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Violett schraffiert – zur Räumung beantragte Fläche. Quelle: Naturschutzrechtliche Einreichung, KNOLLCONSULT UMWELTPLANUNG ZT GmbH

Ginge es nach der Wiener Umweltbehörde MA 22 und den Bauträgern würden sich über dem Zieselfeld seit letztem Sommer wieder die Baukräne drehen. Ein weiteres Drittel der Zieselwiese nördlich des Heeresspitals wäre Geschichte. Nun wurde der naturschutzrechtliche Bescheid [1], der die weitere Zerstörung von Ziesellebensraum ermöglicht hätte, vom Verwaltungsgericht Wien aufgehoben. Zwar ist damit eine weitere Verbauung des Habitats vorerst gestoppt, doch jene Schäden, die durch bisher genehmigte und erfolgte Bauschritte samt untauglicher „Ausgleichsmaßnahmen“ am Vorkommen entstanden, sind immens.

Besonderer Dank gilt:
  • Allen Unterstützerinnen und Unterstützern der IGL-Marchfeldkanal für ihre Spenden, die ein juristisches Vorgehen möglich gemacht haben
  • VIRUS und Wolfgang Rehm, für ihren unermüdlichen Einsatz für die Umwelt
  • Madeleine Petrovic und dem Team von Tierschutz Austria/Wiener Tierschutzverein für ihre Unterstützung seit Öffentlichwerden des Zieselvorkommens 2011
  • Wolfgang Suske für die langjährige Begleitung mit seiner Expertise zur FFH-Richtlinie und insbesondere zur Alternativenprüfung
  • Egon Zwicker für seine Analyse der Projektauswirkungen und behördlichen Ausgleichsmaßnahmen

Ausschlaggebend für die Aufhebung des naturschutzrechtlichen Bescheids der MA 22 war die unzureichende Prüfung möglicher Alternativen. Die Projektbetreiber konnten nicht schlüssig belegen, dass es zur Verwirklichung des Bauprojekts auf besagter Fläche keine gleichwertigen Alternativen mit geringeren Auswirkungen auf streng geschützte Arten existieren, um in Wien ausreichend leistbaren Wohnraum zu schaffen.

Damit sind aber auch sämtliche bislang erteilten Ausnahmegenehmigungen für die schon realisierten Bauschritte rechtlich wohl kaum haltbar, da die von der Behörde bisher akzeptierte Argumentation immer dem selben Muster folgte. Nach Meinung von Experten ist somit die bisherige Bebauung vermutlich rechtswidrig.

Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien

Behörde stellt sich seit 2012 taub und blind.

Es hätte nicht soweit kommen müssen. Bereits 2012 wurde die MA 22 mittels einer vom Wiener Tierschutzverein in Auftrag gegebenen und an die Behörde übermittelten Studie [2] darauf aufmerksam gemacht, welche Kriterien ein europarechtlich korrektes artenschutzrechtliches Verfahren zu erfüllen hat. Bei der Erstellung des ersten, 2013 ergangenen, naturschutzrechtlichen Bescheides [3] wurden die diesbezüglichen Hinweise geflissentlich ignoriert. Da ein Vorgehen gegen naturschutzrechtliche Bescheide vor österreichischen Gerichten damals nicht möglich war, wurde eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht, unter anderem, da

Nach unserer Auffassung sowie nach Auffassung namhafter Experten verstößt der erlassene Bescheid fundamental gegen die Prinzipien des unionsweiten Artenschutzes da, im Zuge des Verfahrens weder Prüfungen hinsichtlich alternativer Standorte, noch eine Feststellung eines überwiegenden öffentlichen Interesses stattgefunden haben.

Beschwerdebrief an EU-Kommission zu Verfahren 5738/13/ENVI, 03.07.2013

Die seinerzeit eingeleitete EU-Beschwerde könnte zwar verhindert haben, dass die Gesamtfläche zügig von streng geschützten Arten geräumt wurde. Ab 2016 begann man jedoch das Gesamtvorhaben in kleine Stücke aufzuteilen. Für jedes Teilprojekt wurden jeweils „geringe“ Auswirkungen auf die Zieselpopulation behauptet. Wie zuletzt 2018, wurde von der MA 22 alle Anträge ausnahmslos genehmigt, obwohl auch diese – analog zum jetzt aufgehobenen Bescheid – keine korrekte Alternativenprüfung enthielten.

Beschwerdemöglichkeit seit 2021

Bis 2021 existierte keine Möglichkeit naturschutzrechtliche Bescheide zu beeinspruchen, selbst wenn sie offensichtlich nicht gesetzeskonform waren. Österreich hat die Aarhus Konvention, die Bürgern Zugang zu Gerichten in Umweltbelangen gewährt, zwar unterzeichnet, aber nicht korrekt umgesetzt (nur Umweltanwaltschaften waren als Repräsentanten der Öffentlichkeit an Verfahren beteiligt). Nach einer Mahnung seitens der EU-Kommission wurden die Gesetze angepasst, 2021 schließlich auch in Wien, womit nunmehr zumindest anerkannte Umweltorganisationen das Recht haben, Bescheide nach Ausstellung zu beeinspruchen. Der neuen Gesetzeslage entsprechend, wurde der im April 2021 von der MA 22 ausgestellte Bescheid, der die Bebauung eines weiteren Drittels der Zieselwiese nach “bewährtem” Muster genehmigt hätte, von der Umweltorganisation VIRUS beeinsprucht.

Argumente, die pauschal Artenschutz für Wohnbau ausgehebelt hätten

Die Projekteinreichung enthielt statt einer Alternativenprüfung lediglich ein lapidar mit „Keine andere zufriedenstellende Lösung“ betiteltes Kapitel. Doch selbst nachdem die Bauträger vom Gericht zu einer Mangelbehebung aufgefordert wurden, waren diese nicht in der Lage, eine gesetzeskonforme Alternativenprüfung vorzunehmen. Der im Zuge des Verfahrens nachgereichte, an eine Alternativenprüfung angelehnte, Schriftsatz konnte nicht darlegen, weshalb just die von Zieseln besiedelte Fläche alternativlos zur Schaffung „leistbaren Wohnens“ in Wien sei. Ebenso gelang es nicht dazulegen, warum der dort angerichtete Schaden an Naturschutzgütern geringer wäre, als bei Realisierung des Projekts an anderer Stelle.

Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien

Warum im Rahmen der Mangelbehebung ausschließlich alternative Flächen im 21. Bezirk betrachtet und der direkt benachbarte 22. Bezirk ignoriert wurde, wurde von den Bauträgern damit begründet, dass für den 21. Bezirk in den nächsten 20 Jahren ein Bevölkerungszuwachs von 22.000 Personen erwartet werde. Folglich würde entsprechend viel Wohnraum benötigt. Dieser Argumentation konnte die Richterin nicht folgen. Sie stellt im Gegenteil fest, dass ein solcher Zuwachs direkte Konsequenz eines verwirklichten Wohnungsangebots wäre und nicht umgekehrt.

Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Argumentation der Bauträger

Warum naturschutzrechtliche Verfahren wichtig sind

Auch eine Baulandwidmung, bzw. die Ausweisung eines Gebietes als Stadtentwicklungsgebiet, bedeutet nicht zwingend, dass jeder gewidmete Quadratmeter bebaut werden darf (auch dieses Argument wurde bemüht). Naturschutzrechtliche Verfahren sind genau dafür da, um im Falle eines Konflikts mit dem Artenschutz abzuwägen, und ein Projekt zu genehmigen, oder – überraschung – zu untersagen. In die Festsetzung von Landschaftsschutz & Siedlungszonen fließt der Verlauf von Naturschutzgebieten ein. Außerhalb davon scheint die Grenzziehung Resultat intransparenter Vorgänge zwischen Politikern und Interessensgruppen, bei der Artenschutz bis dato keine Relevanz hatte. Auch im Rahmen von Flächenwidmungen werden Artenschutzaspekte schon mal übersehen. Das Plandokument 7906 [4] für die Umgebung des Heeresspitals sah 2009 „positive Auswirkungen“ auf die Umwelt. Zu den seit zumindest 2007 im Plangebiet bereits aktenkundigen Zieseln [5] oder anderen geschützten Arten, fand sich darin kein Wort. Hinweise auf bereits erfolgte übergeordnete Planungsschritte, bei denen der Artenschutz keine Rolle spielte, dürfen bei einem Artenschutzrechtlichen Verfahren nicht als Argumente für die zwingende Verwirklichung eines Projekts gelten.

Frustrierte Aufwendungen und bereits getätigte Investitionen.

Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien

Bereits in früheren Einreichungen und Bescheiden war von frustrierten Aufwendungen und verlorenen Investitionen durch die Bauträger die Rede, die im Falle einer Ablehnung des Ansuchens zu beklagen wären. Vielleicht könnten die Bauträger ja verlorenes Geld bei der Stadt Wien einklagen. Anstatt seit 2011 zu signalisieren „mach ma schon irgendwie“ hätte diese dafür sorgen können, dass ihre Umweltbehörde korrekt arbeitet. Noch vor immensen Aufwändungen in Millionenhöhe, hätte – wie auch von unabhängigen Experten attestiert – ein gesetzeskonformes naturschutzrechliches Verfahren Klarheit hinsichtlich der Realisierbarkeit des Projekts schaffen können.

Zieselvorkommen in Katastrophalem Zustand

Die Auswirkungen der bisher genehmigten Bauschritte auf den verbliebenen Ziesellebensraum dürften von der Behörde offenbar gravierend unterschätzt worden sein. Während der Bestand auf der noch unbebauten Projektfläche in den letzten Jahren zunächst langsam zurückging, folgte 2021 ein regelrechter Zusammenbruch.

Trotz zieselgerechter Pflege und damit verbundener regelmäßiger Mahd lebten dort am Ende der Saison weniger Ziesel als 2011, kurz nachdem auf der Fläche die Landwirtschaft eingestellt worden war.

Mit Stand 5.10. waren Bauöffnungen von 113 Bausystemen erkennbar, davon allerdings die wenigsten mit Nutzungsspuren wie frischer Auswurf, Wechsel, Fraßreste (z.B. Blütenteile) oder Losung. Die Zahl tatsächlich genutzter Baue dürfte daher um einiges niedriger sein.

Bericht ökologische Aufsicht Q3 2021, 14.10.2021 [6]

Sieht man sich die räumliche Entwicklung des Vorkommens zwischen 2018-2020 an – also im Wesentlichen seit die fertiggestellten Bauteile bezogen wurden – wird deutlich, dass die stärksten Rückgänge in der Nähe der Bebauung zu beklagen waren (rot, gelb) während Zuwächse nur in weit davon entfernten Abschnitten stattfanden (grün)

Zuwachs/Abnahme der Bauanzahl im jeweiligen Gebiet 2018-2020.
rot – Abnahme um 4 oder mehr Baue
gelb – Abnahme um 1 oder mehr Baue
weiss – keine Änderung
grün – zunahme um 1 oder mehr Baue
hellgrün – zunahme um 4 oder mehr Baue
Bestandsdaten: Zwischenberichte der ökologischen Aufsicht. Auswertung: Lukas Mroz. Bildmaterial: Google Earth.


