Vor wenigen Tagen war es wieder soweit – ein erneuter Bagger-Angriff auf eines der letzten Zieselvorkommen im Norden Wiens. Streng geschützte Tiere und ihr Lebensraum beim Heeresspital werden wieder plattgewalzt und zubetoniert. Ein Artenmord mit kleinen Tricksereien und alternativen Fakten?
Obwohl Ziesel (Spermophilus citellus, in den meisten mitteleuropäischen Ländern bereits ausgestorben), von der Stadt Wien laut Naturschutzverordnung aber auch auf internationaler Ebene strengster Schutzstatus zugestanden wird und sie laut EU FFH-Richtlinie weder gestört, vertrieben, verletzt oder gar getötet werden dürfen, fahren jetzt in Wien wieder einmal die Bagger auf. Der geschützte Ziesel-Lebensraum fällt Stück für Stück diversen Bauprojekten am Wiener Stadtrand zum Opfer – mit behördlicher Hilfestellung.
„Wie ist so etwas etwa überhaupt möglich?“,
fragen sich sämtliche Naturschutzorganisationen [1][2][3] und Sprecher fast aller politischen Parteien schon seit 2011 [4], als das Thema mitsamt einer im Auftrag der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 erstellten Studie [5] zur Artenkartierung von S. citellus erstmals im Gemeinderat landete [6]. Warum werden Gebiete, die eigentlich zur Schutzzone deklariert werden müssten, zu Baugrund umgewidmet? Gelten die Natur- und Artenschutzgesetze oder gelten sie nicht?
Wie sonst ist es zu verstehen, dass Behörden bei manchen Bauprojekten auf vorschriftsmäßige artenschutzrechtliche Prüfungen und ggf. ernsthafte Alternativenprüfungen des Standortes verzichten und im Gegenteil sogar Ausnahme-Genehmigungen erteilen, um die Bauvorhaben – entgegen rechtlichen Artenschutzbestrebungen – zu legitimieren?
Nachdem bereits im letzten Jahr dem Bauträger „Kabelwerk“ die Zerstörung von ca. zwei Hektar nördlich vom Heeresspital genehmigt wurde – hier ist der ehemalige Ziesel-Lebensraum bereits zubetoniert – erhielt im jetzigen Anlassfall die teilweise in SPÖ-Besitz stehende „Sozialbau“ von der Wiener Umweltbehörde eine Ausnahme-Genehmigung für den Bodenabtrag von weiteren rund 0.3 Hektar. Das Besondere daran ist, dass es sich um jenen Rest-Teil des rechteckigen Sozialbau-Grundstücks handelt, auf welchen bei der letztjährigen Ausnahme-Einreichung angeblich “vergessen” (!) wurde. Betroffen ist noch dazu ein Areal, zu dem es bei der Genehmigung im Vorjahr hieß: ”Auf der Fläche nördlich des Heeresspitals gibt es noch ca. 5 ha weiteren Lebensraum, die von den gegenständlichen Maßnahmen nicht betroffen sind”[7]. Hatte man im Vorjahr noch Ersatzflächen im Ausmaß von 1:1 als Kompensation verlangt, reichen bei der Sozialbau nunmehr 0.2 ha aus, mehr war in der Umgebung des Heeresspitals nicht mehr aufzutreiben (Fläche A3b im Plan) und anscheinend ist es inzwischen auch egal geworden, ob für die unter strengstem Naturschutz stehenden Tiere in der Umgebung noch genügend Ausweichflächen vorhanden sind.
Die letzten in der Umgebung des Heeresspitals verfügbaren Lebensräume für Ziesel schrumpfen und schwinden jedenfalls in einem bedrohlichen Ausmaß. Der Population am Marchfeldkanal wurde seit dem letzten Jahr durch verschiedene Maßnahmen mehr als 4,5 Hektar an Lebensraum genommen (Kabelwerk, Sozialbau, Neues Leben, ÖVW). Das Ergebnis ist ein enormer Dichtestress für die Tiere. So sollen in der Kernzone des Vorkommens, auf dem Gelände des Heeresspitals, die für gewöhnlich Erdbaue grabenden Tiere bereits Mauerrisse besiedeln, nördlich des Heeresspitals stolpert man von Loch zu Loch [8].
