Kürzlich erklärte Wohnbaustadtrat Michael Ludwig in einem Interview mit dem „Standard“ einer staunenden Leserschaft, dass die Ziesel in Wien wieder vermehrt auftreten würden.
Tatsächlich stehen die Europäischen Ziesel in Österreich jedoch schon seit vielen Jahren auf Platz 1 der Roten Liste und die Prognosen sind negativ. Der landesweit schlechte Erhaltungszustand und die dramatischen Bestandsrückgänge lassen sich anhand einer Vielzahl einschlägiger Quellen zweifelsfrei nachvollziehen. Für den behaupteten positiven Trend in der Bundeshauptstadt fehlt hingegen ein objektiv nachvollziehbarer Beleg.
Trotz des begründeten strengen Schutzstatus der Ziesel, wurde beim Wiener Heeresspital 2010 der Lebensraum einer der letzten großen Ziesel-Kolonien kommentarlos teilweise für Wohnbau umgewidmet. Nun droht eine Absiedlung der sensiblen Tiere auf ominöse Ausgleichsflächen, deren Lage bislang – wenn überhaupt – nur die eingeschaltete PR-Agentur kennt.
Nachfolgend eine Zusammenstellung seriöser Quellen, die sich mit dem realen Erhaltungszustand der Ziesel in Österreich auseinandersetzen. Sie alle legen nahe, dass jeder vermeidbare Eingriff in Ziesel-Lebensräume ein unverantwortlicher ist.
EU-Biodiversitätsdatenbank: „Unfavourable Bad“
In der Biodiversitätsdatenbank der Europäischen Union sind für die nichtalpine biogeographische Region Österreichs lediglich vier Säugetierarten mit dem schlechtest möglichen Erhaltungszustand „U2 – Unfavourable Bad“ ausgewiesen. Neben dem Europäischem Ziesel (Spermophilus citellus) befinden sich drei Fledermausarten in diesem Status.
Für Details klicken – Siehe Spermophilus citellus
(C) Eionet – European Topic Centre on Biological Diversity
Die zugrundeliegenden Daten wurden nicht etwa im fernen Brüssel geschätzt, sondern basieren auf authentischem Datenmaterial aus Österreich. Die Datenqualität ist dabei ausdrücklich als „Good“, d.h. basierend auf umfangreichen Erhebungen, ausgewiesen.
Sowohl Bestandszahlen als auch Habiatsgrößen zeigen substanzielle Einbrüche gegenüber den Vergleichswerten. Dazu kommt, dass die Zukunftsperspektive für die Ziesel in Österreich zusammenfassend als „Bad“ eingestuft ist.
Rote Liste des Lebensministeriums: Scharfe Kritik an Wien
Auch in der der vom Lebensministerium herausgegebenen „Rote Listen gefährdeter Tiere Österreichs“ (2005) zeigt sich ein analoges Bild. Der Erhaltungszustand des Europäische Ziesel wird darin als „Endangered“ klassifiziert, d.h. es besteht sehr hohes Risiko, dass es in Österreich in naher Zukunft ausstirbt.
Sowohl hinsichtlich Bestands- als auch Habitatsentwicklung wird ein massiv negativer Trend dokumentiert und dringender Handlungsbedarf zum Erhalt der Art festgehalten.
Mit scharfen Worten kritisiert die Expertin Friederike Spitzenberger (renommierte Ziesel-Forscherin und ehemalige Leiterin der Säugetierabteilung des Wiener Naturhistorischen Museums) in den Erläuterungen zur Roten Liste den Wiener Umgang mit der „prioritär bedeutenden“ Art:
Obwohl das Ziesel in Anhang II der Flora-Fauna-Habitats-Richtlinie steht, wird es beispielsweise im Bundesland Wien, in dem die Art naturschutzrechtlich als ‚prioritär bedeutend‘ geschützt ist, von Flächen auf denen es ‚stört‘, auf andere ,transloziert‘. Derartige Umsiedlungen führten bisher immer zu großen Verlusten.
Prioritätenliste des Umweltdachverbands
Im Mai 2008 veröffentlichte der Umweltdachverband eine Prioritätenliste jener 50 Tierarten für deren Erhalt in Österreich der dringlichste Handlungsbedarf besteht. An erster Stelle dieser Aufstellung findet sich das Europäische Ziesel.
„Österreichs biologischer Reichtum schwindet rasant“, warnte Umweltdachverbands-Präsident Gerhard Heilingbrunner anlässlich der Präsentation der Prioritätenliste im Rahmen einer Pressekonferenz eindringlich. Zugleich betonte man, dass es in Österreich vermutlich nur noch mehrere tausend Ziesel gebe, deren Lebensräume aber stark bedroht sind.
Dramatischer Rückgang in Wien seit 1970
Wie aus dem Standardwerk „Die Säugetierfauna Österreichs“ (F. Spitzenberger, 2001) hervorgeht, sind am Wiener Stadtgebiet zwischen den Jahren 1970 und 2000 eine große Anzahl der dokumentierten Ziesel-Populationen unwiederbringlich erloschen.
Einst kamen die Tiere in Alt-Floridsdorf, Kagran – Leopoldau, Neukagran, Aspern, im Prater, auf den Aspanggründen, im Erdberger Mais, auf der Simmeringer Haide, zwischen Matzleinsdorfer Platz und Wienerberg, am westlichen Laaer Berg, im Bereich Hetzendorf – Altmannsdorf – Alterlaa – Neusteinhof, Rodaun – Kalksburg, im Lainzer Tiergarten und am Roten Berg vor.