Der Populationseinbruch 2021 war Folge eines fast flächendeckenden Rückgangs, der wiederum im Nahbereich der Gebäude am stärksten war:

Zuwachs/Abnahme der Bauanzahl im jeweiligen Gebiet 2018-2021.
rot – Abnahme um 4 oder mehr Baue
gelb – Abnahme um 1 oder mehr Baue
weiss – keine Änderung
grün – zunahme um 1 oder mehr Baue
hellgrün – zunahme um 4 oder mehr Baue
Bestandsdaten: Zwischenberichte der ökologischen Aufsicht. Auswertung: Lukas Mroz. Bildmaterial: Google Earth.



Den Zieseln auf den Ausgleichsflächen jenseits des Marchfeldkanals, für die 2015 extra eine Zieselbrücke gebaut wurde [7], ging es nicht viel besser. Der ohnehin stark schwankende Bestand halbierte sich innerhalb nur eines Jahres und führte Behauptungen, die Flächen würden von den Zieseln gut angenommen, ad Absurdum.

So kann es nicht weitergehen

Nach inzwischen 11 Jahren des Herumlavierens wird es endlich Zeit für eine rechtskonforme und objektive Behandlung des Konflikts zwischen dem Bauprojekt und dem Zieselvorkommen nördlich des Heeresspitals durch die Behörden der Stadt Wien. Dass die bisherigen naturschutzrechtlichen Verfahren alles andere, nur keine korrekten Ausnahmeverfahren im Sinne der europäischen FFH Richtlinie waren, ist nun aufgrund des vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Bescheids evident. Da das Ansuchen bereits an der Alternativenprüfung grandios gescheitert ist, musste sich das Gericht nicht mehr mit den weiteren Kernaspekten des Verfahrens beschäftigen– der Abschätzung der Folgen für geschützte Arten und der Abwägung des öffentlichen Interesses an ihrem Erhalt gegenüber der Errichtung von Wohnraum.

Die katastrophale Entwicklung des Vorkommens nach Anwendung der von der MA 22 in der Vergangenheit abgenickten „Ausgleichsmaßnahmen“ legt nahe, dass die Auswirkungen der bereits fertiggestellten Bauteile viel gravierender sind als von der Behörde antizipiert und die dafür als Ausgleich gedachten Flächen großteils nicht geeignet sind, um die kurzfristige und langfristige Auswirkungen des Bauprojekts zu kompensieren. Weitere Bautätigkeit würde mit ziemlicher Sicherheit das Ende für das Zieselvorkommen nördlich des Heeresspitals bedeuten.

Es liegt an der Stadt Wien rasch eine Lösung zu finden, bei der das öffentliche Interesse am Schutz bedrohter Arten und der Erhaltung des Zieselvorkommens gewahrt bleibt und gleichzeitig das Ziel der Schaffung leistbaren Wohnraums – an einem anderen Ort – verwirklicht werden kann. Die Stadt hat alle dazu nötigen Werkzeuge in der Hand – Grundstückstausch und Widmungsänderung. Die Zieselwiese grenzt ohnehin an das Floridsdorfer Landschaftsschutzgebiet. Somit wäre nur eine geringfügige Grenzverschiebung nötig um das Vorkommen langfristig zu sichern.

[1] Umweltinformationen aus dem (aufgehobenen) Bescheid MA22 1127037-2020
[2] Voraussetzungen für eine europarechtlich korrekte Vorgehensweise zur Bewilligung von Wohnbauten auf Flächen nördlich des Heeresspitals. Dr. Thomas Ellmauer, Dipl. Ing. Wolfgang Suske, 2012.
[3] Bescheid MA 22 – 593/2012
[4] Plandokument 7946
[5] https://www.wien.gv.at/umweltschutz/naturschutz/biotop/ziesel-schutz.html
[6] Bericht ökologische Aufsicht Q3 2021
[7] Fauler Zauber beim Zieselsteg

Skandalöse Ignoranz

Seit 9 Jahren gibt es ein lückenloses Monitoring des Zieselbestands auf der Projektfläche nördlich des Heeresspitals, mit vierteljährlichen Berichten. Lückenlos? Nicht, wenn es brenzlig wird. Denn ausgerechnet während sie die Genehmigung für die Zerstörung weiterer Teile des Ziesellebensraums ausstellte, “vergaß” die MA 22 anscheinend auf die Genehmigung der Fortsetzung des Monitorings. Das Ergebnis: Heuer gibt es bisher keine Daten zum bedrängten Zieselbestand.

Für regelmäßige Besucher des Zieselfelds nördlich vom Heeresspital war heuer ein auffälliger Rückgang der Zieselaktivität auf der noch unverbauten Projektfläche und den Ausgleichsflächen östlich des Marchfeldkanals nicht zu übersehen. Nur die Umweltbehörde MA 22 will davon mit aller Kraft nichts wissen, und lässt das Monitoring des Vorkommens für ein halbes Jahr ausfallen.

Seit 2012 findet ein permanentes Monitoring der Zieselpopulation nördlich des Heeeresspitals statt – GPS Kartierung der Baue sowie kurzzeitiges Fangen & Chippen der Tiere um Wanderungsbewegungen feststellen zu können. Geregelt ist es durch Bescheide der MA 22, die für jeweils 2 Jahre ausgestellt werden (das Fangen und Chippen ist genehmigungspflichtig). Dank den detaillierten Daten ist die Entwicklung des Vorkommens in den letzten 9 Jahren nachverfolgbar, der Einfluss der bisher erfolgten Eingriffe in den Lebensraum der Tiere abschätzbar (Monitoring einer Referenzfläche des benachbarten Heeresspitalgeländes würde dies einfacher machen, wird aber unverständlicherweise nicht durchgeführt). 

Bisher war die Ausstellung der Monitoringescheide offenbar reine Formsache, zwischen Beantragung und Bescheiderlassung vergingen 2-3 Monate.

Umso unverständlicher und auffälliger ist das Verhalten der MA 22 bei der aktuellen Verlängerung – zwischen Einreichung (mitte Jänner) und Bescheiderlassung (ende Juni) vergingen mehr als fünfeinhalb Monate! Somit fallen erstmals in der 9-Jährigen Monitoringgeschichte zwei Quartalsberichte aus. 

In genau dieser Zeitspanne stellte die Behörde eine Genehmigung für den Bodenabtrag auf weiteren Teilen der Projektfläche aus, nach altbewährtem Muster, mit den gleichen Auflagen wie bisher. Auflagen, deren Unzulänglichkeit in Punkto Abwenden von Schaden von der Zieselpopulation, von den fehlenden Monitoringberichten recht klar vor Augen gefuhrt werden würden. Da war der MA 22 wohl doch lieber – was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss.

Ab Juli soll auf weiteren 1,3 ha des Zieselfeldes die Grasnarbe entfernt und der Oberboden abgetragen werden, um für fünf weitere Gebäude Platz zu schaffen, obwohl sich die Population der Ziesel nördlich des Heeresspitals seit der Genehmigung der bisher letzten Baufelder 2018 nur für die Interessen der Stadt Wien und der Bauträger erfreulich entwickelt hat. Eine Häufung an Totfunden, abnehmender Bestand und von Hunden aufgegrabene Baue. Für die Wiener Umweltbehörde MA 22 offenbar ein Indiz für erfolgreichen Zieselschutz, weshalb nun eine weitere Genehmigung für Lebensraumzerstörung nach dem gleichen altbekannten Muster erteilt wurde. Betongold schlägt in Wien wieder einmal den Artenschutz, während auf dem Wiener Wohnungsmarkt längst keine Spur langer Wartelisten mehr zu finden ist, und der Bauboom fast ausschließlich von internationalem Investorengeld auf der Suche nach einem vermeintlich inflationssicheren Asset getrieben wird.

  1. 2016: Eine angeblich im öffentlichen Interesse erfolgende Bodenabtragung für Kabelwerk und Familienwohnbau, allerdings ohne ein konkretes Bauprojekt.
  2. 2016: Eine Bodenabtragung für das Österreichische Volkswohnungswerk, ebenso ohne konkretes Bauprojekt.
  3. 2017: Bauprojekte von Kabelwerk und Familienwohnbau, eigentlich im Ziesellebensraum, jetzt allerdings laut Behörde nicht mehr genehmigungspflichtig, da die Tiere ja zuvor durch den zweckfreien Bodenabtrag “im öffentlichen Interesse” vertrieben wurden.
  4. 2017: Ein halbes Bauprojekt der Sozialbau, denn man hatte bei 1) auf die halbe Projektfläche “vergessen”
  5. 2018: Genehmigung für zwei weitere Gebäude des Kabelwerks, vermutlich wurde im Vorfeld wieder einmal “vergessen”, dass sich die beiden Fundament und Garage mit den in 3) Genehmigten Gebäuden teilen.
  6. 2018: Das Volkswohnungswerk dürfte “vergessen” haben, dass die Baugrube etwas größer sein muss, als das zu errichtende Gebäude. Kein Problem, die MA 22 zeigt sich auch hier wieder großzügig.
  7. 2021: Zieselbestand am zusammenbrechen? Umso besser! Das Kabelwerk darf weitere Teile des Lebensraums planieren.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Wiener Umweltbehörde beharrlich weigert, das Gesamtbild sowie den Einfluss des gesamten Projekts auf die Zieselpopulation beim Heeresspital einer entlarvenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen. Es ist u. a. durchaus davon auszugehen, dass eine derzeit offene Tiefgaragenseite nicht der vom Bauträger angestrebte Endzustand des Projekts ist, auch wenn die Umweltbehörde noch so oft beteuert, nur allein das beurteilen zu können, was eingereicht wird. Alternativ könnte sie auch einfach einen Blick in die öffentlich verfügbaren Unterlagen des Bauträgerwettbewerbs [3] werfen, der bereits 2013 abgehalten wurde und ausreichend detaillierte Pläne für die geplante Bebauung der Gesamtfläche bietet. Dann müsste sie allerdings die unangenehme Frage beantworten, inwiefern die von ihr genehmigten Ausgleichsflächen [4] zukünftig überhaupt als Ziesellebensraum geeignet sind, und ob vielleicht bereits der vorherige Genehmigungsschritt die Population zum Kippen bringt.


Geübtes Wegschauen der MA 22

Nach einem Kippen der Population sieht es zur Zeit nämlich aus. Auf dem noch unverbauten Teil der Zieselwiese herrscht gespenstische Stille, die sonst bei dichten Zieselvorkommen üblichen Warnrufe sind kaum zu vernehmen. Selbst in der Paarungszeit, in der die Tiere stark an der Oberfläche aktiv sind waren kaum Ziesel zu bemerken. Die Monitoringberichte, die seit 2013 vierteljährlich zum Zustand des Vorkommens vorliegen, verraten dazu: nichts. Der letzte Bescheid der MA 22, der das Monitoring regelte, lief Ende 2020 aus und ein Nachfolgebescheid wurde erst gar nicht ausgestellt. Wie es also um das Vorkommen in der aktuellen Saison, kurz vor weiteren drohenden Lebensraumeingriffen steht, ist somit nicht offiziell bekannt. “Was die MA 22 nicht weiß – oder wissen will -, macht die MA 22 nun mal nicht heiß” und so genehmigt sie munter die weitere Vernichtung von Grünflächen bzw. Lebensraum der streng geschützten Ziesel. In dieses Bild passt auch, dass die letzte Zustandserhebung im Kerngebiet des Vorkommens, auf dem Gelände des Heeresspitals, vor 10 Jahren stattgefunden hat, obwohl laut dem Wiener Zieselaktionsplan [5] alle Vorkommen im 6-Jahres Rhythmus erfasst werden sollen (und bis auf das Heeresspital auch werden). Fehlt der Vergleich mit der Entwicklung desselben Vorkommens im Heeresspital, kann man einen Einbruch der Population auf der Projektfläche bequem auf mutmaßliche “natürliche Schwankungen” des gesamten Vorkommens schieben.