Die Ausnahme wird zur Regel
Was bedeutet das neuerliche Vorrücken der Bagger? Beim Heeresspital zeigt sich immer deutlicher: Die im Gesetz vorgesehene Ausnahme wird anscheinend zum Regelfall. Zur Genehmigung werden nacheinander jeweils nur kleine Teilstücke eines Gesamtprojekts [9] eingereicht, womit dessen Gesamtauswirkungen auf die Umgebung damit nie zur Untersuchung kommen – im Volksmund bis hinein in die EU-Gremien bereits als sog. „Salami-Taktik“ verpönt und eigentlich auch verboten. Die Wiener Umweltbehörde steht stur auf dem Standpunkt, dass sie nur prüfen könne, was von den Bauträgern eingereicht wird – also kleine Teilprojekte, bei welchen, wie im Fall der letztjährigen Abtragung, günstigerweise “ nur mehr wenige Ziesel – weniger als zehn – betroffen sind”. Beim Baufeld der Sozialbau sollen es diesmal auch “nur” 6 Ziesel sein, der Rest staut sich auf der immer kleiner werdenden Restfläche, von der Behörde schön als “von den gegenständlichen Maßnahmen nicht betroffener Lebensraum” beschrieben.
Welche realen Schutzeffekte haben Artenschutzgesetze überhaupt, wenn Projekte mit politischer Unterstützung im Lebensraum geschützter Arten rücksichtslos durchgezogen werden?
Zahlenakrobatik und schwindender Lebensraum
Grund für die internationale Einstufung des Europäischen Ziesels durch IUCN und EU als stark gefährdet, ist das rapide Schwinden des verfügbaren Lebensraumes.
Die Flächenverluste für die Wiener Ziesel beschränken sich nicht allein auf die Umgebung des Heeresspitals. Seit der letzten Kartierung 2002-2005 sind zahlreiche siedlungsnahe Kleinvorkommen in Wien erloschen [10][12]. Nahe der Stadtgrenze hat die Verbauung der Umgebung dem Großvorkommen beim Badeteich Seeschlacht (über 1000 Tiere in den 1990ern!) den Todesstoß versetzt und es innerhalb weniger Jahre zum Erlöschen gebracht. Während in diesem Fall die Ursache für das Aussterben recht eindeutig ist, verschwinden die Tiere anderenorts sogar aus eigens für sie eingerichteten und gepflegten Schutzgebieten – so geschehen am Goldberg im Süden Wiens!
Das Wiener Naturschutzgesetz gestattet Maßnahmen gegen eine streng geschützte Art nur dann, wenn ihr Erhaltungszustand vor und nach dem Eingriff günstig ist[§11 Abs 4.2].
Deshalb wurde auch in einem kreativen Ausbruch für die Ziesel eine eigene Erhaltungszustand-Kategorie entworfen, nämlich der spezielle Wiener “durchaus günstig”- Erhaltungszustand, der aber sonst nirgendwo bekannt ist [10]. Begründet wird das mit einer angeblichen Zunahme des Wiener Zieselbestandes.
Konkret meint die Behörde, der Bestand sei von 4500-6500 Tieren im Jahr 2005 auf 9000 im Jahr 2016 angestiegen, wobei sie aber gleichzeitig einen Rückgang des besiedelten Lebensraumes einräumen muss. Ein Vergleich der beiden Zahlen ist jedoch weit hergeholt, unseriös und wissenschaftlich nicht haltbar. So wurde für die neue Zählung eine andere Methode verwendet, als für die alte[15]. Während die mit der neuen Methode der einfachen Bauöffnungszählung ermittelten 9000 Baue eine Obergrenze für den Bestand darstellen, wurde bei der Zählung 2002-2005 mittels Spurröhren zwischen benutzten und unbenutzten Bauen unterschieden, womit die ermittelte Individuenzahl natürlich niedriger ausfiel. Auch ergibt sich laut aktuellen Zählungen in Wien eine unrealistisch hohe Durchschnittsdichte von 25 Tieren/ha[11], weit höher als in Niederösterreich oder im Burgenland (der österreichische Schnitt beträgt ca. 7 Ziesel/ha, in Ungarn sind es zum Vergleich nur 0.2 Ziesel/ha – auf einer weit größeren Fläche[13]).