Nachfolgende Abbildung verdeutlicht augenscheinlich den dramatischen Rückgang der Wiener-Zieselpopulationen in den letzten Jahrzehnten. Die Rechtecke repräsentieren dabei die südwestlichen Eckpunkte der Geokoordinaten-Minuten-Intervalle (WGS 84) einstiger (rot), fraglicher (grau) und bestehender Vorkommen (grün), entnommen aus der Begleit-CD des Säugetier-Atlas.
Ziesel-Vorkommen in Wien:
Rot = Erloschen, Grün = Aktuell, Grau = Fraglich
Quellen: Die Säugetierfauna Österreichs (F. Spitzenberger), Uni Wien (I. Hoffmann)
Visualisierung: geoland.at
„Die geschützten Säugetiere Wiens“
Zur Gefährdungssituation der Ziesel in Wien findet sich auf den Internet-Seiten der Stadt Wien und der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 viel an Information.
So beschreibt etwa das Dokument „Die geschützten Säugetiere Wiens“ die Situation aller in Wien vorkommender geschützter Säugetiere.
Speziell für die Ziesel wird das Verschwinden zahlreicher Populationen in den letzten Jahrzehnten bestätigt und vor der aufrechten Bedrohung und deren Ursachen für den verbliebenen Bestand gewarnt:
Diese letzten Restvorkommen in Wien sind jedoch durch neue Bauvorhaben (Wohnbauten, Straßen, “gepflegte” Erholungslandschaften (keine Nahrungsgrundlage) weiter gefährdet; auch freilaufende Katzen und aktive Verfolgung (Fallen) wegen unerwünschter Grabetätigkeit tragen in machen Gebieten zum Erlöschen von Kolonien bei (z.B. Erholungsgebiet “Seeschlacht” bei Langenzersdorf).
Ziesel-Erhaltungszustand in Wien ungewiss
Anders als in Niederösterreich, wo durch die engagierte Initiative „Netzwerk Ziesel“ unter Führung des Naturschutzbund NÖ ein fortlaufendes Monitoring der Ziesel-Bestände stattfindet, liegen in Wien diesbezüglich keine aktuellen Zahlen vor.
Soweit bekannt, fanden die letzte Bestandserhebungen im Süden Wiens im Jahr 2002, im Norden in 2005 statt. Lediglich das, seit spätestens dem Jahr 2007 dokumentierte, dichte Vorkommen beim Wiener Heeresspital, welches dort bekanntlich einem, erst zeitlich später geplanten, Großbauvorhaben „im Weg steht“, wurde im Sommer 2011 kartiert.
Insbesondere die Daten zu den südlichen Populationen, die im Schnitt kleiner als jene im Norden und damit stärker gefährdet sind, erscheinen im Lichte dessen stark veraltet. Auch zur verbliebenen Population am Gelände der Pädagogischen Akademie, die 2001 nur zum Teil auf den Bisamberg abgesiedelt wurde, liegt kein aktuelles Monitoring vor. Dem Vernehmen nach könnte der Bestand dort stark zurückgegangen oder das Vorkommen gar Erloschen sein.
Aufgrund von fehlendem aktuellen Datenmaterials, trotz aufrechter Gefährdungsfaktoren, ist eine objektiv nachvollziehbare Beurteilung des Ziesel-Erhaltungszustands und der Entwicklungstendenzen für das Wiener Stadtgebiet somit nicht möglich.
„Günstiger Erhaltungszustand“ notwendig für Ausnahmegenehmigung
Für die drohenden Eingriffe in den Lebensraum der Ziesel und Feldhamster beim Wiener Heeresspital ist die Gewährung einer Ausnahmegenehmigung nach dem Wiener Naturschutzgesetz erforderlich. Notwendige, aber freilich nicht hinreichende Voraussetzung zur Erteilung einer solchen Genehmigung ist, dass sich in Wien die Populationen beider Arten in einem günstigen Erhaltungszustand befinden.
Zum Nachweis des günstigen Erhaltungszustandes reicht jedoch nicht die bloße Behauptung, dass ein solcher gegeben wäre. Vielmehr ist dafür ein objektiv nachvollziehbarer Nachweis anhand anerkannter Kriterien erforderlich.
Unabhängig davon verpflichtet die FFH-Richtlinie die EU-Mitgliedstaaten den Erhaltungszustand der EU-weit geschützten Arten und Lebensräume innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen zu überwachen. Die Ergebnisse dieses Monitorings müssen gemeinsam mit den Informationen über die in den Natura 2000-Gebieten gesetzten Erhaltungsmaßnahmen und deren Auswirkungen alle sechs Jahre in Berichten der Europäischen Kommission vorgelegt werden.
5.550 Unterschriften für kompromisslosen Artenschutz
Viele Quellen dokumentieren also glaubhaft und übereinstimmend eine düstere Perspektive zum Fortbestand der Ziesel in Österreich. Dennoch droht nun beim Wiener Heeresspital die riskante Vertreibung der dort lebenden Ziesel aus ihrem funktionierenden Lebensraum. Auch einer größere Kolonie der ebenso streng geschützten Feldhamster wäre betroffen.
Die überparteiliche Bürgerinitiative IGL Marchfeldkanal fordert Priorität für den Schutz der Ziesel und Hamster, ohne Wenn und Aber! Daher treten wir gemeinsam mit bereits 5.550 Unterstützern für die Einrichtung eines Naturschutzgebietes auf sämtlichen unverbauten Flächen rund um das Wiener Heeresspital ein.
Unterschreiben auch Sie!
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