Bestandsentwicklung auf der Projektfläche, für 2021 wurden keine Daten erhoben, da ein diesbezüglicher Bescheid der MA 22 fehlt.


Ausgleichsflächen – mehr schlecht als recht.

Weil das auch schon bei den vorigen Genehmigungen im Einklang mit der Behörde als pro forma Maßnahme recht geschmeidig geklappt hat, wurden auch jetzt in der Umgebung des Heeresspitals Ersatzflächen, sog. “Ausgleichsflächen”, als Ausgleich für den verbauten Ziesellebensraum ausgewiesen. Eine Maßnahme, die sich aber durch das Volumen der bisher genehmigten und zukünftigen Bauprojekte tatsächlich als pro forma und als nutzlos erweisen dürfte. Denn bereits jetzt hinterlässt der Nutzungsdruck der immer dichter besiedelten Umgebung verheerende Spuren im verbleibenden Lebensraum der geschützten Tiere. Seit 2018 kamen im Umfeld über 550 Wohnungen hinzu, fast 600 weitere sollen noch auf der Zieselwiese errichtet werden. Die Folge davon sind von Hunden tief aufgegrabene Zieselbaueingänge und gestresste Tiere, die kaum ungestört Zeit haben, sich für den mehr als 6 Monate dauernden Winterschlaf überlebensnotwendige Fettreserven anzufressen, was deren sicheren Tod bedeutet. Das Problem betrifft nicht nur die direkt an das bereits verbaute Gebiet angrenzende restliche Zieselwiese (wo es zum Teil von der Behörde bestätigt wird), sondern auch die Ausgleichsflächen. Auf den als Ausgleich für den nächsten Bauschritt vorgesehenen Flächen sind geschätzte 90% aller Baueingänge aufgegraben. 

Ausgleichsflächen für den 2021 genehmigten Projektteil sind nur über den Zieselsteg mit dem restlichen Vorkommen verbunden

Solche “Nebengeräusche” scheinen die mit Artenschutz befasste Wiener Umweltbehörde MA 22 nicht aus der Ruhe zu bringen, denn sie bewertet einen 1:1 Flächenausgleich als Ersatz ausreichend und ignoriert dabei einfach, dass die schlechte Lebensraumqualität auf der Ausgleichsfläche kaum zu einer ähnlich dichten Besiedlung führen kann, wie sie auf der Projektfläche vor Beginn der Bauarbeiten zu finden war.
Hinzu kommt, dass diese Ausgleichsfläche nur über einen eigens errichteten “Zieselsteg” [6] mit dem restlichen Vorkommen beim Heeresspital verbunden ist. Ist das Bauprojekt dann im Vollausbau genehmigt und vollendet, ist der schmale Grasstreifen zwischen Brücke und bebautem Gebiet mit Sicherheit nicht mehr für Ziesel geeignet, und das Vorkommen auf der Ausgleichsfläche (sofern es dann noch eines gibt) vom Rest des Heeresspitalsvorkommens abgeschnitten. Bereits jetzt wächst der Bestand auf dieser Ausgleichsfläche seit drei Jahren nicht mehr, trotz immensem Auswanderungsdruck durch die Verkleinerung des Lebensraums auf der Zieselwiese.

Seit das Vorkommen auf der Projektfläche durch Lebensraumverluste unter starkem Druck steht, pendelt der Bestand jenseits der Zieselbrücke zwischen 30-35 Zieseln (Stand jeweils Herbst)

Die für den Artenschutz essentielle Frage, ob das Vorkommen auf der Ausgleichsfläche selbsterhaltungsfähig ist, oder nur durch Einwanderer stabil bleibt, interessiert die Behörde gar nicht. Eine Forderung nach einer Mindestgröße des Vorkommens, ab der eine langfristige Selbsterhaltung angenommen werden kann, sucht man im aktuellen Bescheid vergeblich. Womöglich, weil der aktuelle Bestand von höchstens 35 Tieren etwas weit von den für eine selbsterhaltende Population notwendigen 160-300 Stück entfernt ist und man die gut vernetzten Bauträger nicht mit so etwas behelligen kann.


Kosten für Artenschutz sozialisiert, Profit privatisiert.

Die Bewilligung für die Verwirklichung des Bauvorhabens bedeutet zugleich die Bewilligung für die endgültige und nachhaltige Zerstörung des dortigen Lebensraums für diesen Teil der Wiener Zieselpopulation. Deshalb sollte man also erwarten können, dass der Ersatzlebensraum, der als Ausgleich bereitgestellt werden muss, auch dauerhaft von den Projektwerbern zu pflegen ist. Genau das ist aber nicht der Fall, denn die Ausgleichsflächen sind von den Bauträgern nur 15 Jahre(!) lang zu pflegen. Im Bescheidtext findet sich zwar das Wort “mindestens”, allerdings ohne jegliche Präzisierung wie und zu welchen Bedingungen weitere Pflege vorgeschrieben werden kann. Eine vollkommen zahnlose Bestimmung also, bei welcher wahrscheinlich auch die Hoffnung mitschwingt, dass sich die Pflege nach 15 Jahren ohnehin erübrigt haben dürfte.

Im Zusammenhang mit dem Bauprojekt beim Heeresspital wird immer wieder gerne und gebetsmühlenartig betont, dass es sich dabei um “geförderten Wohnbau” – gleichsam ein Projekt zum Wohle der Allgemeinheit, handelt. Was unheimlich uneigennützig klingt (beide Projektwerber, Kabelwerk und Donaucity, sind KEINE gemeinnützigen, sondern gewinnorientierte Bauträger) besitzt aber einen Haken: Die Förderung bindet die Mietpreise lediglich für 10 Jahre, die Miete für danach abgeschlossene Mietverträge kann vom Vermieter nach Belieben festgesetzt werden. Man kann also davon ausgehen, dass nach dem Auslaufen der 15-jährigen vorgeschriebenen Pflege der Ausgleichsflächen, diese Aufgabe auf die Stadt und somit den Steuerzahler übergeht (sofern es dann noch Ziesel gibt), während die Eigentümer der verbauten Fläche zu diesem Zeitpunkt seit 5 Jahren unbeschränkt Gewinnmaximierung betreiben dürfen.


Argumentative Verrenkungen

Erst durch die Stellungnahme der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung), die das überwiegende öffentliche Interesse am Wohnbau an diesem Standort bescheinigt, wurde die Ausnahme vom Artenschutz zur Genehmigung der Zieselvertreibung möglich gemacht. Die Argumentation, wieso ausgerechnet der Lebensraum einer vom Aussterben bedrohten Art ein alternativloser Standort für ein Bauprojekt sein soll, wie sie in Wien jährlich zu dutzenden verwirklicht werden, gibt einen tiefen Einblick, wieso es um die Biodiversität in Österreich und vor allem in Wien so schlecht bestellt ist:
Die MA 18 verweist darauf, dass ihre Stellungnahme aus dem Jahr 2015 (damals unter Grüner Führung), mit der die ersten Ziesellebensraumvernichtungen ermöglicht wurden, weiterhin vollinhaltlich gültig sei. Seither hat sich die Lage am Wohnungsmarkt jedoch grundlegend verändert: Bereits bei der Fertigstellung der Wohnbauten am Zieselfeld Anfang 2019 war es problemlos möglich, spontan Wohnungen in der Anlage zu mieten. Zur selben Zeit begannen Publikationen der Immobilienbranche von einer Übersättigung mehrerer Marktsegmente zu sprechen [7], [8], [9]. Derzeit dürften bis zu. 80% der fertiggestellten freifinanzierten Miet.- und Eigentumsprojekte nicht an zukünftige Bewohner, sondern an Investmentfonds gehen [10], [11]. Somit wird die derzeitige Fortsetzung des Baubooms nicht durch akuten Wohnraumbedarf, sondern durch das Parken billigen Investorengeldes in Betongold befeuert, hohe Mieten sind nicht einem knappen Angebot, sondern der Suche nach Rendite geschuldet. Auch im sozialen Wohnbau dürfte der Druck stark nachgelassen haben [12]. Angesichts dieser neuen Ausgangslage ist es mehr als gewagt, eine Alternativlosigkeit des Projekts zu behaupten und die Frage, warum eine Behörde der Stadt dem Interesse an ungehinderter Erzeugung von Investmentobjekten einen höheren Stellenwert einräumt, als dem Schutz des Allgemeinguts Biodiversität, ist mehr als berechtigt.

Auch das gerne angeführte Argument der enormen bereits getätigten Investitionen für Planung und Erschließung ist kein belastbares, denn wer in ein Projekt investiert, von dem er weiß, dass es möglicherweise nicht genehmigungsfähig ist, begründet damit keinen Anspruch und tut es auf eigenes Risiko. Zur Erinnerung: Beide beteiligten Bauträger sind gewinnorientierte Firmen. 

Geradezu absurd ist aber die Feststellung, dass gerade die Zieselwiese perfekt alle die Kriterien als Stadterweiterungsgebiet erfüllt, und deshalb umgehend bebaut werden muss. Bevorzugt soll Wohnbau nämlich im Rahmen der “inneren Siedlungserweiterung” stattfinden “prioritär innerhalb des bereits bebauten und infrastrukturell erschlossenen Gebiets”, denn nur so “kann die Bebauung landwirtschaftlicher Böden und großräumig zusammenhängender naturräumlicher Flächen am Stadtrand unterbleiben.”. Die Bebauung des Zieselfelds “Trägt mitunter dazu bei, großflächige und wertvolle Natur- und Naherholungsräume in ihrem Bestand zu sichern beziehungsweise zu erweitern (z.B. Regionalpark DreiAnger).[2]

Ein kurzer Blick auf eine Karte zeigt, dass die Zieselwiese, behördlich auch “Standort für innere Siedlungserweiterung” genannt, 200 Meter Luftlinie von den ersten Feldern des Marchfelds entfernt liegt, direkt an den “Regionalpark „DreiAnger” anschließt, dessen Bestand “gesichert beziehungsweise erweitert” werden soll, und nur deshalb nicht Teil des Regionalparks und Landschaftsschutzgebiets ist, weil man stur an einer Verbauung festhält. Zum Regionalpark DreiAnger gehören übrigens einige Schottergruben mitsamt Erweiterungsflächen und Bauschuttdeponien, nicht jedoch das angrenzende große Zieselvorkommen beim Heeresspital…

Die Zieselwiese beim Heerespital – nach Ansicht der Stadt ein Standort für innere Siedlungserweiterung in bereits bebautem Gebiet

Würde es die Stadt mit dem Fokussieren der Entwicklung auf infrastrukturell gut erschlossene, innerhalb des bereits Bebauten liegende Gebiete ernst meinen, müsste sie sich beispielsweise das Umfeld der Schnellbahnstation Brünnerstrasse vornehmen – mit einem verloren auf einem weitläufigen Parkplatz freistehenden Billa, direkt beim Abgang der Station. Besser erschlossene und gleichzeitig weniger effizient genutzte Flächen, wird man kaum finden.

Umgebung der Schnellbahnstation Brünnerstraße – sieht so effiziente Nutzung bestens erschlossener Flächen aus?

Doch das Bauen auf der grünen Wiese und auf fruchtbaren Ackerflächen ist bedeutend einfacher und profitabler und zugleich eine Schande für Wien. Bis sich diese Einsicht durchsetzt, werden aber wohl noch viele schützenswerte Flächen unter Beton verschwinden. In Bezug auf das gegenwärtige Artensterben, scheinen wir alle Zeit der Welt zu haben.