Auf die Ungereimtheiten in den Behauptungen der Behörde haben wir bereits mehrfach aufmerksam gemacht. Trotzdem werden diese in der Art von alternativen Fakten weiterhin bei jeder Gelegenheit fleißig unter Medien und Bürger gestreut. Wer prüft denn schon so genau nach?
Selbst ein tatsächlicher Anstieg der Individuenzahl rechtfertigt bei schrumpfendem Verbreitungsgebiet keine Jubelmeldungen und eine Aufstufung des Erhaltungszustands, da durch die geschrumpfte Fläche die Gefährdung der Populationen durch Krankheiten und extreme Wetterereignisse enorm steigt.
Die massive Bautätigkeit in der Umgebung des Heeresspitals kann somit schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, die Langenzersdorfer Seeschlacht ist ein mahnendes Beispiel dafür [16]:
“wonach Anfang der 90er Jahre dort knapp 60 Ziesel pro Hektar nachgewiesen wurden…Im Sommer 2006 wurden überhaupt nur mehr 2 (!!) befahrene Löcher gefunden. Gründe hierfür könnte (laut Hoffmann 2003 und Millesi mündlich) die Bautätigkeit außerhalb des Badegeländes sein, die dazu geführten haben dürfte, dass dieses Vorkommen von der Umgebung abgeschnitten wurde”
So nicht!
In diesem Sinne ist die unhaltbare Zerstörung des Zieselvorkommens beim Heeresspital durch Politik und Behörden zu beenden. Um einen korrekten Umgang mit den Tieren sicherzustellen, fordern wir:
- Ein Ende der Projektstückelung – die gesamte Umgebung des Heeresspitals ist im Zuge naturschutzrechtlicher Verfahren als das zu betrachten, was sie ist: ein städtebauliches Gesamtprojekt, ebenso wie Auswirkungen auf das gesamte Vorkommen in der Umgebung des Heeresspitals zu berücksichtigen sind.
- Die Prüfung alternativer Standorte hat, wie gesetzlich vorgesehen, ernsthaft zu erfolgen, nicht nur wie bisher pro-forma.
- Angesichts der Relevanz des Zieselvorkommens (mit 800-1000 Tieren eines der größten Österreichs) ist das Habitat unter Schutz zu stellen, um gegebenenfalls nötige Schutzmaßnahmen durchsetzen zu können.
[1] Umweltdachverband – Ziesel-Heeresspital
[2] Naturschutzbund – Ziesel-Heeresspital
[3] Wiener Tierschutzverein – Und das rechtswidrige Baggern geht unbeirrt weiter
[4] Ziesel-Wortmeldungen im Wiener Gemeinderat und Landtag
[5] Artenkartierung Europäisches Ziesel und Feldhamster in Wien 21 – Heeresspital und Umgebung östlich Brünner Straße
[6] Anfrage der FPÖ im Wiener Gemeinderat zu Zieselpopulation beim Heeresspital [6]
[7] Umweltinformationen aus dem Bescheid vom 16.11.2015 zur Zahl: 141149/2015 und den zugrunde liegenden Gutachten
[8] Zieselbaue nördlich des Heeresspitals
[9] Einreichung Gesamtprojekt 2012 Kaelwerk, Donaucity
[10] Verbreitung des Ziesels (Spermophilus citellus) 2014 und 2015 in Wien – Aktualisierung der Erhebungen von 2002 und 2005
[11] Verbreitung des Ziesels – Anhang 1
[12] Verbreitung des Ziesels – Anhang 2
[13] FFH Art. 17 Berichte der EU-Mitgliedssstaaten, Säugetiere/Ungarn/2007-2012
[14] Wiener Naturschtzgesetz §11 Abs 4.2
[15] Erfassung von Vorkommen des Europ‰ischen Ziesels im Wiener Norden mit begleitender Aufnahme des Feldhamsters
[16] Vorkommen und Schutz des Ziesels (Spermophilus citellus) in Niederösterreich
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