.
Ziesel-Petition im Parlament
Auf der Homepage des Österreichischen Parlaments kann zur Zeit eine vom Abgeordneten Michael Pock (NEOS) eingebrachte Petition [6] für die Ziesel beim Heeresspital unterzeichnet werden.
Die Forderungen sind (wie auch bei unserer Petition nach dem Wiener Petitionsgesetz sowie unserer österreichweiten Sammlung von Unterstützungserklärungen – insgesamt über 12000 Unterstützer!):
- Das Zieselhabitat im und um das Heeresspital soll unter Naturschutz gestellt werden.
- Die Stadt Wien soll im Zuge eines Grundstückstausches eine Ersatzfläche für die Bauträger zur Verfügung stellen – sie verfügt über ca. 2Mio. m2 Baulandreserve.
Bitte unterstützen Sie die Ziesel mit ihrer Unterschrift!
Referenzen
[1] https://floridsdorf.gruene.at/themen/umwelt/offener-brief-an-die-wiener-umweltanwaltschaft
[2] https://marchfeldkanal.files.wordpress.com/2014/11/bericht_oeba_2014q3_20141015.pdf#page=3
[3] https://marchfeldkanal.files.wordpress.com/2012/06/ma22-bescheid-593-20121.pdf#page=5
[5] https://marchfeldkanal.files.wordpress.com/2015/08/bericht_oeba_2015q2_20150714.pdf#page=8
[6] http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/PET/PET_00056/index.shtml
Kommentar verfassen