[1] Naturschutzrechtliche Einreichung Gesamtprojekt, Seite 1

[2] Umweltinformation aus dem Bescheid vom 28. April 2021 zur Zahl MA 22-1127037/2020 und dem zugrunde liegenden Gutachten

[3] Bauträgerwettbewerb 2013

[4] Übersichtsplan Ausgleichsflächen

[5] Zieselaktionsplan

[6] Fauler Zauber beim Zieselsteg

[7] Kurier – 4.12.2019: Studie sieht Trendwende am Wiener Wohnungsmarkt

[8] DerStandard – 8.5.2020: Wachstumsschmerzen: Zu viele Wohnungen für Transdanubien?

[9] Die Presse – 18.1.2021: Mieter fehlen – Wohnungen stehen zunehmend leer

[10] Krone – 21.4.2021: U-Bahn-Plan zeigt Preise für Wohnungen in Wien

[11] orf.at – 29.4.2021: Immobilieninvestoren entdecken Wien

[12] Krone – 30.12.2020: Leichterer Zugang zu kleinen Gemeindewohungen

So ähnlich hätten die Schlagzeilen lauten müssen, als die Bauträger im Hochsommer dieses Jahres eine PR-Offensive starteten, um den Erfolg ihres sorgsamen Umgangs mit den Zieseln nördlich des Heeresspitals  zu präsentieren[1]. Man stellt Ausgleichsflächen bereit, zäunt die Restfläche des Projekts ein und pflegt sie teilweise, misst Erschütterungen und Stresshormone im Kot der Tiere. So sehr wie all die gut klingenden Maßnahmen hervorgehoben wurden, so sehr wurde auch ein wesentliches aber schwerwiegendes Detail verschwiegen: Der Bestand auf der Projektfläche nördlich des Heeresspitals hat im Vergleich zum Vorjahr um gut 20% oder 50 Tiere abgenommen. Auf Abwanderung ist der Schwund jedenfalls nicht zurückzuführen – eine vergleichbare Zunahme auf den Ausgleichsflächen wurde nämlich nicht festgestellt. Festgestellt wurden jedoch insgesamt 6 tote Ziesel, zum Großteil in Baustellennähe. Zum Vergleich: Während des bisherigen Monitorings zwischen 2012 und 2018 wurde ein einziges totes Tier registriert (im Vorjahr, ebenfalls nahe den Baustellen). 

Baustellen – Auswirkungen mit Verzögerung

Die wenigen bisher für die “Baufeldfreimachung” umgesiedelten oder vertriebenen Tiere waren nur die Spitze des Eisberges. Die durch die Aufteilung des gesamten Vorhabens in bisher 6 Teilprojekte (“Salamitaktik”) und vorherige Einstellung der Mahd jeweils geringe Anzahl der für die Baugruben zerstörten Baue durfte als Begründung für das “behutsame” vorgehen der Stadt bei der Genehmigung der Projekte durch die MA 22 herhalten:

“Im konkreten Fall war die Entscheidung sehr leicht, weil nur mehr wenige Ziesel – weniger als zehn – betroffen sind”[2]

Auf die Verlautbarung der Folgen der “leichtgefallenen” Entscheidungen durch ebendiese Behörde, nämlich Totfunden und Bestandsrückgängen, kann die Öffentlichkeit wohl lange warten. Im Laufe des Jahres wurden im Zuge des durch die Bauträger durchgeführten Ziesemonitorings vier tote Ziesel aufgefunden, drei davon in Baustellennähe. Weitere zwei Tiere wurden von Anrainern in der Nähe der Baustellen entdeckt. Obwohl der baustellennahe Bereich des Ziesellebensraums seit dem Frühjahr eingezäunt ist, und somit zumindest von direkten Störungen durch Hunde und Menschen geschützt ist, scheinen die dortigen Bewohner leichter Fressfeinden oder Krankheiten zum Opfer zu fallen. In Kombination mit einer erhöhten Wintersterblichkeit, und vermindertem Fortpflanzungserfolg, ergibt das vermutlich den beobachteten Bestandsrückgang.

Der starke Rückgang im Frühjahr ist nicht nur auf spätes Aufwachen zurückzuführen – die Erschütterungsgrenzwerte dürften das Papier auf dem sie stehen nicht wert sein.

Der wesentliche Unterschied zu den Jahren, in denen das Vorkommen gewachsen ist: Baustellen an zwei von vier Seiten des Lebensraums und fehlende Pufferzonen zu den Störquellen. Während das Vorkommen ursprünglich eher in der Mitte eines 7ha großen Feldes lebte, war zuletzt beinahe jeder verfügbare Quadratmeter der übergebliebenen 3,8ha besiedelt.

Ausbreitung 2011 vs. 2019 (c) Knoll Consult/Ilse Hoffmann

Ein Weibchen macht noch keine Population

Während der Bestand auf der Projektfläche bereits schrumpft, steht ein Nachweis  selbsterhaltungsfähiger Besiedlung der Ausgleichsflächen jenseits des Marchfeldkanals immer noch aus. Mit Ende Juni wurden dort 18 Zieselbaue festgestellt, genauso viele wie ein Jahr davor. Von den östlich des Marchfeldkanals im Zuge des Monitorings eingefangenen Tieren war nur ein einziges weiblich[3], Beweise für eine erfolgreiche Fortpflanzung der Tiere in diesem Lebensraum waren offenbar keine zu finden. Für einen dauerhaft funktionsfähigen Ersatzlebensraum müsste die Population mindestens 300 Individuen aufweisen[4], da sie nach Fertigstellung des Bauprojekts und Entfernung des Zieselstegs faktisch von der Kernpopulation auf dem Heeresspitalgelände abgeschnitten wäre. 

Nächste Bauschritte 2021?

Bis 2021 sollen nördlich des Heeresspitals keine weiteren Bauschritte erfolgen[5]. Zu befürchten ist, dass im Anschluß die derzeit dahindümpelnde Besiedlung der Ausgleichsflächen als Erfolg verkauft werden soll und weitere Baufelder mit dem Hinweis auf diesen genehmigt werden sollen. Die Strategie zeichnet sich bereits ab: Der vergleichsweise niedrige Bestand bei der ersten Kartierung des Vorkommens im Jahre 2011 soll als Maßstab herangezogen werden, womit selbst eine Halbierung der derzeitigen Population als Erfolg verkauft werden kann:

„Ab 2021 könnte die Absicht umgesetzt werden, einen nächsten Bauabschnitt umzusetzen“, so Knoll. „Aber nur dann, wenn es uns gelingt, und das sieht momentan sehr gut aus, dass der Zieselbestand, den wir ursprünglich vorgefunden haben, nicht schlechter, sondern möglicherweise sogar besser wird.“[1]

Eine Grundvoraussetzung für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zur Zerstörung von Lebensraum geschützter Arten ist, dass das öffentliche Interesse an der Realisierung des Projekts höher sein muss, als das Interesse an der Erhaltung der betroffenen Art. Gedacht war diese Ausnahme für Fälle, wie Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, Landesverteidigung oder Realisierung öffentlicher Infrastruktur mit eingeschränkter Standortauswahl. Angewendet werden solche Ausnahmen viel zu häufig, in Wien eben auch für trivialen Wohnbau, der an jedem beliebigen Alternativstandort realisierbar wäre. Für die bereits errichteten Teile des Projekts wurde in einem Gutachten der MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung, Ressort Vassilakou) eifrig ein überwiegendes öffentliches Interesse am Bauprojekt festgestellt – Aufgrund des starken Zuzugs nach Wien und der damals zu geringen Wohnbauleistung. Heute jedoch stellt sich die Situation grundlegend anders da: Der Zuzug nach Wien hat stark nachgelassen. Wurde 2016 das überschreiten der Zwei-Millionen-Grenze für 2022 erwartet [6], sagen dies die aktuellen Prognosen erst für 2027 voraus, statt um 26.000 Menschen wächst die Stadt um weniger als 10.000 jährlich. Der Wohnbaurückstau ist aufgearbeitet, die Anzahl der 2020 erwarteten Fertigstellungen von Wohnungen soll weit über dem Jahresbedarf liegen[7]. Unter diesen veränderten Umständen – vor allem wenn die Population auf den Ausgleichsflächen jenseits des Marchfeldkanals bis dahin keine selbsterhaltungsfähige Größe erreicht haben sollte – kommt eine Genehmigung zur Schädigung einer geschützten Art zugunsten eines Wohnbauprojekts einer völligen Kapitulation vor den Einzelinteressen der Bauwirtschaft gleich. Dabei ist Investitionsschutz vor Artenschutz gesetzlich durch nichts gedeckt. 

“Schutz” in Artenschutz kaum wahrnehmbar.

Auch südlich des Heeresspitals tickt die Uhr für die dortigen Ziesel, denn Artenschutz scheint nicht als Hindernis für eine Umwidmung in Bauland gesehen zu werden.  Für ein Projekt auf den 2017 von einem Bauträger gekauften Flächen werden bereits Voranmeldungen für 591 Wohnungen angenommen[8] , obwohl die Fläche bis auf einen schmalen Streifen von Bauland entlang der Brünnerstrasse landwirtschaftlich gewidmet und amtsbekannter Ziesellebensraum ist. Auch heuer konnte eine angebliche Zieselfreiheit der Fläche klar widerlegt werden – trotz Anbau einer hochwachsenden Gründüngemischung waren zahlreiche Baue zu finden, Warnrufe zu hören und flüchtende Ziesel zu sehen. Man darf gespannt sein, ob die Pflanzen – wie bei Gründüngung üblich – für eine nachfolgende Aussaat im nächsten Jahr eingepflügt werden oder nur ausgesät wurden, um den Ziesellebensraum möglichst rasch zuwachsen zu lassen. Sollte tatsächlich auch südlich des Heeresspitals eine Umwidmung für ein Bauprojekt drohen, werden wir die MA 22 gerne daran erinnern, dass der dort 2011 festgestellte Zieselbestand als Basis für die Beurteilung heranzuziehen ist, wie scheinbar nördlich des Heereresspitals geplant, und nicht eine eventuell durch vorsorgliche Vergrämungsmaßnahmen von Zieseln befreite leere Fläche.


Auch heuer gibt es wieder einen Zieselkalender mit wunderschönen Bildern preisgekrönter Fotografen. Mit Ihrer Spende helfen Sie uns beim Kampf um die Erhaltung des Ziesellebensraums beim Heeresspital

[1] ORF – Ziesel in Stammersdorf werden gechipt
[2] Kurier – Hysterie um geschützte Tiere schadet dem Artenschutz
[3] Bericht ökologische Aufsicht 15.07.2019
[4] Bericht ökologische Aufsicht 15.10.2014
[5] Kurier – Bauträger vermelden Übersiedlung der Ziesel
[6] Austria Forum – Demografie Wiens
[7] Kurier – Studie sieht Trendwende am Wiener Wohnungsmarkt
[8] Neues Leben – OASE Marchfeldkanal

Die Umgebung des Heeresspitals in Wien ist Heimat eines der größten Zieselvorkommen Österreichs. Ca. 800-1000 der vom Aussterben bedrohten und streng geschützten kleinen Nager leben hier.

Auch heuer bietet die IGL-Marchfeldkanal für Interessierte eine spannende Führung durch den bedrohten Lebensraum der Ziesel und seine Nachbarschaft. Erkunden Sie gemeinsam mit unseren fachkundigen Führern die Tier- und Pflanzenwelt in der Umgebung des Heeresspitals und an den Ufern des Marchfeldkanals.

Seit 2011 wird ein Teil ihres Lebensraums von einem Bauprojekt bedroht. Nicht zuletzt dank einer Beschwerde bei der EU-Kommission und Jahren genauer Beobachtung durch diese, konnten untaugliche und für die Tiere gefährliche Maßnahmen verhindert werden, und so ist heute der Großteil der gefährdeten Fläche immer noch Ziesellebensraum.
Inzwischen sieht die Stadt selbst das Vorkommen als eine der “drei sehr großen Populationen mit > 500 Tieren” an, welche aufgrund ihrer Größe als Quellpopulation für die Besiedlung der Umgebung dienen können und somit für den Fortbestand dieser vom Aussterben bedrohten Tierart in Wien enorm wichtig sind.
In Anbetracht solcher Aussagen sollte man davon ausgehen, dass bei zukünftigen Projekten, die den Lebensraum beim Heeresspital betreffen, besonders strenge Maßstäbe angelegt werden und jegliche Schädigung des Vorkommens von der Behörde unterbunden wird.  Gemessen wird die Stadt jedenfalls daran werden, wie zukünftig mit den restlichen 2/3 der Fläche und mit ebenfalls bedrohten Flächen auf der gegenüberliegenden Seite des Heeresspitals verfahren wird.

Machen Sie sich selbst ein Bild von der aktuellen Lage der selten gewordenen (und streng geschützten) Ziesel und ihrer Gefährdung durch laufende und geplante Bauvorhaben.

 

Die Führung durch den Ziesellebensraum erfolgt durch eine Biologin und Zieselexpertin, Fragen zu den Bauprojekten beim Heeresspital beantworten Mitglieder der IGL-Marchfeldkanal.

Eintritt frei.
Wann: Sonntag, 26. Mai 2019, 15:00 Uhr
Treffpunkt: Johann-Orth-Platz, 1210 Wien (Link zum Wienplan)
Dauer: ca. 1,5 – 2 Stunden

Anreise: Der Treffpunkt befindet sich nahe der Endstation der Straßenbahn-Linie 31. Falls Sie mit dem Auto anreisen, nutzen Sie bitte die Parkmöglichkeiten entlang der Johann-Weber-Straße.

Tipp: Zum Beobachten bitte Fernglas mitnehmen!

Der Spaziergang findet bei jedem Wetter statt. Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal freut sich auf Ihr Kommen!

Die Umgebung des Heeresspitals in Wien ist einzigartig – nicht nur, weil sie Heimat eines der größten Zieselvorkommen Österreichs ist, sondern auch als Anschauungsobjekt wundersamer Auswüchse des Umgangs mit Artenschutz durch Wiener Naturschutzbehörde MA 22.

Wo sonst findet man Bauprojekte bei denen laut Behörde „kein Ziesel zu Schaden kommt“, obwohl in baustellennahen Bereichen eine Wintersterblichkeit von über 40% festgestellt wurde?

Wo sonst kann man zwei identisch aussehende Baustellen bestaunen, von denen eine laut Naturschutzbehörde keinerlei Auswirkungen auf den benachbarten Ziesellebensraum hat, und deshalb kein naturschutzrechtliches Verfahren durchgeführt werden musste, während eine einige Meter weiter gelegene Anlage Ziesellebensraum im Umkreis von 50 Metern unbrauchbar machen soll? Wer jetzt glaubt, eines der beiden Verfahren sei grob fehlerhaft gewesen, liegt vermutlich richtig. Rechtsgültig sind trotzdem beide Entscheidungen.

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Auch heuer bietet die IGL-Marchfeldkanal für Interessierte eine spannende Führung durch den bedrohten Lebensraum der Ziesel und seine Nachbarschaft. Erkunden Sie gemeinsam mit unseren fachkundigen Führern die Tier- und Pflanzenwelt in der Umgebung des Heeresspitals und an den Ufern des Marchfeldkanals.
Machen Sie sich selbst ein Bild von der aktuellen Lage der selten gewordenen (und streng geschützten) Ziesel und der massiven Gefährdung durch laufende und geplante Bauvorhaben.

Die Führung durch den Ziesellebensraum erfolgt durch eine Biologin und Zieselexpertin, Fragen zu den Bauprojekten beim Heeresspital beantworten Mitglieder der IGL-Marchfeldkanal.

Eintritt frei.
Wann: Sonntag, 10. Juni 2018, 15:00 Uhr
Treffpunkt: Johann-Orth-Platz, 1210 Wien (Link zum Wienplan)
Dauer: ca. 1,5 – 2 Stunden

Anreise: Der Treffpunkt befindet sich nahe der Endstation der Straßenbahn-Linie 31. Falls Sie mit dem Auto anreisen, nutzen Sie bitte die Parkmöglichkeiten entlang der Johann-Weber-Straße.

Tipp: Zum Beobachten bitte Fernglas mitnehmen!

Der Spaziergang findet bei jedem Wetter statt. Die Bürgerinitiative IGL-Marchfeldkanal freut sich auf Ihr Kommen!

Gehege für Umsiedlung eingefangener Ziesel – jenseits des Marchfeldkanals

Schließlich entscheiden die Ziesel, ob und wann wir bauen können”, Unique Relations, PR–Agentur der Bauträger, 2016 [1].

alle Zeitpläne sind Spekulation, wir richten uns nach den Tieren” Thomas Knoll, ökologische Bauaufsicht, „Sie werden nicht gefangen und irgendwo hingetragen“ Ilse Hoffmann, ökologische Bauaufsicht, 2012 [2].

Ein Kollege der SPÖ hat Ihnen beim letzten Mal schon gesagt, wenn die Ziesel nicht wandern, dann kann dort nicht gebaut werden.” GR. Rüdiger Maresch, Grüne, 2013 [3].

Hohle Phrasen zur Blendung der Öffentlichkeit, jahrelang als Beschwichtigung seitens Bauträger–PR und Wiener Stadtpolitik zu den durch ein Bauprojekt gefährdeten Zieseln beim Heeresspital aufgefahren, denn bei den sogenannten “naturschutzrechtlichen Verfahren” zur Genehmigung der Bauprojekte nördlich des Heeresspitals wird der Eindruck immer stärker, dass sie nur ein mögliches Ergebnis haben: Eine Genehmigung des eingereichten Projekts, mit immer kreativeren Begründungen, und immer mehr auf Kosten der Ziesel. Egal ob die zur Bedingung gemachten Auflagen funktioniert haben oder nicht, gebaut wird auf jeden Fall.

Ein Stück Ziesellebensraum gefällig?

Was auch immer von den Bauträgern als “Projekt” benannt und beantragt wird, beim stückweisen Durchwinken lässt sich die Wiener Umweltbehörde MA 22 durch nichts aus der Ruhe bringen:

  1. 2016: Eine angeblich im öffentlichen Interesse erfolgende Bodenabtragung für Kabelwerk und Familienwohnbau, allerdings ohne ein konkretes Bauprojekt.
  2. 2016: Eine Bodenabtragung für das Österreichische Volkswohnungswerk, ebenso ohne konkretes Bauprojekt.
  3. 2017: Bauprojekte von Kabelwerk und Familienwohnbau, eigentlich im Ziesellebensraum, jetzt allerdings laut Behörde nicht mehr genehmigungspflichtig, da die Tiere ja zuvor durch den zweckfreien Bodenabtrag “im öffentlichen Interesse” vertrieben wurden.
  4. 2017: Ein halbes Bauprojekt der Sozialbau, denn man hatte bei 1) auf die halbe Projektfläche “vergessen”
  5. 2018: Genehmigung für zwei weitere Gebäude des Kabelwerks, vermutlich wurde im Vorfeld wieder einmal “vergessen”, dass sich die beiden Fundament und Garage mit den in 3) Genehmigten Gebäuden teilen.
  6. 2018: Das Volkswohnungswerk dürfte “vergessen” haben, dass die Baugrube etwas größer sein muss, als das zu errichtende Gebäude. Kein Problem, die MA 22 zeigt sich auch hier wieder großzügig.

Es ist anzunehmen, dass der Behörde auch diesmal jede einzelne Genehmigung “leicht gefallen ist”, wie die Leiterin der MA 22 in der Vergangenheit öffentlich betonte [4], nachdem durch die Stückelung vorausschauend dafür gesorgt wurde, dass jedesmal nur “wenige” Ziesel betroffen bleiben.

Die Leidtragenden dieser Fließbandausnahmen sind die vom Aussterben bedrohten Ziesel. Nachdem zuvor bereits die heftig propagierte “freiwillige” Abwanderung der Tiere für gescheitert erklärt wurde und stattdessen auf Vertreibung durch Lebensraumzerstörung und Ausbaggern der Zieselbaue gesetzt wurde, scheint es nun auch mit dieser Methode nicht schnell genug zu gehen. In einem rekordverdächtigen Tempo wurden alle auf den nun genehmigten Flächen lebenden Tiere eingefangen und auf der anderen Seite des Marchfeldkanals ausgesetzt. Sanfte Umlenkung? Rücksicht auf die europaweit streng geschützten Tiere? Nicht, wenn die EU gerade wegschaut und die Bauträger ungeduldig werden!

Während für die ersten Teilprojekte noch funktionierende Ausgleichsflächen mit Anschluss an das Vorkommen verlangt wurden, war die Behörde bei der letztjährigen Teilgenehmigung für die Sozialbau bereits weniger streng und akzeptierte eine zu kleine Ausgleichsfläche als ausreichend, mit dem verblüffenden Argument, darauf könnte ja eine höhere Besiedlungsdichte erreicht werden.

Mangels verfügbarer funktionierender Ausgleichsflächen ist man inzwischen dabei angelangt, die gegenüberliegende Seite des Marchfeldkanals mit Zieseln zwangszubesiedeln. Für die umgesiedelten Ziesel eine riskante Reise ins Ungewisse. Zwar gab es dort in den vergangenen Jahren vereinzelt Ziesel, von einer dauerhaften Besiedlung kann aber keine Rede sein. Das Risiko scheint der verantwortlichen Behörde egal zu sein.

Zieselvertreibung – reloaded

Die Sozialbau setzt dem seltsamen Treiben um die Lebensraumvernichtung die Krone auf – auf der Hälfte ihres Baufeldes soll seit zwei Jahren ein Bauvlies die “Wiederbesiedlung durch bodenbewohnende Tierarten” verhindern. Mehrere Ziesel haben jedoch in der Zwischenzeit im Vlies ihre Baue angelegt. Dank der geradezu fahrlässigen Ignoranz bei der Sicherung des Grundstücks wurden nun zum zweiten Mal Ziesel von derselben Fläche vertrieben – mehr sogar als bei der ursprünglichen Räumung des Grundstücks ausgebaggert und gestresst wurden. Ob dafür überhaupt eine gültige Genehmigung existiert, ist fraglich, denn die ursprünglich genehmigte Vertreibungsprozedur endet mit der Abdeckung der Fläche mit Bauvlies.

“überwiegendes öffentliches Interesse” an Lebensraumzerstörung trotz wachsender Baulandreserve

Um Eingriffe in den Lebensraum einer geschützten Art zu genehmigen, muss das Interesse der Allgemeinheit an der Realisierung des Vorhabens das öffentliche Interesse am Schutz der Art überwiegen, hinzu kommt, dass es keine zumutbaren Alternativstandorte für das Projekt geben darf. Beides ist beim Wiener Heeresspital ganz klar nicht der Fall – was die MA 22 seit Jahren nicht daran hindert, Ausnahmen in Serie zu genehmigen und zwar unter Berufung auf eine Stellungnahme der zur Grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou ressortierenden MA 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung).
Während beim Heeresspital in den letzten Jahren immer wieder die Zerstörung von wertvollem Lebensraum seltener und geschützter Tierarten beantragt und genehmigt wurde, wuchs die im Besitz der Stadt Wien befindliche “Baulandreserve” – für die Schaffung von leistbarem Wohnraum gedachte Grundstücke –  von ca. 2 Mio. m² Anfang 2013 [5] auf 2,8 Mio. m² 2018 [6]. Ein Mangel an Alternativstandorten für leistbare Wohnungen ist also kaum gegeben und daher kein zwingender Grund für die politisch gewollte Lebensraumzerstörung.

2016 stimmten die EU–Mitgliedsstaaten mit großer Mehrheit für die unveränderte Beibehaltung der FFH–Richtlinie, die EU–weit den Arten– und Habitatsschutz regelt. Die damalige Evaluierung ergab, dass die Richtlinie ausreichenden Schutz biete und lediglich konsequenter umgesetzt werden müsse (Österreich hatte keine Meinung zu dem Thema). Die Ziesel beim Heeresspital sind leider nur ein Beispiel von vielen, dass gefährdete Arten außerhalb von ausgewiesenen Schutzgebieten in der Praxis nur dann wirksamen Schutz genießen, wenn zufällig keine anderen wirtschaftlichen Interessen entgegenstehen. Die oftmalige Ignoranz der Mitgliedstaaten und die nur langsame Reaktion der EU darauf, ist einer der Gründe, weshalb die EU ihr selbst gestecktes Ziel, den Verlust an Artenvielfalt bis 2020 zu stoppen, klar verfehlen dürfte.

 

[1] BZ (Floridsdorf), 2016 – EU stellt sich hinter Zieselschutz
[2] Kronen Zeitung, 2012 – „Es werden hier keine Maschinen auffahren, solange es Ziesel gibt“
[3] GR Rüdiger Maresch, 2013 – https://www.wien.gv.at/mdb/gr/2013/gr–040–w–2013–06–24–072.htm
[4] Kurier, 2016 – Hysterie um geschützte Tiere schadet dem Artenschutz
[5] WienerZeitung, 2013: Es wird keine Lücke produziert
[6] Kurier, 2018 – Sozialer Wohnbau: Gemeinnützige unter Druck

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Keinen Weihnachtsfrieden gibt es für die Ziesel auch südlich des Heeresspitals. Stattdessen ein erstklassiges Begräbnis für den Artenschutz in der selbsternannten Umweltmusterstadt Wien. Der Skandal: Obwohl die MA 22 von der Umweltanwaltschaft Zieselbaue gemeldet bekommt, akzeptiert diese ein Gutachten des Bauträgers, das die Zieselfreiheit der Fläche bescheinigt.

Seit Montag gräbt sich ein Bagger durch die im Besitz eines Bauträgers stehende landwirtschaftlich gewidmete Fläche südlich des Heeresspitals. Insgesamt wurden bis jetzt, über fast die gesamte Fläche verteilt, mehr als 30 ca. 3m tiefe Gruben für Sondierungsgrabungen ausgehoben. Dagegen ließe sich nichts sagen, wenn diese Grabungen nicht inmitten eines sich derzeit im Winterschlaf befindlichen Zieselvorkommens stattgefunden hätten. Also mitten im Ziesellebensraum , und mitten in der Winterstarre der strengstens geschützten Tiere. Ob und wie viele Tiere dabei getötet wurden, lässt sich nicht sagen – jedoch können die Tiere derzeit auf Beschädigungen oder Zerstörung ihrer Schlafkammer nicht reagieren – ein sicheres Todesurteil für sie. Dabei zählen Ziesel nicht nur nach dem Wiener Naturschutzgesetz zu den streng geschützten Tierarten mit prioritärer Bedeutung, sondern sind auch EU-weit nach der FFH-Richtlinie streng geschützt, ebenso wie ihr Lebensraum.

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Zieselvorkommen beim Heeresspital – Bestandsdaten: MA 22, Ilse Hoffmann, Knoll Consult, IGL-Marchfeldkanal.

Umweltbehörde schaut zu und findet nichts dabei
Die Wiener Umweltbehörde MA 22  dürfte über die Arbeiten unterrichtet gewesen sein, denn sie verweist auf ein im Auftrag des Bauträgers erstelltes Gutachten, in dem die Fläche schlichtweg für zieselfrei erklärt wird. Diesem schenkt die Behörde mehr glauben, als dem Wissen der eigenen Mitarbeiter sowie Beobachtungen der Umweltanwaltschaft (entsprechender Mailverkehr liegt uns vor). Während diese Information in der MA 22 einer kollektiven Amnesie zum Opfer gefallen zu sein scheint, dürfte man sich bei der Umweltanwaltschaft noch daran erinnern [1].

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Sondierungsarbeiten, 5.12.2017. Im Hintergrund zahlreiche Erdhaufen

Das von der Behörde akzeptierte Gutachten basiert offenbar auf einer Begehung der Fläche in der zweiten Septemberhälfte(!), bei der keine aktiven Zieselbaue auf der Fläche feststellen werden konnten. Das ist insofern eher wenig verwunderlich, als die ersten Ziesel sich bereits Mitte August in den Winterschlaf zurückziehen, und die letzten (heurige Jungtiere) Anfang Oktober in ihren Bauen verschwinden. Ende September ist also ein günstiger Zeitpunkt, wenn man es nicht so genau nehmen möchte und möglichst keine genutzten Zieselbaue finden will. Um das Übersehen möglicher Baue noch leichter zu gestalten, wurde die auf dem Großteil der Fläche angebaute Hirse kurz davor eingemulcht – der Boden war also flächendeckend mit gehäckseltem Hirsestroh bedeckt. Die Aussagekraft eines unter solchen Bedingungen entstandenen Gutachtens ist also mehr als fraglich, außer man wollte möglichst nichts finden, ein anderer Erklärungsversuch lässt sich unter den gegebenen Umständen selbst mit blühendster Phantasie nicht finden.

 

Grabungen nördlich und südlich des Heeresspitals – selbes Zieselvorkommen, zwei Welten.
Selbst wenn die Behörde – ohne eigene Daten erhoben zu haben – davon ausgeht, dass sich tatsächlich keine Ziesel mehr auf der Fläche befinden, stellt sich die Frage, warum für Erdarbeiten im Süden des Vorkommens plötzlich nicht dieselben Auflagen gelten sollen, wie für Arbeiten im Norden, befindet sich doch unmittelbar daneben unbestritten das Vorkommen am Heeresspitalgelände. Lange Zeit wurde den Bauträgern nördlich des Heeresspitals dies und das abverlangt, so z.B. einen Mindestabstand von 50m zwischen Baustelle und dem nächsten Zieselbau gefordert oder die laufende Bautätigkeit nur unter Einhaltung von Erschütterungsgrenzwerten bei den Arbeiten genehmigt [2] (wie sehr dabei auf die strenge Einhaltung dieser Auflagen Wert gelegt wurde und wird, ist wiederum ein anderes Thema). Bei der Baustelle wurden eigens mehrere Erschütterungsmessstellen installiert, die erlaubten Höchstwerte für die Zeit des Winterschlafs besonders niedrig angesetzt.

Südlich des Heeresspitals ist das alles jedoch scheinbar kein Thema mehr für die Wiener Umweltschutzbehörde, obwohl da wie dort ein Bagger Erde schaufelt und beides das selbe Zieselvorkommen betrifft. Weder wurde dort auch nur annähernd ein 50m Radius beachtet, noch waren Erschütterungsmessstationen zu sehen. Man könnte fast meinen, die Auflagen zum Schutz der Ziesel nördlich des Heeresspitals seien nur erlassen worden, um die Kritiker des Bauprojekts zufrieden zu stellen – die im südlichen Teil des Vorkommens fehlen, genauso wie etwaige Anrainer. Mit ehrlichen Schutzbemühungen zum Wohl der extrem vom Aussterben bedrohten Tiere hat das Ganze nichts zu tun. Im Lichte der jetzt durchgeführten Erdarbeiten lässt sich sogar eher das Gegenteil vermuten.

Aktuelle eigene Kartierungen zu dem Vorkommen besitzt die Behörde nicht. 2015 wurde in allen Wiener Zieselvorkommen nördlich der Donau ein Monitoring durchgeführt um das Wissen um Bestandszahlen und Verbreitungsgebiete aufzufrischen [3]. Diese Zählungen sollen alle sechs Jahre wiederholt werden. In allen Vorkommen? Leider nein, denn die Umgebung des Heeresspitals wurde als einzige von der behördlichen Zählung ausgenommen, da hier ein laufendes Monitoring im Auftrag der Bauträger beim bestehenden Bauprojekt stattfindet. Wenig überraschend beschränkt sich das Monitoring der Bauträger im Wesentlichen auf die (eigene) Projektfläche nördlich des Heeresspitals. Das Gelände des Heeresspitals sowie die jetzt betroffenen Flächen südlich davon, wurden zuletzt 2011 untersucht [4]. Da die MA 22 nun über keine selbst erhobenen Daten über den Zieselbestand auf den besagten Flächen verfügt, können vorgelegte Gutachten auch nicht einfach gegengeprüft werden. Den Bauträger wird das wahrscheinlich nicht sonderlich stören.

Im Zweifelsfall für den Bauträger
Um der MA 22 bei ihrer (über)anstrengenden Tätigkeit in Sachen Artenschutz behilflich zu sein, hat die Bürgerinitiative Igl Marchfeldkanal bereits im Jahr 2013 beschlossen, die Dokumentation der Ziesel-Bauverteilung südlich des Heeresspitals selbst selbst in die Hand zu nehmen. Seither führt die IGL-Marchfeldkanal jährlich im April oder Mai eine Begehung der Fläche sowie eine Erfassung der GPS-Koordinaten aufgefundener Baueingänge durch. Dies ist der optimale Zeitpunkt für eine Kartierung, da alle Tiere bereits wach sind und die Vegetation noch nicht übermäßig ausgeprägt ist. Auch zählt man Jungtiere noch nicht mit, von denen nur ein Bruchteil das nächste Jahr erleben wird. Zu diesem optimalen Zeitpunkt hätte freilich auch der Bauträger kartieren lassen können.

Die von uns erfassten Daten haben wir bereits vor Monaten der Behörde zur Verfügung gestellt [5], welcher folglich die Diskrepanz zwischen dem kontinuierlichen Besiedlungsnachweis unsererseits und dem “Zieselfrei”-Gutachten des Bauträgers aufgefallen sein müsste. Unsere Begehungen erfolgten zum Teil in fachlich kompetenter Begleitung, an der Glaubwürdigkeit unserer Befunde sollte es also nicht gelegen haben.

Nach der offiziellen Kartierung 2011 wurde die Fläche noch bis 2013 landwirtschaftlich genutzt, seither jährlich im Sommer gemäht, womit sie weiterhin als Lebensraum geeignet blieb. Die 2011 kartierten ca. 35 Baue wuchsen im Laufe der Jahre auf ca 100 im Frühjahr 2016 an. Im selben Jahr will der Bauträger (nach einer extrem späten Mahd Ende September) keine Ziesel mehr auf der Fläche festgestellt haben [6].

Anfang  Mai 2017 konnten wir zwar deutlich weniger Baue als im Vorjahr feststellen, die Fläche war aber eindeutig weiterhin besiedelt. Ende Juni wurde die Fläche gepflügt und Hirse ausgesät.

Mitte September wurde das Getreide eingemulcht (womit sich die Frage nach dem Zweck solcher “landwirtschaftlicher” Tätigkeit stellt). Trotz mit Stroh bedecktem Boden konnten wir mehrere Baueingänge sowohl auf der Ackerfläche als auch in den umgebenden Grasstreifen feststellen. Ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, als zum zweiten Mal die offizielle “Zieselfreiheit” festgestellt worden sein dürfte. Wo ein Wille ist, ist bekanntlich auch ein Weg, auch beim Zieselschutz, ob sich das bis zur MA 22 durchgesprochen hat, wissen wir nicht, denn in der oben beschriebenen Vorgehensweise der Behörde ist der Wille das Vorkommen beim Heeresspital wirksam zu schützen, nicht zu erkennen.

Was sich südlich des Heeresspitals vor aller Augen abspielt ist ein Begräbnis des Artenschutzes und der “Umweltmusterstadt Wien” erster Klasse. Wollen wir wirklich untätig erste Reihe fussfrei zuschauen?

 

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Bitte unterstützen Sie uns mit einer Kalenderspende, damit wir weiterhin für den Zieselschutz aktiv bleiben können!

 


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Wissen über die Ziesel südlich des Heeresspitals:

  • Juli 2011: Artenkartierung im Auftrag der MA 22
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  • August 2013: Letzte Ernte, Kurz darauf Probegrabungen.

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    Feld nach der Ernte 2013, Spur von Baggerung, rechts unten Zieselbau

  • April 2014 – Begehung durch IGL-Marchfeldkanal, südliches Eck wurde ausgelassen. Mahd mitte August.

    sued-2014

    56 Bau-Ein- und Ausgänge

  • April 2015 – Begehung durch IGL-Marchfeldkanal, südliches Eck wurde ausgelassen. Mahd Juni/Juli

    sued-2015

    84 Bau-Ein-und Ausgänge

  • April 2016 – Begehung durch IGL-Marchfeldkanal. Mahd Ende September

    sued-2016

    133 Bau-Ein-und Ausgänge

  • Vermutlich nach Mahd Ende September – erstmalige „Feststellung“ der Zieselfreiheit der Fläche im Auftrag des Bauträgers
  • Anfang Mai 2017 – Begehung durch IGL-Marchfeldkanal

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    79 Bau-Ein-und Ausgänge

  • Mai 2017: Mahd
  • 2 Junihälfte 2017: Pflügen und Aussaat von Hirse – auf der Fläche sind weiterhin Zieselbaue zu finden.

  • Mitte September 2017: Hirse wird eingemulcht und liegengelassen.  Begehung durch IGL-Marchfeldkanal

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    36 Bau-Ein-und Ausgänge

  • September 2017: Umweltanwaltschaft meldet Baue im südlichen Teil sowie an Nordgrenze.
  • September 2017: Abermals wird  „Zieselfreiheit“ der Fläche im Auftrag des Bauträgers festgestellt.

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    durchgehend mit zerkleinertem Stroh bedeckter Boden

  • Dezember 2017: Probegrabungen
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[1] Rückmeldung Wiener Umweltanwältin zu den Grabungen
[2] Wohnbauprojekt nördlich Heeresspital – Maßnhme Erschütterungen
[3] Aktualisierung von Zieseldaten in Wien (Oktober 2013 bis Oktober 2015)
[4] Artenkartierung Europäisches Ziesel und Feldhamster in Wien 21 – Heeresspital und Umgebung östlich Brünner Straße
[5] Mail an MA 22 vom 22.6.2017 zu Flächen südlich des Heeresspitals
[6] Schon wieder Alarm um die Ziesel

Eines wurde seit dem Bekanntwerden der Zieselpopulation auf dem Bauland nördlich des Heeresspitals 2011 immer unverändert verlautbart: Gebaut darf auf einem Baufeld erst werden, wenn es alle Ziesel verlassen haben [1][2][3][4][5]. Wirklich?

Ein scheinbar immenser Aufwand wurde seitens Behörde und Bauträgern betrieben, um die auf den westlichen Baufeldern von Familienwohnbau und Kabelwerk lebenden, in ihrem Lebensraum streng geschützten Ziesel zu vertreiben. Jahrelanger Verbuschung folgte der Bodenabtrag und die Abdeckung mit Bauvlies. Zusätzlich sollte anscheinend ein “zieseldichter” Bauzaun verhindern, dass Tiere auf die geräumte Fläche zurückwandern. Man hat die Rechnung aber ohne die Ziesel gemacht.

Weitab von den “offiziell” besiedelten Flächen, tief Im Baufeld der Familienwohnbau wurde nun ein Ziesel gefilmt. Nachdem bereits in der jüngeren Vergangenheit an der betreffenden Stelle Ziesel gehört und gesehen wurden, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei nicht um einen unternehmungslustigen Ausflügler handelt, sondern, dass es in unmittelbarer Umgebung (also auf der Baustelle) seinen Bau hat. Nachdem auf dieser Fläche vor der Räumung nur noch ein Ziesel gelebt haben soll [6], liegt die Erfolgsquote der Räumung somit bei 0%.

Auflagen aus Gummi

Zur PR-Show namens “Wohnbau und Artenschutz sind vereinbar” gehörten neben der Beteuerung, nur auf zieselfreien Flächen bauen zu wollen, auch “Maßnahmen” die sicherstellen sollten, dass die auf den umgebenden Flächen lebenden Ziesel nicht durch die Bautätigkeit zu Schaden kommen. So wurde anfänglich jahrelang öffentlich betont, dass zwischen Bautätigkeit und dem nächstgelegenen Zieselbau ein Sicherheitsabstand von 50 m einzuhalten sei [7][8][11]. Um diese erfreulich klingende Forderung wurde es allerdings plötzlich sehr still, als man merkte, dass dies 2017 den Baustart auf den ersten Baufeldern unmöglich machen würde. Als situationselastische Alternative wurden daraufhin “Erschütterungsschwellwerte”, die beim Baustellenbetrieb einzuhalten seien, aus dem Hut gezaubert [9]. Bei einer Nicht-Überschreitung dieser würden sich die Ziesel auch nicht gestört fühlen, wurde aus Vergleichsmessungen nahe einer Bahnstrecke bei Mannswörth freihändig geschlossen. Es folgte auch eine Absichtserklärung der Bauträger:

Im Falle von bis zu zwei Überschreitungen pro Tag dürfen die Bauarbeiten bei größter Sorgfalt zur Vermeidung weiterer Überschreitungen 24 Stunden lang fortgeführt werden. Innerhalb dieses Zeitraumes hat jedoch eine Abklärung mit der Erschütterungstechnischen Bauaufsicht zu erfolgen und ist eine Freigabe der weiteren Bauarbeiten durch dieselbe erforderlich.
Ab 3 Überschreitungen pro Tag sind unmittelbar Maßnahmen zu setzen, welche weitere Überschreitungen verhindern. Für die Fortführung der Bauarbeiten ist die Zustimmung der erschütterungstechnischen Bauaufsicht erforderlich [9].

Nun liegen uns Messprotokolle [10] der drei Messstationen [11] im Baustellenbereich vor. An einem der Messpunkte wurde an mehreren Tagen bis zu siebenmal(!) der erlaubte Höchstwert (Maximalwert 28 mm/ s²) überschritten – ohne erkennbare Folgen für den Baubetrieb.

Die Reaktion der zuständigen Wiener Umweltbehörde darauf? Im begleitenden Schreiben zu den Messprotokollen meint sie lapidar

Die Wahrnehmung sowohl der ökologischen Auf-sicht als auch unserer Amtssachverständigen ist, dass Ziesel durch die Bautätigkeiten nicht beeinträchtigt wurden.[12]

Dumm, dass die Schwellenwerte keine bindenden Auflagen darstellen, da zur Genehmigung der Bautätigkeit ja kein ordentliches naturschutzrechtliches Verfahren durchgeführt wurde. Dieses war/ist laut Behörde auch nicht notwendig, da die Bauträger glaubhaft versichert haben, freiwillig die Erschütterungsgrenzwerte einzuhalten, um somit die Ziesel (die man eigentlich loswerden möchte) in der Umgebung keinesfalls zu beeinträchtigen…

Nachdem nun nach Aussage der Umweltbehörde auch bei Grenzwertüberschreitung keine Beeinträchtigungen der Ziesel wahrzunehmen sind – wobei hier von einer Wahrnehmung und nicht von einem Beweis die Rede ist – dürften bei der Genehmigung der Bautätigkeit auf der frisch geräumten Fläche der Sozialbau sowie des ÖVW die letzten Hemmschwellen fallen (Baueingänge finden sich dort direkt am Bauzaun). Man scheint inzwischen der Meinung zu sein, dass Bautätigkeit Zieseln prinzipiell egal ist, solange keine Baggerschaufel mitten durch die Nestkammer des Zieselbaus fährt.

Angesichts der offiziell verkündeten Harmlosigkeit von Baustellenbetrieb und dichter Wohnbebauung in direkter Nachbarschaft stellt sich allerdings die Frage, warum es anderenorts keine Zieselvorkommen in vergleichbarer Umgebung gibt. Schließlich müsste es unter diesen Voraussetzungen in etlichen Favoritner und Floridsdorfer Wohnanlagen von Zieseln nur so wimmeln.

Eines kann man jedoch als gesichert annehmen: Rechtzeitig vor dem Verschwinden des letzten Ziesels werden uns die Vertreterinnen und Vertreter der Wiener Stadtpolitik wie üblich aus diversen Medien großformatig lächelnd verkünden, wie großartig Wien doch Wohnbau und Artenschutz vereinbar macht.

[1] Kronen Zeitung 26.5.2012 – Es werden hier keine Maschinen auffahren solange es Ziesel gibt
[2] Wien Heute – 2013
[3] Wien Heute – 5.11.2013
[4] Wien Heute – 21.6.2015
[5] Heute – 4.4.2016
[6] Wiener Bezirkszeitung – 12.4.2016
[7] DerStandard – 9.10.2014
[8] BZ – 11.2.2016
[9] Maßnahme Erschütterungen, Unterlagen Messungen
[10] Erschütterungsmessprotokolle 04.2017-07.2017
[11] Übersichtplan Erschütterungsmonitoring
[12] Begleitschreiben zu Erschütterungsmessprotokollen

Vor wenigen Tagen war es wieder soweit – ein erneuter Bagger-Angriff auf eines der letzten Zieselvorkommen im Norden Wiens. Streng geschützte Tiere und ihr Lebensraum beim Heeresspital werden wieder plattgewalzt und zubetoniert. Ein Artenmord mit kleinen Tricksereien und alternativen Fakten?


Obwohl Ziesel (Spermophilus citellus, in den meisten mitteleuropäischen Ländern bereits ausgestorben), von der Stadt Wien laut Naturschutzverordnung aber auch auf internationaler Ebene strengster Schutzstatus zugestanden wird und sie laut EU FFH-Richtlinie weder gestört, vertrieben, verletzt oder gar getötet werden dürfen, fahren jetzt in Wien wieder einmal die Bagger auf. Der geschützte Ziesel-Lebensraum fällt Stück für Stück diversen Bauprojekten am Wiener Stadtrand zum Opfer – mit behördlicher Hilfestellung.

„Wie ist so etwas etwa überhaupt möglich?“,
fragen sich sämtliche Naturschutzorganisationen [1][2][3] und Sprecher fast aller politischen Parteien schon seit 2011 [4], als das Thema mitsamt einer im Auftrag der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 erstellten Studie [5] zur Artenkartierung von S. citellus erstmals im Gemeinderat landete [6]. Warum werden Gebiete, die eigentlich zur Schutzzone deklariert werden müssten, zu Baugrund umgewidmet? Gelten die Natur- und Artenschutzgesetze oder gelten sie nicht?
Wie sonst ist es zu verstehen, dass Behörden bei manchen Bauprojekten auf vorschriftsmäßige artenschutzrechtliche Prüfungen und ggf. ernsthafte Alternativenprüfungen des Standortes verzichten und im Gegenteil sogar Ausnahme-Genehmigungen erteilen, um die Bauvorhaben – entgegen rechtlichen Artenschutzbestrebungen – zu legitimieren?
Nachdem bereits im letzten Jahr dem Bauträger „Kabelwerk“ die Zerstörung von ca. zwei Hektar nördlich vom Heeresspital genehmigt wurde – hier ist der ehemalige Ziesel-Lebensraum bereits zubetoniert – erhielt im jetzigen Anlassfall die teilweise in SPÖ-Besitz stehende „Sozialbau“ von der Wiener Umweltbehörde eine Ausnahme-Genehmigung für den Bodenabtrag von weiteren rund 0.3 Hektar. Das Besondere daran ist, dass es sich um jenen Rest-Teil des rechteckigen Sozialbau-Grundstücks handelt, auf welchen bei der letztjährigen Ausnahme-Einreichung angeblich “vergessen” (!) wurde. Betroffen ist noch dazu ein Areal, zu dem es bei der Genehmigung im Vorjahr hieß: ”Auf der Fläche nördlich des Heeresspitals gibt es noch ca. 5 ha weiteren Lebensraum, die von den gegenständlichen Maßnahmen nicht betroffen sind[7]. Hatte man im Vorjahr noch Ersatzflächen im Ausmaß von 1:1 als Kompensation verlangt, reichen bei der Sozialbau nunmehr 0.2 ha aus, mehr war in der Umgebung des Heeresspitals nicht mehr aufzutreiben (Fläche A3b im Plan) und anscheinend ist es inzwischen auch egal geworden, ob für die unter strengstem Naturschutz stehenden Tiere in der Umgebung noch genügend Ausweichflächen vorhanden sind.

Einreichpläne Kabelwerk 2015, Knollconsult/Hoffmann. Ergänzung Sozialbauflächen: IGL-Marchfeldkanal

Die letzten in der Umgebung des Heeresspitals verfügbaren Lebensräume für Ziesel schrumpfen und schwinden jedenfalls in einem bedrohlichen Ausmaß. Der Population am Marchfeldkanal wurde seit dem letzten Jahr durch verschiedene Maßnahmen mehr als 4,5 Hektar an Lebensraum genommen (Kabelwerk, Sozialbau, Neues Leben, ÖVW). Das Ergebnis ist ein enormer Dichtestress für die Tiere. So sollen in der Kernzone des Vorkommens, auf dem Gelände des Heeresspitals, die für gewöhnlich Erdbaue grabenden Tiere bereits Mauerrisse besiedeln, nördlich des Heeresspitals stolpert man von Loch zu Loch [8].

Die Ausnahme wird zur Regel
Was bedeutet das neuerliche Vorrücken der Bagger? Beim Heeresspital zeigt sich immer deutlicher: Die im Gesetz vorgesehene Ausnahme wird anscheinend zum Regelfall. Zur Genehmigung werden nacheinander jeweils nur kleine Teilstücke eines Gesamtprojekts [9] eingereicht, womit dessen Gesamtauswirkungen auf die Umgebung damit nie zur Untersuchung kommen – im Volksmund bis hinein in die EU-Gremien bereits als sog. „Salami-Taktik“ verpönt und eigentlich auch verboten. Die Wiener Umweltbehörde steht stur auf dem Standpunkt, dass sie nur prüfen könne, was von den Bauträgern eingereicht wird – also kleine Teilprojekte, bei welchen, wie im Fall der letztjährigen Abtragung, günstigerweise “ nur mehr wenige Ziesel – weniger als zehn – betroffen sind”. Beim Baufeld der Sozialbau sollen es diesmal auch “nur” 6 Ziesel sein, der Rest staut sich auf der immer kleiner werdenden Restfläche, von der Behörde schön als “von den gegenständlichen Maßnahmen nicht betroffener Lebensraum” beschrieben.
Welche realen Schutzeffekte haben Artenschutzgesetze überhaupt, wenn Projekte mit politischer Unterstützung im Lebensraum geschützter Arten rücksichtslos durchgezogen werden?

Zahlenakrobatik und schwindender Lebensraum
Grund für die internationale Einstufung des Europäischen Ziesels durch IUCN und EU als stark gefährdet, ist das rapide Schwinden des verfügbaren Lebensraumes.
Die Flächenverluste für die Wiener Ziesel beschränken sich nicht allein auf die Umgebung des Heeresspitals. Seit der letzten Kartierung 2002-2005 sind zahlreiche siedlungsnahe Kleinvorkommen in Wien erloschen [10][12]. Nahe der Stadtgrenze hat die Verbauung der Umgebung dem Großvorkommen beim Badeteich Seeschlacht (über 1000 Tiere in den 1990ern!) den Todesstoß versetzt und es innerhalb weniger Jahre zum Erlöschen gebracht. Während in diesem Fall die Ursache für das Aussterben recht eindeutig ist, verschwinden die Tiere anderenorts sogar aus eigens für sie eingerichteten und gepflegten Schutzgebieten – so geschehen am Goldberg im Süden Wiens!
Das Wiener Naturschutzgesetz gestattet Maßnahmen gegen eine streng geschützte Art nur dann, wenn ihr Erhaltungszustand vor und nach dem Eingriff günstig ist[§11 Abs 4.2].

Deshalb wurde auch in einem kreativen Ausbruch für die Ziesel eine eigene Erhaltungszustand-Kategorie entworfen, nämlich der spezielle Wiener “durchaus günstig”- Erhaltungszustand, der aber sonst nirgendwo bekannt ist [10]. Begründet wird das mit einer angeblichen Zunahme des Wiener Zieselbestandes.

Konkret meint die Behörde, der Bestand sei von 4500-6500 Tieren im Jahr 2005 auf 9000 im Jahr 2016 angestiegen, wobei sie aber gleichzeitig einen Rückgang des besiedelten Lebensraumes einräumen muss. Ein Vergleich der beiden Zahlen ist jedoch weit hergeholt, unseriös und wissenschaftlich nicht haltbar. So wurde für die neue Zählung eine andere Methode verwendet, als für die alte[15]. Während die mit der neuen Methode der einfachen Bauöffnungszählung ermittelten 9000 Baue eine Obergrenze für den Bestand darstellen, wurde bei der Zählung 2002-2005 mittels Spurröhren zwischen benutzten und unbenutzten Bauen unterschieden, womit die ermittelte Individuenzahl natürlich niedriger ausfiel. Auch ergibt sich laut aktuellen Zählungen in Wien eine unrealistisch hohe Durchschnittsdichte von 25 Tieren/ha[11], weit höher als in Niederösterreich oder im Burgenland (der österreichische Schnitt beträgt ca. 7 Ziesel/ha, in Ungarn sind es zum Vergleich nur 0.2 Ziesel/ha – auf einer weit größeren Fläche[13]).
Auf die Ungereimtheiten in den Behauptungen der Behörde haben wir bereits mehrfach aufmerksam gemacht. Trotzdem werden diese in der Art von alternativen Fakten weiterhin bei jeder Gelegenheit fleißig unter Medien und Bürger gestreut. Wer prüft denn schon so genau nach?

Selbst ein tatsächlicher Anstieg der Individuenzahl rechtfertigt bei schrumpfendem Verbreitungsgebiet keine Jubelmeldungen und eine Aufstufung des Erhaltungszustands, da durch die geschrumpfte Fläche die Gefährdung der Populationen durch Krankheiten und extreme Wetterereignisse enorm steigt.

Die massive Bautätigkeit in der Umgebung des Heeresspitals kann somit schwerwiegende Folgen nach sich ziehen, die Langenzersdorfer Seeschlacht ist ein mahnendes Beispiel dafür [16]:

wonach Anfang der 90er Jahre dort knapp 60 Ziesel pro Hektar nachgewiesen wurden…Im Sommer 2006 wurden überhaupt nur mehr 2 (!!) befahrene Löcher gefunden. Gründe hierfür könnte (laut Hoffmann 2003 und Millesi mündlich) die Bautätigkeit außerhalb des Badegeländes sein, die dazu geführten haben dürfte, dass dieses Vorkommen von der Umgebung abgeschnitten wurde

So nicht!
In diesem Sinne ist die unhaltbare Zerstörung des Zieselvorkommens beim Heeresspital durch Politik und Behörden zu beenden. Um einen korrekten Umgang mit den Tieren sicherzustellen, fordern wir:

  • Ein Ende der Projektstückelung – die gesamte Umgebung des Heeresspitals ist im Zuge naturschutzrechtlicher Verfahren als das zu betrachten, was sie ist: ein städtebauliches Gesamtprojekt, ebenso wie Auswirkungen auf das gesamte Vorkommen in der Umgebung des Heeresspitals zu berücksichtigen sind.
  • Die Prüfung alternativer Standorte hat, wie gesetzlich vorgesehen, ernsthaft zu erfolgen, nicht nur wie bisher pro-forma.
  • Angesichts der Relevanz des Zieselvorkommens (mit 800-1000 Tieren eines der größten Österreichs) ist das Habitat unter Schutz zu stellen, um gegebenenfalls nötige Schutzmaßnahmen durchsetzen zu können.

[1] Umweltdachverband – Ziesel-Heeresspital
[2] Naturschutzbund – Ziesel-Heeresspital
[3] Wiener Tierschutzverein – Und das rechtswidrige Baggern geht unbeirrt weiter
[4] Ziesel-Wortmeldungen  im Wiener Gemeinderat und Landtag
[5] Artenkartierung Europäisches Ziesel und Feldhamster in Wien 21 – Heeresspital und Umgebung östlich Brünner Straße
[6] Anfrage der FPÖ im Wiener Gemeinderat zu Zieselpopulation beim Heeresspital [6]
[7] Umweltinformationen aus dem Bescheid vom 16.11.2015 zur Zahl: 141149/2015 und den zugrunde liegenden Gutachten
[8] Zieselbaue nördlich des Heeresspitals
[9] Einreichung Gesamtprojekt 2012 Kaelwerk, Donaucity
[10] Verbreitung des Ziesels (Spermophilus citellus) 2014 und 2015 in Wien – Aktualisierung der Erhebungen von 2002 und 2005
[11] Verbreitung des Ziesels – Anhang 1
[12] Verbreitung des Ziesels – Anhang 2
[13] FFH Art. 17 Berichte der EU-Mitgliedssstaaten, Säugetiere/Ungarn/2007-2012
[14] Wiener Naturschtzgesetz §11 Abs 4.2
[15] Erfassung von Vorkommen des Europ‰ischen Ziesels im Wiener Norden mit begleitender Aufnahme des Feldhamsters
[16] Vorkommen und Schutz des Ziesels (Spermophilus citellus) in Niederösterreich